Schweiz-Naher Osten: Aussenpolitischer Scherbenhaufen
Der Bundesrat beschränkt sein Engagement auf die humanitäre Hilfe. Und die SP?
Der 26. Juli 2006 wird als rabenschwarzer Tag in die Geschichte einer Aussenpolitik eingehen, die Werte und Rechte über Interessen und Mächte setzen wollte. Die Niederlage, die die bürgerlichen Bundesräte, allen voran die beiden SVP-Vertreter, der Sozialdemokratin Micheline Calmy-Rey beifügten, hat grundsätzliche Bedeutung und langfristige Wirkung. Die Desavouierung der Kritik an Israel, das Ausbremsen der Friedensdiplomatie, der Verrat an der Rolle der Schweiz als Hüterin der Genfer Konventionen sowie die Weiterführung der Militär- und Rüstungskooperation mit einem Staat, der sich um das humanitäre Völkerrecht foutiert, sind ein folgenschwerer Rückschlag für eine offene und solidarische Schweiz.
Kniefall vor der Grossmacht
An der ausserordentlichen Bundesratssitzung dürfte sich die von der WOZ vor genau einem Jahr festgestellte «aussenpolitische Wende» Richtung USA definitiv durchgesetzt haben. Unter dem Titel «Die Schweiz dockt an» schrieb die WOZ am 4. August 2005: «Alle erwähnten aussen- und rüstungspolitischen Wenden haben eines gemeinsam: Sie entsprechen den Interessen der USA. Israel ist ihr wichtigster Verbündeter im Nahen Osten.» Fast alles, was in der Zwischenzeit passiert ist und was der Tessiner FDP-Ständerat Dick Marty als «servilen Gehorsam gegenüber den USA» bezeichnete, bestätigt diese Einschätzung. Die wichtigste Abweichung vom proamerikanischen Kurs, Calmy-Reys Nahostpolitik, wurde nun abrupt beendet. Der bundesrätliche Kniefall vor der regionalen Grossmacht ist primär ein Kniefall vor der globalen Grossmacht. An einer engen Beziehung mit Israel sind vor allem die Rüstungsindustrie und die Armee interessiert.
Die Niederlage, die nicht bloss die linke, sondern die humane und humanitäre Schweiz am 26. Juli erlitt, ist umso schmerzlicher, als Micheline Calmy-Rey im ganzen Sommer die grosse Mehrheit der öffentlichen wie auch der veröffentlichten Meinung hinter sich hatte. Die mit der breiten Unterstützung verbundene Kritik an der Militär- und Rüstungskooperation richtete sich gegen den bürgerlichen Teil des Bundesrats. Leider wurde in den Juliwochen sehr wenig unternommen, die gesellschaftliche Stimmung in politischen Druck umzusetzen. Einzig die Grünen haben es gemeinsam mit der GSoA und anderen Gruppierungen über nationale und lokale Kundgebungen und Stellungnahmen versucht. Während die SVP gegen Calmy-Rey ein starkes Powerplay aufzog, nahm sich die Partei der angegriffenen Bundesrätin ein Time-out. Natürlich haben auch Linke ein Recht aufs Baden. Dass das Problem aber kaum hier liegen dürfte, darauf weisen die Sitzung der Sicherheitspolitischen Kommission vom 4./5. Juli 2006 und ein Kommentar im Zürcher SP-Organ «P.S.» drei Wochen später hin.
Unter dem Titel «Auge um Auge» polemisierte der «P.S.»-Redaktor und Parteistratege Koni Loepfe am 27. Juli gegen die Antikriegsdemonstration, die zwei Tage später in Bern stattfand. Ein Einwand lautete: «Mich erstaunt der Glaube der Menschen im Nahen Osten, dass sich der jeweils andere zerstören liesse.» Deshalb «bleibt uns wohl nur das resignierte Zuschauen». Loepfes «Analyse», die auf den «Menschen» fokussiert, blendet das Haupthindernis für einen gerechten Frieden völlig aus: die doppelte Übermacht der einzigen regionalen und der einzigen globalen Grossmacht. Weiter warf Loepfe der GSoA vor, fälschlicherweise vom «Täter Israel» und von den «zumindest Halbopfern Libanon und Palästina» zu sprechen. Abgesehen davon, dass der GSoA eine solche Sprache fremd ist, übersah der «P.S.»-Redaktor, dass der Demo-Aufruf «alle Angriffe aller Kriegsparteien auf alle Zivilbevölkerungen» verurteilt. Loepfe blendete aber auch aus, dass weit über neunzig Prozent der zivilen Opfer des Libanonkriegs Opfer der israelischen Armee sind.
