Auslandsjournalismus: Wenn Chávez duscht

Nr. 48 –

Migration, Kriegsmaterialexport, Bankgeheimnis, Libyen und die Minarettinitiative: Aussen- und Innenpolitik sind nicht mehr voneinander zu trennen. Trotzdem kürzen die Schweizer Verlage bei der Auslandsberichterstattung.


Und plötzlich hatten wir eine Libyenkrise. Seit Wochen beschäftigt uns das kleine Land am Mittelmeer mit seinem «exzentrischen» Herrscher. Auf den Redaktionen sind ExpertInnen gefragt, die über Libyens Situation in der arabischen Welt, die arabische politische Kultur Bescheid wissen sollten. Ebenfalls über den nationalen Rahmen hinaus gehen Initiativen gegen Minarette, für ein Waffenexportverbot, gegen die Beschaffung von Kampfjets, das Problem der Migration, der Kampf um das Bankgeheimnis oder die Europadebatte. Noch selten betrafen gleichzeitig so viele innenpolitische Probleme auch unsere Aussenbeziehungen. Aussenpolitik ist Innenpolitik und umgekehrt.

Eigentlich sollten die Schweizer Medien vermehrt über die neue Weltinnenpolitik berichten. In Wirklichkeit aber wird die Auslandsberichterstattung ausgedünnt oder gar massiv abgebaut. Zum Beispiel bei der immer noch grössten abonnierten Tageszeitung, dem «Tages-Anzeiger». Die Erinnerung an die «guten alten Zeiten», als der «Tagi» auf rund zwölf Aussenposten eigene Leute stationiert hatte, klingt fast märchenhaft. Heute sind es noch ein halbes Dutzend. Die Zentrale in Zürich war einmal mit sechs AuslandsredaktorInnen besetzt, darunter immer auch ehemalige KorrespondentInnen, die das notwendige Wissen bei der Kommentierung und Blattgestaltung sicherstellten. «Es macht einen Unterschied, ob sich eine Auslandsredaktion die Welt unter sechs oder nur noch unter drei Leuten aufteilen kann», kommentiert ein Kollege die Folgen der jüngsten Sparmassnahmen.

Zum Vergleich: Für das Auslands- und das Wirtschaftsressort sowie für das Feuilleton der NZZ sind noch 24 eigene KorrespondentInnen tätig. Aus Paris, Rom und London, die früher doppelt besetzt waren (für Politik- und Wirtschaftsthemen), berichtet nur noch je ein Korrespondent. Und auf der Zentrale sind noch acht AuslandsredaktorInnen (früher zehn) im Einsatz. Gemäss einer LeserInnenanalyse soll eine Mehrheit die NZZ nicht wegen des Wirtschafts-, sondern wegen des Auslandsteils abonniert haben.

Das «Mai-Massaker» (der Stellenabbau beim «Tagi» im Frühling dieses Jahres) hätte noch viel schlimmer ausfallen können, meinen Stimmen, welche die Prioritäten der Verlagsmanager kennen: «Warum brauchen wir überhaupt noch teure Auslandskorrespondenten», sei da gefragt worden. «Die Leser interessiert nur ihr unmittelbares Lebensumfeld, das Lokale und Regionale.»

Immer mehr KrisenreporterInnen

Unter diesem Druck muss sich das «Ausland» besser verkaufen. Und das hat Folgen. So haben deutsche MedienwissenschaftlerInnen festgestellt, wie sich die Berichterstattung über das Weltgeschehen immer mehr auf sogenannte Brennpunkte reduziert – und sind dabei auf folgende Diskrepanz gestossen: Die Zahl der Konflikte, Krisen und Kriege, über die berichtet wird, ist massiv gestiegen, obwohl die Zahl der tatsächlichen Kriege seit den neunziger Jahren gesunken ist. Und weil es weniger fest stationierte KorrespondentInnen gibt, kommen vermehrt KrisenreporterInnen zum Zug, von denen Geschwindigkeit (online!), Dabeisein und farbige Geschichten verlangt werden.

