Fussball und Politik: Jubel, Trubel, Pleitegeier

Nr. 15 –

In St. Gallen eskaliert nach dem Cup-Halbfinal der Streit zwischen Fans und Verein. FCSG-Präsident Michael Hüppi erklärt nun im WOZ-Interview erstmals, dass der Klub unter massivem finanziellem Druck steht: Die Ostschweizer können die Rechnungen für die Sicherheitskosten nicht mehr bezahlen.


WOZ: Michael Hüppi, als Sie vor eineinhalb Jahren Präsident des FC St. Gallen wurden, sagten Sie: Reden vor Repression. Jetzt haben Sie – im Lande einmalig – ein vorläufiges Verbot für Choreografien im Stadion erlassen. Strafen wollen Sie eigentlich Pyromanen. Das erweckt den Eindruck, dass Sie massiv unter Druck stehen.

Michael Hüppi: Der Verein steht unter massivem Druck. Wir haben ein ernsthaftes wirtschaftliches Problem, weil wir im neuen Stadion wahnsinnig viel für Sicherheit bezahlen müssen. Die Kosten steigen permanent. Die rund eine Million Franken, die uns die Polizei im Jahr verrechnet, ist viel zu hoch. So tötet man den Fussball.

Man tötet den Fussball? Werden Sie nicht mehr zahlen können?

Es wäre schön, wenn wir hier im Konjunktiv redeten. Die Wahrheit ist: Wir können die Rechnungen der Stadt schon jetzt nicht mehr bezahlen.

Sie stehen in der Kreide?

Ja. Wir diskutieren über die Höhe einiger Rechnungen.

Um wie viel Geld geht es?

Um rund eine halbe Million Franken. Und es wird permanent mehr. Das Spiel gegen Luzern am letzten Sonntag war als Hochrisikospiel eingestuft. Da können Sie 100 000 Franken dazurechnen. Die Stadt betreibt uns bisher nicht, weil sie weiss: Die Sicherheitskosten brechen uns das Genick. Wir stehen in Verhandlungen mit Stadt und Kanton.

Einfach nicht bezahlen – das ist keine Lösung.

Nein. Aber es ist für uns auch nicht leicht: Wir haben kein Mitspracherecht. Die Polizei entscheidet über die Grösse des Einsatzes und schickt uns die Rechnung. Wir müssen sechzig Prozent der Vollkosten tragen. Diese Kosten gilt es zu senken.

Wie?

Wir kämpfen unter anderem um eine grössere Beteiligung der öffentlichen Hand. Aber das ist schwierig. Der FCSG hat derzeit ein schlechtes Image. Nicht wegen des sportlichen Aspekts. Wir stehen als Aufsteiger mit vielen jungen Spielern in der ersten Tabellenhälfte und kamen bis in den Halbfinal des Cups. Nein.

Es geht um Pyro.

Ja. Das «St. Galler Tagblatt» zeigt montags kaum noch Bilder von fliegenden Torhütern, jubelnden Spielern oder Fans, sondern meistens von vermummten Pyromanen. Da erschrecken alle, auch deshalb, weil Pyro immer mit Gewalt gleichgesetzt wird. Die Exekutive hat es nicht einfach: Wenn sie uns auch nur einen Teil der offenen Rechnungen erliesse, hätte sie ein Problem mit dem Parlament. Dort geniesst der FC keinen Goodwill mehr, zumindest bei der Mehrheit nicht. Bei vielen Politikern in allen Parteien besteht die Erwartungshaltung, dass der Klub irgendwas tut.

Ein Verbot von Choreografien wirkt hilflos.

Das ist möglich. Ich habe den Dialog immer gesucht. Womöglich sind wir mit dieser Politik gescheitert. Bis zur Winterpause war das Verhältnis zu den Fans jedoch gut. Seither hat das Abbrennen von Fackeln massiv zugenommen.

Warum?

Ich weiss es nicht. Womöglich gab es auch Differenzen in der Kurve. Im Cup-Halbfinal hatte ich den Eindruck – es wurden immer wieder Fackeln gezündet –, es gehe bei der Pyro nicht mehr darum, den Verein anzufeuern, sondern darum, einen Machtkampf auszutragen: Wir zünden, wann es uns passt. Die Stimmung war aggressiv. Feuerzeuge flogen aufs Feld, ein Sackmesser. Der Schiedsrichter wurde von Anfang an beschimpft. Das passiert auch auf der Haupttribüne. Der Unterschied ist, dass es dort nicht orchestriert wird und aus tausend Kehlen gleichzeitig kommt. Diese massive, systematische, absolut humorlose Verunglimpfung einer einzelnen Person hat etwas Faschistoides und steht für mich im Widerspruch zum Kodex der Fans, keine rassistischen, diskriminierenden Äusserungen dulden zu wollen. Jenes Spiel war ein Tiefpunkt.

Die Bussen für Pyro sind verhältnismässig gering. Sie treffen den Verein mit bis dato 80 000 Franken in der laufenden Saison zumindest nicht existenziell. Das Problem der steigenden Sicherheitskosten für den Polizeieinsatz ausserhalb des Stadions, die in die Millionen gehen, lösen Sie mit einem Choreoverbot nicht.

