Sambia: Kaunda kam im Kampfhemd
Anfang der siebziger Jahre lebte WOZ-Autorin Ruth Weiss als Korrespondentin der «Financial Times» in Lusaka. Kürzlich hat sie Sambia erneut besucht. Ein Streifzug durch die Geschichte.
Der Bus vom Flughafen, der mich kürzlich ins Zentrum von Lusaka, Sambias Hauptstadt, brachte, stotterte von einem Stau zum nächsten: Es war morgens um halb sieben. Rushhour.
Staus. Als ich vor fast vierzig Jahren hier lebte, gab es diese nicht. Auch nicht vor zwanzig Jahren, als ich das Land zum letzten Mal besuchte. Keine protzigen Personenwagen, keine Lastwagen und auch keiner dieser blauen Minibusse, die hier die Strassen verstopfen. Mein VW-Käfer stand damals abends mutterseelenallein vor meinem Appartement in der Nähe des Stadtzentrums. Den Wagen hatte ich 1971 in Wolfsburg abgeholt, ihn dann gemeinsam mit meinem fünfjährigen Sohn nach Hamburg gebracht, wo wir dann als einzige Passagiere auf einem Frachter nach Mombasa reisten, um später dann nach Lusaka weiterzufahren.
Als ich kürzlich Präsident Rupiah Banda besuchte, erinnerte er mich daran, dass man vor vierzig Jahren kilometerweit im Land umherfahren konnte, ohne einem anderen Fahrzeug zu begegnen. Meist fuhr man auf den berüchtigten Strip Roads, die aus zwei asphaltierten Streifen bestanden – hatte man einem entgegenkommenden Auto auszuweichen, kam man leicht ins Schleudern.
45 Jahre Unabhängigkeit
Jene Schiffsreise damals war der gemächliche Beginn einer hektischen fünfjährigen Arbeitszeit, in der ich parallel zwei Jobs hatte: als Wirtschaftsredaktorin der «Times of Zambia» und als Sambiakorrespondentin der britischen «Financial Times». Dazu kamen Nebenjobs etwa für die «Deutsche Welle» oder «Africa Business». Zu berichten gab es viel, doch AuslandskorrespondentInnen hatte es kaum.
Noch mehr als die verstopften Strassen beeindruckte mich, wie stark sich die Stadt in den Jahren ausgebreitet hatte. Aus dem einst schläfrigen Lusaka ist eine lebendige Stadt geworden, mit neuen Vororten, Einkaufszentren, Internetcafés und bunten Strassenmärkten. Auf den Strassen begegnet man jungen Leuten in Jeans und T-Shirt sowie gut gekleideten Geschäftsleuten.
Doch es gibt auch verlumpte Strassenkinder, und vor den Häusern stehen hohe Mauern mit Wachposten davor – Lusaka leidet wie viele andere Städte im südlichen Afrika unter einer hohen Kriminalität. «Es ist nicht die brutale Gewalt, die in Johannesburg herrscht», meinte einer meiner alten Freunde, «doch es ist schlimm genug.»
Ende Oktober 2009 hat Sambia seinen 45. Unabhängigkeitstag gefeiert. Zur Zeit der Unabhängigkeitserklärung war Sambia eines der reichsten afrikanischen Länder gewesen, dank der hohen Preise für Kupfer, das in den zwanziger Jahren entdeckt worden war. Doch bereits neun Jahre später, nach dem Zerfall des Kupferpreises und der zu schnell erfolgten Verstaatlichung der Kupferbergwerke und anderer Unternehmen, wurde das Land allmählich zu einem der ärmsten Afrikas – und das ist es bis heute geblieben. Rund sechzig Prozent der Bevölkerung leben mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag.
Sambias Expräsident
Auch die treue Unterstützung der Befreiungsbewegungen des südlichen Afrika durch Sambias ersten Präsidenten Kenneth Kaunda trug zur Verarmung des Landes bei, weil westliche Firmen und das weisse Regime in Pretoria die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Sambia einschränkten. Gegen sein Eigeninteresse förderte er den Kampf gegen Apartheid, Rassismus und Kolonialismus in fünf Ländern des südlichen Afrika: in den zwei portugiesischen Territorien Angola und Moçambique, in Südrhodesien, Südafrika und Namibia. Trotzdem hat Präsident Banda das Jubiläum im Oktober benutzt, um Oliver Tambo zu ehren, den verstorbenen Präsidenten des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), der Jahre in Lusaka im Exil verbrachte. Damit ehrte er gleichzeitig auch Expräsident Kaunda, der als Gast im Regierungshaus geladen war.