Zum Beispiel Honduras: In diesem zentralamerikanischen Staat kann sich seit Monaten trotz internationalem Druck ein Putschregime an der Macht halten. Wenig ist über die wirtschaftlichen und politischen Hintergründe des Staatsstreichs zu erfahren. Gross aufgemacht wurde aber die süffige Story über die Tochter des gestürzten Präsidenten, die in der Putschnacht den Militärs entwischen konnte, weil sie sich unter ihrem Bett versteckt hatte. Oder die bunte Geschichte, wie Venezuelas Präsident Hugo Chávez zum Wassersparen beim Duschen aufruft, gleichzeitig aber angeblich 145 000 US-Dollar für Seife, Shampoo und andere Hygieneartikel auszugeben gedenke.

Es sind vor allem die Freelancer, die freien JournalistInnen, die im Kampf um Platz und Aufmerksamkeit in den Redaktionen zu VerkäuferInnen von publikumswirksamen Geschichten werden. Ganz besonders, wenn sie in Lateinamerika oder Afrika stationiert sind, Kontinente, die seit dem Ende des Kalten Krieges wieder blinde Flecken geworden sind, weil es dort keine Stellvertreterkriege mehr gibt.

«Bis auf die Knochen»

In der Schweiz haben allein in diesem Krisenjahr rund 600 JournalistInnen ihre Stelle verloren. Einzelne Verleger geben zu, ihre Redaktionen «bis auf die Knochen abgespeckt zu haben». Seriöser Journalismus braucht aber immer eine Reserve von JournalistInnen, die nicht produzieren, anspruchsvolle Themen langfristig verfolgen und sich vor Ort informieren. Die Realität sieht jedoch anders aus. Knapp kalkulierte Dienstpläne und stark geschrumpfte Redaktionsbudgets lassen kaum mehr den Besuch von wichtigen Veranstaltungen, geschweige denn grössere Reisen in die vom Redaktor betreuten Länder zu. Um zu erfahren, warum Muammar Gaddafi so tickt, wie er tickt, warum Wladimir Putin auf Demokratie und Pressefreiheit spuckt und trotzdem beim Volk populär ist – für die Beantwortung so zentraler Fragen braucht es Innenansichten, Kenntnis von Kultur und Geschichte der betreffenden Länder. Und das kann man sich nicht vom Internet herunterladen.

Als nächste Sparmassnahme droht der Newsroom. Dies könnte die Abschaffung der Auslandsredaktion sowie der übrigen Fachressorts bedeuten. Im Newsroom erfolgt die multimediale, industrielle Newsproduktion: Alle machen alles. Wo bleibt dann die Nachricht – also jene Information, nach der man sich richten kann?

In den siebziger Jahren, als ich auf Aussenposten in Washington weilte, waren nach der Aufdeckung der Watergate-Affaire die «New York Times» und die «Washington Post» Vorbilder für investigativen Journalismus – auch in der Schweiz. Heute demonstriert der gleiche Medienschauplatz USA, welcher Schaden entsteht, wenn Journalistinnen und Verleger ihren Auftrag als «vierte Gewalt» nicht mehr erfüllen. Dies hat die manipulierte Berichterstattung über den Georgien- und den Irakkrieg an den Tag gebracht.

Nur für die Elite?

In der Schweiz geht es nicht um Krieg oder Frieden. Aber weil Innen- und Aussenpolitik nicht mehr zu trennen sind, hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, über die Weltinnenpolitik kontinuierlich und aus verschiedenen Blickwinkeln informiert zu werden. Der aussenpolitische Diskurs darf heute nicht nur einer Stimme (NZZ) überlassen werden. Das hat sich gerade beim letzten Irakkrieg und auch beim Georgienkrieg gezeigt, als der «Tagi» in Berichterstattung und Kommentierung eine differenziertere Haltung einnahm und damit eine echte Alternative zur NZZ bot.

Spardruck, Medienkonzentration und Gratisnews bringen aber laut MedienexpertInnen eine ganz andere Auslese in Gang: Sie gehen davon aus, dass sich künftig nur noch ein elitäres Publikum mit hohem Bildungs- und Finanzniveau den Qualitätsjournalismus wird leisten können und dass nur noch eine kleine Minderheit bereit sei, zum Beispiel für ein Jahresabonnement der NZZ tausend Franken zu zahlen. Sollte es so weit kommen, gehört der öffentliche Auftrag der «vierten Gewalt» der Vergangenheit an. Wie aber soll sich in unserer direkten Demokratie dann der grosse Rest informieren, der auch über die Minarett-, Waffenexport- und Kampfjetinitiative abstimmen sollte?