Nein, aber ich habe mit meinem Vorpreschen ein Zeichen gesetzt. Die Politik darf nicht das Gefühl haben, dass wir nichts tun, dass es uns egal ist, was im Stadion läuft und was die Sicherheit kostet. Es ist uns nicht egal. Und deshalb müssen die Fans etwas verstehen: Es geht uns nicht darum, sie schlecht zu behandeln. Aber wir stehen unter heftigem Zugzwang und haben ein gemeinsames Ziel: unsere Mannschaft zu unterstützen. Ich verstehe die Bedenken der Sponsoren, die darüber nachdenken, wie interessant es für sie ist, uns weiter zu unterstützen, wenn das Sportliche, trotz guter Leistung, vorübergehend in den Hintergrund rückt. Wir brauchen und wollen den Support der Fans, wir brauchen den Support der Geldgeber. Bei der jetzigen Entwicklung laufen wir Gefahr – und das bedauere ich ausserordentlich –, dass die Politik voll und ganz das Heft in die Hand nimmt. Dass die Politik bestimmt, was wann, wo, wie und unter welchen Umständen bei uns stattfindet, und wir das nicht mehr selber bestimmen können.

Der nächste Schritt dazu passiert am Freitag: Dann stellt die Konferenz der Kantonalen Justiz- und PolizeidirektorInnen ihre neusten Massnahmen zum Thema Gewalt im Sport vor: eine Mustervereinbarung zwischen lokalen Behörden und der Liga, welche die Vereine zu Zugeständnissen zwingen soll. Die Vorgabe ist klar: Wer nicht mitmacht, wird voll zur Kasse gebeten.

Da werden Massnahmen gefordert, die einerseits nicht auf ihre Umsetzbarkeit hin geprüft sind und andererseits die Kosten für die Vereine steigen lassen. Wir haben über die Liga Gegensteuer gegeben. Gemeinsam mit Bernhard Heusler, dem Vizepräsidenten des FC Basel, habe ich für die Präsidenten der Super-League-Klubs den Vereinbarungsentwurf, wie er von den Direktoren zur Liga kam, umformuliert und angepasst und das Papier so an die Liga zurückgeschickt.

Was störte Sie?

Was mich am meisten stört, ist die grundsätzliche Bewilligungspflicht, welche die KKJPD verlangt. Die Empfehlung der KKJPD also, dass die jeweilige lokale Behörde dem Verein für das Spiel X eine Bewilligung erteilen soll, gebunden an einen Forderungskatalog. Je nachdem, wie viele der Forderungen ein Verein erfüllt – etwa ein Alkoholverbot im Gästesektor oder der Verzicht auf Stehplätze –, desto kulanter soll die öffentliche Hand bei der Übernahme der Sicherheitskosten sein.

Sie werden sich querstellen?

Wir müssen Massnahmen ergreifen, aber das müssen doch Massnahmen sein, die uns weiterbringen und nicht einfach noch mehr Kosten verursachen. Die Abschaffung der Stehplätze etwa ist in St. Gallen kein Thema mehr. Denn auch in reinen Sitzplatzstadien gibt es Probleme. Auch die Massnahme, dass ab nächster Saison in allen Stadion nur noch Leichtbier ausgeschenkt werden soll, finde ich nicht gut: Ich bin mit dem Fanzug Ende Februar nach Neuenburg gereist – ein Highlight. Ich habe aber auch gesehen, wie viel da gesoffen wird, bis die Fans endlich im Stadion sind. Klar, Alkohol setzt die Hemmschwelle hinunter, aber dann muss man doch woanders ansetzen, in der Prävention etwa und nicht im Fussballstadion. Wer sich zudröhnen will, der macht das halt vorher. Die steigenden Sicherheitskosten gefährden unsere Existenz. Die jetzigen Vorschläge beruhigen mich nicht.

Das klingt alles ziemlich düster ...

Wir müssen über neue Wege nachdenken. Kann es wirklich mehr Repression sein? Was hat das bisher gebracht? Wie schaffen wir ein friedlicheres Miteinander? Christian Constantin, Präsident des FC Sion, sagte mir kürzlich: «Was wäre denn, wenn wir die Gäste mal als wirkliche Gäste empfangen?» Ich fragte: «Wie meinst du das?» Er sagte: «Ich spendiere jedem, der ankommt, eine lokale Spezialität, eine Portion Raclette und ein Glas Weisswein. Ihr in St. Gallen könntet jedem Gast eine Bratwurst und ein Bier spendieren.» Wir können jetzt darüber lachen, denn womöglich ist das utopisch. Und trotzdem lässt mich der Gedanke nicht mehr los: Was würde passieren, würde man die 500 Gästefans am Bahnhof in Winkeln mit Bratwurst statt mit Absperrgittern und Gummischrotflinten empfangen? Soll ich den Versuch wagen? Hinstehen, statt Sicherheit zu delegieren? Aber wer trägt dann das Risiko, wenn die Sache schiefgeht?


Als junger Mann fuhr Michael Hüppi (56) Velorennen, etwa die Züri Metzgete. Nach der Matura studierte Hüppi, älterer Bruder des TV-Sportmoderators Matthias Hüppi und Neffe des ehemaligen CVP-Bundesrats Kurt Furgler, in Bern Jura. Seine Dissertation schrieb er zum Thema «Gewerkschaften im Rechtssystem der sozialistischen Staaten». Danach kehrte Hüppi nach St.Gallen zurück und begann als Praktikant in der Anwaltskanzlei, in der er noch heute arbeitet und als Partner beteiligt ist.

Im Juni 2008 übernahm der Witwer und Vater von zwei Kindern das Amt des Präsidenten des FC St. Gallen. Er führte den Verein, der damals gerade in die Challenge League abgestiegen war, aus einer tiefgreifenden finanziellen, sportlichen und personellen Krise.