Medientagebuch: Strafe fürs Sparen
Roman Berger über die Ukraine-Berichterstattung
Bilder aus der Ostukraine: Schützenpanzer mit russischen Fahnen fahren durch die Stadt Kramatorsk. Auf den Fahrzeugen bewaffnete Männer in Kampfanzügen ohne Abzeichen. Sind es russische oder ukrainische Panzer? Haben ukrainische Truppen freiwillig die Seiten gewechselt, oder wurden sie dazu gezwungen? Wer hat die Männer geschickt? Die Lage ist unübersichtlich.
Zu Beginn der Krise im letzten Herbst schien noch alles klar zu sein: Friedliche «pro-europäische» DemonstrantInnen kämpften gegen den korrupten, «russlandtreuen» Präsidenten Wiktor Janukowitsch. Viele westliche JournalistInnen logierten im Hotel Ukraina, wo sich ein «Pressenzentrum der Opposition» etablierte. Kaum einE JournalistIn entfernte sich vom «revolutionären» Maidan, um sich ein Bild der Lage im Land zu machen.
Der Konflikt in der Ukraine fand medial im alten Ost-West-Schema statt: «Hier der gute Westen, dort der finstere Herrscher und das dunkle Russland. Fortschritt gegen Korruption», so der deutsche Osteuropahistoriker Simon Weiss. Erst nach dem Sturz von Janukowitsch gab es kritischere Töne. Jetzt tauchte der Begriff «Swoboda» in den Medien auf, weil die nationalistische Partei mit diesem Namen prominent in der neuen Regierung vertreten ist. Und spätestens seit Wladimir Putin die Halbinsel Krim annektiert hat, erhält der Ukrainekonflikt eine neue Dimension: Jetzt stossen die «Russlandversteher» und die «Russlandkritiker» aufeinander. Und die Krise wird personalisiert. Der deutsche «Spiegel» titelt: «Der Brandstifter: Wer stoppt Putin?» Vor kurzem war dieser «Brandstifter» noch ein Feuerwehrmann, als Putin nämlich Verhandlungen über die Vernichtung syrischer Chemiewaffen ermöglichte und so den USA eine militärische Intervention in Syrien ersparte.
Zur Berichterstattung über die Ukrainekrise wurden die JournalistInnen eingeflogen. Viele von ihnen waren zum ersten Mal in der Ukraine und mussten aus dem Stegreif über dieses komplexe Land informieren. «Parachute-Journalisten» sind billiger als fest angestellte Korrespondentinnen und kommen seit Ende des Kalten Kriegs öfter zum Einsatz. Nach dem Verschwinden der Sowjetunion, so rechtfertigten US-Fernsehanstalten die Schliessung ihrer Büros in Moskau und Europa, sei die Welt weniger gefährlich und deshalb weniger «newsy» geworden. Auch europäische Medien haben unter dem Spardruck der BesitzerInnen viele Aussenposten gestrichen. So verzichteten die deutsche «Zeit», das «Handelsblatt» und der «Tages-Anzeiger» auf eigene, ständige KorrespondentInnen in Moskau. Der Abbau der Auslandsberichterstattung zeigt nun Folgen. Je weniger ReporterInnen vor Ort recherchieren, desto leichteres Spiel haben die Konfliktparteien, die sich im aktuellen Kampf um die Deutungshoheit einen harten Informationskrieg liefern.
Weil sie weniger Korrespondenten beschäftigen, sind die ausgedünnten Redaktionen immer mehr auf Expertinnen angewiesen. Osteuropahistoriker sind zurzeit gefragt. Aber auch die Osteuropaforschung wurde in den letzten zwanzig Jahren massiv reduziert. Das Verschwinden des «Ostblocks» verleitete zur Annahme, der postkommunistische Raum würde sich nun ohnehin der transatlantischen Welt angleichen.
Medien, Forschung und Politik täuschten sich gründlich. Die Wirklichkeit in Russland und der ehemaligen Sowjetunion hat sich nicht an ihre Erwartungen gehalten.
Roman Berger war unter anderem langjähriger Moskaukorrespondent des «Tages-Anzeigers».