Als ich in den siebziger Jahren hier in Lusaka wohnte, litt Sambia unter den internationalen Sanktionen gegen Südrhodesien, das heutige Simbabwe. Vor Südrhodesiens illegaler Unabhängigkeitserklärung von Britannien am 11. September 1965 hatten sich die Wirtschaften der beiden Länder bestens ergänzt: Sambia lieferte Devisen aus dem Kupfergeschäft, Südrhodesien sorgte für die Konsumgüter.
Heute erhält man auch Konsumgüter «made in Sambia». Es fehlt an nichts, auch wenn alles sehr teuer ist. Doch die Abhängigkeit vom Kupfer ist geblieben. Der Ausbau der Agrarwirtschaft und anderer Exportbranchen hat schlicht nicht stattgefunden.
Kaundas Regionalpolitik, die damals die Wirtschaft belastete, stiess bei den Geschäftsleuten auf Ablehnung. Sie störten sich auch an Kaundas Verstaatlichungen sowie an dessen Einparteienstaat, den er 1973 einführte. Der Zorn gipfelte erstmals 1980 in einem Putschversuch – der jedoch erfolglos blieb. Zehn Jahre später sah sich Kaunda gezwungen, mehrere Parteien zuzulassen, und 1991 wurde der Präsident abgewählt.
Sambias Präsident
Präsident Rupiah Banda hatte als einer der jungen Männer um Kaunda bereits sehr früh diplomatische Erfahrung gesammelt: Während seines Studiums in Europa vertrat er dort die United National Independence Party (UNIP), Kaundas Partei; ab 1965 war er Botschafter unter anderem in Ägypten, den USA sowie der Uno; in den siebziger Jahren amtierte er als Aussenminister, bevor er in den achtziger Jahren das Amt des Staatsministers für den Bergbau übernahm.
Im Jahr 2000 zog Banda sich aus der Politik zurück, um jedoch zwei Jahre später in die Regierungspartei, das Movement for Multiparty Democracy (MMD), überzutreten. Darin folgte er anderen ehemaligen Parteigenossen, die Ende der achtziger Jahre das MMD gegründet hatten, weil sie Kaundas Einparteiensystem überdrüssig waren. Im Jahre 2006 holte der damalige Präsident Levy Mwanawasa Rupiah Banda zurück nach Lusaka und übergab ihm den Posten des Vizepräsidenten.
Als Mwanawasa im August 2008 an einem Schlaganfall starb, übernahm Banda das Präsidentenamt. Zwei Monate später gewann er die Wahlen.
Dass Banda seinen Posten eher dem Zufall verdankt, darauf weist die regierungskritische Zeitung «The Post» gerne hin. Das unabhängige Blatt kritisiert auch die hohe Zahl der Ministerposten, die zu kostspielig sei. Damit ist die Zeitung auch ein Beweis für die Pressefreiheit in Sambia, die in Afrika ansonsten alles andere als gang und gäbe ist – und auf die Banda im Gespräch mit einigem Stolz hinwies.
Banda ist einer, der die Dinge ruhig anpackt. Der 73-Jährige ist ein Mann mit langer politischer Erfahrung, der sich nur ungern exponiert. So hielt er sich beim Thema «Simbabwe» und der Politik von Präsident Robert Mugabe bedeckt. Dabei ist Sambia zusammen mit Moçambique und Swasiland innerhalb der Southern African Development Community, der südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft, verantwortlich für die Lösung der politischen Krise in Simbabwe. Zwar einigten sich Mugabe und Oppositionsführer Morgan Tsvangirai nach heftigen Gewaltausschreitungen Ende 2008 auf eine Machtteilung. Doch der Konflikt zwischen den beiden Lagern geht weiter.
Er sei mit der Bemerkung seines Vorgängers, des verstorbenen Präsidenten Mwanawasa, einverstanden gewesen, sagte der Präsident im Gespräch; der hatte Simbabwe mit der «sinkenden Titanic» verglichen. Doch er sei überzeugt, dass die Regierungskoalition der beiden simbabwischen Parteien für das Land die einzige mögliche Lösung sei.
Ob ich Kaunda bereits getroffen habe, wollte Präsident Banda am Schluss unseres Gesprächs wissen. Nur kurz auf einem Mediensymposium, antwortete ich. Banda griff zum Telefon, und bald darauf sass ich in einer Regierungskarosse auf dem Weg zu Kaundas Büro.
