Durch den Monat mit Azem Maksutaj (Teil 2): Gegen Betonpfosten?

Nr. 6 –

Azem Maksutaj: «Ich glaube, dass Jugendliche vor allem dann zuschlagen, wenn sie selber Angst haben.»

WOZ: Sie hatten vorletztes Wochenende ihren ersten Ernstkampf seit längerer Zeit. Wie geht es Ihnen?
Azem Maksutaj: Es geht ganz gut. Ich bin etwas müde, und meine Schulter schmerzt. Aber ich bin zufrieden. Den Kampf habe ich ja deutlich gewonnen.

Sind Verletzungen ganz normal in Ihrem Sport?
Eigentlich schon, aber bisher hatte ich immer Glück. Sogar meine Nase war nie richtig gebrochen, was eine Seltenheit ist unter Boxern. Ich habe sehr starke Knochen. Das kommt wohl von der gesunden Ernährung und der Landluft in meiner Kindheit.

Und kleinere Verletzungen?
Die gehören zum Alltag. Prellungen, Schnitte, so etwas gibt es auch im Training. Und so, wie ich früher trainiert habe, bin ich recht unempfindlich gegenüber Schmerzen geworden. Vor kurzem hat ein Arzt bei mir drei verheilte Rippen festgestellt. Die sind mir damals gar nicht aufgefallen. Aber als er sie mir zeigte, wusste ich genau, in welchem Kampf die gebrochen sind.

Das klingt fast so, als wäre Kickboxen völlig harmlos?
Nein, so meine ich das nicht. Ich weiss ja, dass dieser Sport gefährlich ist. Das macht ja auch den Reiz aus. Aber ich kenne meinen Körper, weiss, wo die Grenzen sind. In Las Vegas, nach meinem Kampf gegen Ruslan Karaev, wollte ein Arzt unbedingt eine Computertomografie machen lassen, da ich viele Schläge gegen den Kopf erhalten hatte. Aber ich wusste, es geht mir gut.

Der Kampf wurde zum zweit­besten Kampf der K-1-Liga gewählt.
Das war eine harte Sache, ich musste über Nacht im Spital bleiben. Ich hatte vor allem Schnitte, am Kinn und über dem Auge. Das blutet heftig, ist aber völlig ungefährlich.

Wie trainieren Sie für einen Kampf?
Ich bereite mich so um die sieben Wochen auf einen Kampf vor. Viel Krafttraining, Kämpfe mit Sparringpartnern, jeden Tag Joggen. Das ist wissenschaftlich durchgeplant, inklusive Ernährung.

War das schon immer so?
Überhaupt nicht. Als Jugendlicher bin ich einfach drauflosgerannt, so lange, bis ich fast kotzen musste. Und dann noch einen Kilometer, als müsste ich dem Teufel davonrennen. Und zu Beginn war es wichtig, in einer tiefen Gewichtsklasse zu bleiben, also habe ich wenig gegessen und kaum Wasser getrunken. Das ist nicht gerade gesund.

Ist das heute anders?
Dass ich früher so trainiert habe, lag ja nicht an meiner Schule, sondern an meiner Besessenheit. Ich kam hier als Fremder an, kannte die Sprache nicht und hatte wenig Freunde. Also inves­tierte ich alles in den Sport. Aber es hat sich schon verändert. Dass wir mit Video arbeiten, um die Bewegungsabläufe der Schüler zu filmen, zum Beispiel.

Die meisten Leute kennen Kickboxen nur aus dem Film. Tritt man im Training wirklich gegen Betonpfosten?
(Lacht) Nein, natürlich nicht. Aber Abhärtung ist ein wichtiger Teil, gerade an den Schienbeinen. Und das Training ist hart: Ich habe jeden Monat rund ein Dutzend Schüler, die neu bei mir anfangen – fast ein Drittel sind junge Frauen. Und nur wenige bleiben lange dabei.

Haben Sie überhaupt noch die Zeit, selber die Trainings zu leiten?
Die nehme ich mir. Sehen Sie, das ist nicht wie Häuser bauen, wo man Pläne zeichnen kann, die auch ein Stellvertreter ausführen kann. Das sind junge Menschen, um die man sich einzeln kümmern muss. Und das gilt nicht nur für die sogenannten Problemfälle.

Wie gehen Sie mit solchen ­Jugendlichen um?
Ich bringe ihnen bei, ihre Aggressionen anders einzusetzen. Und versuche ­ihnen die Angst zu nehmen. Ich glaube, dass Jugendliche vor allem dann zuschlagen, wenn sie selber Angst haben. Wer bereit ist, im Ring von einem Knie mit fünfhundert Kilo Schlagkraft in die Rippen getroffen zu werden, der verliert nicht so schnell die Beherrschung.

Im letzten Jahr erschien eine Studie, welche das Gegenteil behaup­tete: Kampfsportarten würden ­aggressiver machen.
Das habe ich auch gelesen, aber davon halte ich nichts, auch wenn es tatsächlich viele unlizenzierte Schulen gibt, denen es egal ist, ob sich ihre Schüler ausserhalb des Trainings prügeln. Da fehlt jegliche Kontrolle. Und Kickboxen ist nicht Tennis: Wenn Kickboxer die Beherrschung verlieren, kann das tödlich enden. Wer sich dieser Verantwortung bewusst ist, der hat es nicht nötig, auf der Strasse auf Schwächere loszugehen.

Azem Maksutaj (34) betreibt in Winterthur eine Kampfsportschule, das Wing Thai Gym, und gilt als der erfolgreichste Schweizer Kickboxer.

Nachtrag: Ende Februar 2010 kam der biografische Dokumentarfilm «Being Azem», eine Koproduktion von Pi-Filme, Schweizer Fernsehen und Teleclub, in die Schweizer Kinos. www.beingazem.ch/