Zeuge eines ähnlichen Mangels an Sensibilität für die arabisch-palästinensische Seite wurde ich bereits drei Wochen vorher, also während der Eskalation im Gasa, in der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK). Am 4. Juli stellte ich in der für die Installation des Integrierten Funkaufklärungs- und Sendesystems (IFASS) zuständigen Subkommission den Antrag, den IFASS-Kredit zu streichen, weil die Geräte zu einem wichtigen Teil aus Israel stammen. Alle anderen fünf Mitglieder, unter ihnen der neben Ringier-Publizist Frank A. Meyer gewichtigste Israel-Verteidiger Christoph Mörgeli, aber auch die sicherheitspolitische Vordenkerin der SP, Barbara Haering, lehnten meinen Antrag ab. Am folgenden Tag stellte ich diesen noch einmal im SiK-Plenum, wo die SP-Delegation geschlossen mit den Bürgerlichen gegen die beiden Grünen stimmte.
Linke Herausforderung
Umso erfreulicher war es, dass die SP in ihrer ersten Pressemitteilung zum Nahostkrieg am Abend des 26. Juli «als dem Frieden verpflichtete Partei» den «Verzicht auf IFASS» forderte. Allerdings war der Embargobeschluss mit der Weigerung verbunden, die Demonstration vom folgenden Samstag zu unterstützen. Gegenüber den Medien liessen Parteisprecher verlauten, deren Aufruf, der notabene die «Solidarität mit sämtlichen zivilen Opfern» bekundete und der ein Ende der Gewalt «im Libanon, in den besetzten palästinensischen Gebieten sowie in Israel» forderte, übe zu wenig Distanz gegenüber der Hisbollah. Diese Kritik an einem Text, der einen Kompromiss mit den VertreterInnen der libanesischen und der palästinensischen Diaspora darstellt, hätte mehr Glaubwürdigkeit, wäre die SP der schriftlichen und telefonischen Einladung an die Diskussion über den Demo-Aufruf gefolgt. Die Kundgebung auf dem Bundesplatz selber wurde dann, wie auch die «Tagesschau»-Bilder zeigten, zu einer Pro-Calmy-Manifestation.
SP-Linke, die an der Demo teilnahmen, erklärten das distanzierte Verhalten ihrer Partei zum Schicksal des Libanons mit dem «grossen Einfluss» der «Israel-Lobby». Meine Einschätzung ist eine andere: Es ist die mit der Unterstützung militärischer Auslandeinsätze verbundene Annäherung an die Nato und damit an den «war on terror» der USA und Israels, die das Engagement für das Völkerrecht erschwert. Die Gründe für das wochenlange Schweigen der SP-Spitze zur israelischen Kriegführung zuerst im Gasa, dann im Libanon sind letztlich die gleichen wie die für die Ablehnung der Volksinitiative für ein Kriegsmaterialexportverbot: die Ausrichtung auf die «militärische Kooperation» selbst mit kriegführenden Staaten. Der Unterschied besteht bloss darin, dass im Fall des Volksbegehrens die Delegiertenversammlung den Entscheid des Parteiapparats rückgängig machen konnte.
Die Linke steht aussenpolitisch vor einem Scherbenhaufen. Es geht nun darum, ausgehend vom Grundsatz, dass die Stärke des Rechts über das Recht des Stärkeren zu setzen ist, eine kohärente und überzeugende Alternative zum bundesrätlichen Kurs im Schlepptau der USA zu entwickeln. Ein Ansatzpunkt, der (fast) alle Linken vereinigen sowie den Druck der Strasse und der öffentlichen Meinung mit der parlamentarischen Opposition verbinden kann, ist der Kampf für ein Militär- und Rüstungsembargo. Zuallererst geht es dabei um den Verzicht auf IFASS, worüber der Nationalrat im September befinden wird.
* Das GSoA-Vorstandsmitglied Josef Lang ist Nationalrat der Alternative Kanton Zug. Er vertritt die Grüne Fraktion in der Sicherheitspolitischen Kommission.