Kenneth Kaunda, inzwischen 85 Jahre alt, arbeitet in einem gut geschützten Gebäude, dem Hauptsitz seiner Stiftung, die sich dem Kampf gegen Aids verschrieben hat. Kaunda trug sein Kampfhemd, wie er das dunkelrote T-Shirt bezeichnete, an dem lauter rote Schleifen hafteten. 1986 verlor Kaunda einen seiner Söhne durch die Krankheit. Bereits damals trat er mit der Geschichte an die Öffentlichkeit; und nach dem Ende seiner Amtszeit gründete er die Stiftung.
Wir unterhielten uns vor allem über die Bekämpfung von Aids. Es wäre unfair gewesen, ihn auf vergangene Zeiten anzusprechen. Kaunda war von seinem Nachfolger, MMD-Führer Frederick Jacob Titus Chiluba, der aus der Gewerkschaftsbewegung kam, äusserst unfair behandelt worden. Chiluba, offenbar nicht zufrieden damit, dem alten Führer die Macht entrissen zu haben, versuchte ihn dann mundtot zu machen. Er stellte ihn sogar einige Zeit unter Hausarrest. Zudem änderte er die Verfassung im Versuch, Kaunda als «Nichtsambier» klassieren zu können, um ihn so für immer von der Politik fernzuhalten. Ein alter Freund von mir, bei dem ich einige Tage wohnen konnte – der noch immer aktive Altkämpfer Simon Zukas, der im ersten MMD-Kabinett als Agrarminister sass –, trat deshalb aus der Regierung aus.
Kaundas Erbe
Chiluba, dessen Amtsantritt von westlichen Regierungen und InvestorInnen nach Kaundas erfolgloser Wirtschaftspolitik begrüsst worden war, hat vor allem für seine zweite Amtsperiode nicht nur Ruhm verdient. 2007 sprach ein Londoner Gericht Chiluba für schuldig, zusammen mit Komplizen fünfzig Millionen US-Dollar aus der Staatskasse gestohlen zu haben. Ob die sambische Regierung nun das Urteil anerkennt, ist in Lusaka immer noch ein heiss umstrittenes Thema.
In einem anderen Verfahren wurde Chiluba jedoch im August 2009 von einem Gericht in Lusaka entlastet. Chiluba war in diesem Fall angeklagt, weitere 500 000 US-Dollar aus der Staatskasse entwendet zu haben. Doch alle meine Gesprächspartner in Lusaka stimmten überein, dass wohl Druck auf den sambischen Richter ausgeübt worden war.
Und über noch etwas war man sich einig: Es wäre das Beste gewesen, wenn Chiluba für schuldig befunden worden wäre – auch wenn Banda ihn dann begnadigt hätte. Damit wäre ein Präzedenzfall für die Bestrafung hoher Politiker geschaffen worden, die sich aus der Staatskasse bedienen. So wurde die Geschichte lediglich zu einem weiteren Fall von Regierungskleptomanie.
In Gegensatz zu vielen anderen Ländern Afrikas herrscht in Sambia Frieden. Und die Demokratie ist nicht nur Fassade. Trotz aller Kritik an Expräsident Kenneth Kaunda ist das nicht zuletzt auch ihm zu verdanken. Er hat Fehlentscheidungen getroffen und auch seine politischen Gegner unterdrückt. Doch gleichzeitig ermöglichte er den nachfolgenden Generationen, sich wirtschaftlich und intellektuell zu entfalten.
Und vor allem hat er 1991 seine schmerzliche Niederlage im Wahlkampf akzeptiert.
Die Ruth-Weiss-Schule
Es kommt in Deutschland nicht oft vor, dass eine Schule nach einer lebenden Person benannt wird. Diese Ehre wird nun unserer langjährigen Mitarbeiterin Ruth Weiss (85) zuteil. Ende Januar hat der Kultur- und Schulsenat der Stadt Aschaffenburg einstimmig beschlossen, der staatlichen Realschule für Mädchen einen Namen zu geben: Ruth Weiss. Er folgte damit einem gemeinsamen Wunsch des LehrerInnenkollegiums, des Elternbeirats und der Schülerinnenvertretung.
Die 1924 als Kind jüdischer Eltern in Fürth geborene Ruth Weiss war vor der Emigration nach Südafrika 1936 öfter in Aschaffenburg gewesen, weil dort Verwandte lebten. Nun muss noch das bayerische Kultusministerium die Namensgebung genehmigen – was allgemein erwartet wird.