Roman Berger arbeitete von 1971 bis 2001 für die Auslandsredaktion des «Tages-Anzeigers», darunter sechs Jahre in Washington und zehn Jahre in Moskau.

Strategen der Wortschlacht

«Die Russen haben auf dem Boden gesiegt, aber nicht in den Medien», kommentierte die «New York Times» (NYT) den Ausgang des Georgienkriegs im August 2008. Der fünftägige Krieg war von einer massiven Medienschlacht begleitet gewesen. Georgien und Russland hatten westliche PR-Agenturen beauftragt, die Deutungshoheit darüber zu erlangen, wer wen angegriffen hat. So arbeitete beispielsweise die Firma Aspect Consulting für Georgien. Ihr Chef James Hunt, ein Profi für Krisenkommunikation, hatte schon beim Konflikt um die Ölplattform Brent Spar dem Shell-Konzern gedient, das Image von McDonald's aufpoliert und versucht, die Bedenken der KritikerInnen gentechnisch manipulierten Saatguts wegzuargumentieren.

Das kleine friedliche Georgien mit seiner jungen Demokratie werde vom grossen russischen Bären angegriffen – das war Hunts Botschaft. Und sie kam an. Am 7. und 8. August, als Georgiens Armee ihre Offensive startete, gab Präsident Michail Saakaschwili CNN und BBC vor den Fahnen der EU und Georgiens mehrere Interviews in bestem Englisch. In den Onlineausgaben von NYT und «Spiegel» standen stundenlang Berichte, die nur auf georgischen Quellen basierten. So wurde vermeldet, die Russen hätten Gori eingenommen und Tiflis bombardiert. Die von Aspect Consulting verbreiteten News erwiesen sich als Falschmeldungen. «Die Russen waren ja im Anmarsch, sodass wir dachten, sie wären zum Zeitpunkt unserer Pressemeldung bereits in Gori. Aber sie haben kurz davor gestoppt. Das gehört zu deren psychologischen Kriegsführung», rechtfertigte sich Hunt. Und bei den Fliegerangriffen auf Tiflis habe es sich um «Missverständnisse in einer emotional aufgeladenen Atmosphäre» gehandelt. Genau solche «Missverständnisse» sorgten aber in den entscheidenden ersten Stunden dafür, dass Russland als Aggressor und Georgien als Opfer abgestempelt wurde.

Gplus europe, eine Brüsseler Tochter des New Yorker PR-Riesen Ketchum, arbeitete für die andere Seite, die russische Regierung. Allerdings sei Moskau punkto PR «mindestens zehn Jahre hinter dem Westen zurück», klagt ein russischer Insider. Erst vier Tage nach Beginn der Kämpfe gewährte Aussenminister Sergej Lawrow CNN ein Interview. Moskaus Versagen im medialen Kampf, so geben russische Experten zu, liege am Kreml, der PR-Arbeit allein als innerrussische Propaganda begreife.

Sheldon Rampton, Mitbegründer der US-amerikanischen Organisation PR-Watch, hat analysiert, wie die PR-Industrie die Berichterstattung der US- Medien vor und während des Irakkriegs beeinflusst hat: «PR-Firmen spielten der US-Regierung die Bälle zu und schürten eine Stimmung, die von Gerüchten, Vermutungen und Ängsten beherrscht war», sagt Rampton. «Jeder neu lancierten Behauptung und Geschichte folgte eine Flut von Medienreaktionen. Stimmen, die nicht ins Kalkül des PR-Auftraggebers passen, werden von der PR-Agentur als unpatriotische Gegner identifiziert und ins Abseits gestellt.» Bei einer derartig inszenierten Kommunikation hätten JournalistInnen keine Chance mehr, Hintergründe zu recherchieren: «In ihrer Hatz nach exklusiven und aktuellen Informationen geraten sie in Gefahr, von der PR-Maschinerie vereinnahmt zu werden.» Auf diese Weise, so Rampton, habe es die US-Regierung von George Bush geschafft, die Öffentlichkeit zu überzeugen, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen und habe bei den Anschlägen am 11. September 2001 mitgewirkt.