Bankgeheimnis: Fiktion am Ende

Nr. 4 –

Hinter dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts steht eine jahrelange Politik des Aussitzens. Zeit für einen Schritt nach vorne.

Der Satz war so schön, er müsste auf Plakate gedruckt und im ganzen Land an Wände geklebt werden. Finanzminister Hans-Rudolf Merz – nie um eine Beschönigung verlegen – beschrieb die Ausgangslage so: «Wir müssen die tatsächliche Situation mit der rechtlichen in Übereinstimmung bringen.» Ein Satz, der so verkehrt ist, dass er fast alles über das Bankgeheimnis sagt.

Aber eben, nur fast alles.

Anlass für die Aussage war ein Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts – der zweite, der dem Bundesrat innert kürzester Zeit einen Strich durch die Rechnung machte. Letzten Freitag entschied das Gericht über einen exemplarischen Fall. In der Folge dürfen die meisten der 4450 UBS-Kundendossiers nicht an die USA geliefert werden, weil das Abkommen zwischen der Schweiz und den USA vom August 2009 Steuerhinterziehung (auch von hohen Beträgen) nicht einschliesse. Damit hielt das Gericht fest, was Nicht-SchweizerInnen kaum je verstanden: Steuerhinterziehung ist nach hiesigem Recht nicht gleich Steuerbetrug.

Aus dem Traum geschüttelt

Noch ist unklar, welche Auswirkungen das Urteil haben wird. Die Situation scheint ausweglos, der Sachverhalt hochkomplex, unter Rechtsgelehrten tobt ein Streit. Fakt ist: Das Urteil schüttelte die Politik aus dem Traum, der Steuerstreit mit den USA sei beigelegt.

Die wegen des Gerichtsurteils entstandene mediale Hektik erstaunt allerdings. Immerhin hatte die Regierung diesen Fall vorgesehen: Im Abkommen mit den USA vom August 2009 ist festgehalten, dass sowohl die Schweiz wie auch die USA «zu jeder Zeit weitere Konsultationen über die Umsetzung, Interpretation, Anwendung oder Änderung dieses Abkommens verlangen» können. Ausserdem können beide Seiten 370 Tage nach Unterzeichnung des Abkommens «angemessene Ausgleichsmassnahmen» ergreifen, sollte das tatsächliche Resultat stark vom erwarteten Ergebnis abweichen.

Und doch offenbart die unübersichtliche Situation ein grundlegendes Problem: die Politik des Aussitzens.

Wenn es um den Schweizer Finanzplatz ging, regierte die Schweizer Regierung nie. Sie überliess die Aussenwirtschaftspolitik weitgehend der Finanzelite. Und diese stützte sich auf die simple Drohung in Artikel 47 des Bankengesetzes: das Bankgeheimnis.

Fünfzig Jahre volle Taschen

Von Linken als Steuerhinterziehungsgeheimnis kritisiert, von Rechten als Bankkundengeheimnis gefeiert, machte dieser Artikel die Schweiz zu einem der wichtigsten Finanzplätze der Welt. Die bürgerlichen PolitikerInnen dankten es, indem sie das Bankgeheimnis verteidigten – bei den Geschäften mit dem Apartheidsregime in Südafrika, bei der Diskussion um Holocaust-Gelder, bei der EU-Kritik an der Holding- und Unternehmensbesteuerung in der Schweiz.

Der Komplex aus Banken und bürgerlichen Parteien hielt unbeirrbar am Bankgeheimnis fest. Das ist zwar verständlich: Wer gibt schon einen Vorteil auf, der fünfzig Jahre lang die Taschen füllte? Dieselben Leute, die jetzt den endgültigen Bruch mit der UBS fordern, wussten schon lange, dass das Bankgeheimnis nicht ewig bestehen würde. Doch sie lehnten sich wieder zurück und streichelten sich die Bäuche: In den neunziger Jahren, als die OECD die tiefen Unternehmenssteuern in der Schweiz angriff. Um die Jahrtausendwende, als die Dotcom-Blase platzte. Oder 2004, als der Privatbankier Hans J. Bär in seinen Memoiren das Bankgeheimnis mit drei einfachen Worten erledigte: «fett, aber impotent».

Dank der Wiederwahl von US-Präsident George Bush im Jahr 2004 sank der Druck auf die Schweiz zusehends. Die Banken profitierten vom Bankgeheimnis, solange es ging. Und zwar alle, die Privatbanken wie die Grossbanken. Die UBS tat es nachweislich mit kriminellen Methoden. Dann erschütterte die Finanzkrise die Staaten weltweit, Barack Obama wurde US-Präsident, der UBS-Kundenberater Bradley Birkenfeld packte aus: Die Steueroase Schweiz war wieder im Visier der USA.

Statt einen Schritt nach vorne zu gehen und, wenn schon, den Finanzplatz neu auszurichten, gab die Schweizer Regierung immer nur so viel nach, wie sie musste: Um von der grauen Liste der OECD gestrichen zu werden, schloss sie Doppelbesteuerungsabkommen mit zwölf Ländern, für die die Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug neu nicht mehr gelten wird. Nicht aber mit den anderen 181 Staaten der Welt. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf zauberte den Begriff der «schweren Steuerhinterziehung» aus dem Hut, um das Bankgeheimnis wenigstens der Form halber zu bewahren.

Auf der Höhe der Zeit

Jetzt, nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, ist also die tatsächliche Situation mit der rechtlichen kollidiert. Die Ursache dafür ist eine bürgerliche Politik, die sich nie gegen die Bankenmacht stellte. Eine Politik, die stets an der Fiktion eines ewigen Bankgeheimnisses festhielt. Bundesrat und Parlament haben es in der Hand, endlich einen Schritt nach vorne zu wagen. Es gibt in dieser Situation nur eine einzige politische Lösung: Die Unterscheidung von Steuerhinterziehung und -betrug im Rechtshilfeverfahren mit allen Staaten aufzuheben und damit das Bankgeheimnis endgültig zu begraben. Es wäre ein Entschluss auf der Höhe der Zeit.