Guantánamo: Diplomatischer Wirrwarr

Nr. 3 –

Die jurassische Regierung ist bereit, zwei uigurische Häftlinge aus dem Gefangenenlager Guantánamo aufzunehmen. Sie ist befremdet darüber, wie der Bundesrat die Sache behandelt.


Der Bundesrat wäre eigentlich dafür. Doch die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats ist dagegen. Die Parlamentarische Gruppe für Menschenrechte ist dafür, aber die Aussenpolitische Kommission des Ständerats dagegen. Dagegen ist auch China, ein Handelspartner von Gewicht. Worum geht es? Der Kanton Jura will zwei uigurische Häftlinge aus Guantánamo aufnehmen. «In Bern herrscht eine wahre Kakofonie», sagt der jurassische Regierungspräsident und CVP-Politiker Charles Juillard.

Zur Erinnerung: Auf mündliche Anfrage von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, ob die Kantone bereit seien, Guantánamo-Häftlinge aufzunehmen, haben sich die Kantone Genf und Jura gemeldet. Was in Genf mit einem usbekischen Häftling ohne Probleme über die Bühne ging, hat im Fall der zwei uigurischen Brüder, die der Jura aufnehmen könnte, zu bösem Blut geführt. China liess wissen, man würde die Aufnahme der zu einer ethnischen Minderheit Chinas gehörigen Gefangenen nicht schätzen. Und schon verkündete der Bundesrat, er werde keinen Entscheid treffen, ohne vorher mit der jurassischen Regierung zu sprechen. Das Treffen wurde auf die lange Bank geschoben, es findet Ende Januar statt. «Micheline Calmy-Rey sitzt gegenüber Washington in der Klemme, Doris Leuthard gegenüber Peking und Eveline Widmer-Schlumpf gegenüber Delémont», fasst die Zeitung «Le Temps» den diplomatischen Wirrwarr zusammen.

Zu viele Süppchen

«Wir haben das Gefühl, dass wieder einmal jeder Bundesrat sein eigenes Süppchen kocht», ärgert sich Regierungspräsident Juillard. Er hätte von der Landesregierung erwartet, dass sie die Bitte um Aufnahme schriftlich an die Kantone richte. Oder aber dass sie die aufgenommenen Häftlinge per Entscheid von oben auf die Kantone verteile. «Nichts dergleichen ist geschehen», beklagt sich Juillard. Dafür hat man nun in der jurassischen Hauptstadt den Eindruck, die Landesregierung möchte sich am liebsten hinter einem abschlägigen Bescheid des Kantons verstecken, um nicht selbst eine Absage erteilen zu müssen.

«Wir halten unser Angebot aufrecht», sagt Juillard, der nicht viel vom Hinauszögern des Entscheids hält und darauf hinweist, dass der Kanton immer eine besondere Sensibilität für humanitäre Fragen gehabt habe. Will sich der Jura auf ein Kräftemessen mit der Landesregierung einlassen? «Wir wollen Antworten auf unsere Fragen, bevor wir von Kräftemessen sprechen», sagt Juillard. Es sei nicht Sache des Kantons, die politische und diplomatische Verantwortung für den Entscheid zu übernehmen, sondern Sache der Landesregierung.

Im Kanton selbst ist die Aufnahme der Häftlinge umstritten. Glaubt man einer Onlineumfrage auf der Webseite der Regionalzeitung «Quotidien Jurassien», sind 36 Prozent für die Aufnahme der Uiguren, 64 Prozent dagegen. Die Umfrage ist eine der üblichen Onlineabstimmungen, die der LeserInnenbindung dienen und nach Belieben manipuliert werden können, doch der jurassische SVP-Politiker Dominique Baettig weist mit unverhohlenem Vergnügen auf das Resultat hin. Der in rechtsextremen Kreisen verkehrende Nationalrat (siehe WOZ Nr. 50/09) ist gegen die Aufnahme der Uiguren, es sei nicht die Sache des Kantons Jura, die Fehler der USA auszubügeln.

Für Baettig ist klar: CVP-Regierungspräsident Juillard habe das Angebot aus Sympathie für Bundesrätin Widmer-Schlumpf gemacht. Ausserdem habe die Regierung es für nötig befunden, das Image des Kantons aufzupolieren, weil sie der Ansicht sei, dieses sei durch die Annahme der Minarettinitiative in Mitleidenschaft gezogen worden. Der Regierungspräsident lächelt über Baettigs Erklärung: «Er hat entweder ein kurzes oder ein sehr selektives Gedächtnis», so Juillard. «Wir haben das Angebot lange vor der Minarettabstimmung gemacht.»

Positive Reaktionen

«Die Schweiz hat sich moralisch verpflichtet, Häftlinge aus Guantánamo aufzunehmen, sie kann ihr Versprechen jetzt nicht brechen», sagt Anne Seydoux-Christe, jurassische CVP-Ständerätin und Mitglied der Parlamentarischen Gruppe für Menschenrechte. Die Gruppe hat einen offenen Brief an den Bundesrat geschrieben, in dem sie ihn bittet, sein Versprechen zu halten und sich nicht von der chinesischen Verleumdungskampagne gegen die beiden Uiguren beeinflussen zu lassen. «Die Brüder sind unschuldige Opfer, figurieren auf keiner internationalen Liste und haben keine Beziehungen zu irgendeiner terroristischen Bewegung», sagt sie. «Jeder Tag, den sie weiter in Guantánamo verbringen müssen, ist ein Tag zu viel.» Sie hat kein Verständnis für das Zögern des Bundesrats, freut sich hingegen über die Haltung der jurassischen Regierung. «Ich habe enorm viele positive Reaktionen gehört. Der Kanton Jura ist immer offen für Flüchtlinge gewesen.»