Visions du Réel: Ein Mantra für 2000 Euro

Nr. 16 –

Am Dokumentarfilmfestival in Nyon zeigten zwei Schweizer Filme auf unterschiedliche Weise, wie sich eine harmlose Gruppe um einen indischen Guru zur totalitären Gemeinschaft entwickelte.


Sie suchten Liebe, Glück und Erleuchtung – und landeten in einem System, das immer totalitärere Züge annahm, in dem eine eigene Meinung nicht gestattet ist und das Geld regiert.

Der Dokumentarfilm «Guru – Bhagwan, His Secretary & His Bodyguard» der Schweizer FilmemacherInnen Sabine Gisiger und Beat Häner, der an den Visions du Réel im internationalen Wettbewerb uraufgeführt wurde, zeichnet die Geschichte der Bhagwan-Bewegung nach. Die Bewegung entstand in den siebziger Jahren um den charismatischen Inder Rajneesh Chandra Mohan (1931–1990). Ab 1971 nannte er sich Bhagwan – «der Erleuchtete». Berühmt wurde er unter anderem mit seiner Ideologie «Durch Sex zur Erleuchtung». Tausende Blumenkinder aus dem Westen pilgerten zu ihm nach Poona – später auch nach Oregon (USA).

Die Sekretärin und der Leibwächter

Gisiger und Häner verknüpfen in ihrem Film historische Archivaufnahmen mit Interviews mit zwei ehemaligen Mitgliedern der Bewegung: Da ist Sheela, eine sanft wirkende sechzigjährige Inderin, die heute im Baselbiet lebt und als Bhagwans Sekretärin jahrelang seine wohl einflussreichste und wichtigste Mitarbeiterin war. Da ist der Engländer Milne, der als Bodyguard jahrelang an Bhagwans Seite lebte. In ihren Erinnerungen erzählen die beiden unterschiedlichen Menschen, die kurz ein Liebespaar waren, wie sie bei der Entstehung der Bewegung dabei waren, begeistert von den Ideen und dem Charisma des Gurus, wie die Bewegung wuchs und sich entwickelte: Aus einer Gruppe, die Liebe und Erleuchtung propagierte, wurde eine paramilitärisch organisierte, mit Waffen bewachte Gemeinschaft, in der interne Telefone abgehört und aus der KritikerInnen verbannt werden.

Während Milne kritisch auf diese Entwicklung zurückblickt – auch wenn die Liebe und der Respekt gegenüber Bhagwan noch immer spürbar sind –, fehlt bei Sheela jegliche Kritik und erst recht jede Selbstkritik. Sie, die mit strenger Hand stets die Anweisungen des Gurus ausführte, Telefone abhören liess oder AussteigerInnen wie Milne denunzierte, übernimmt dafür keine Mitverantwortung. Das Ganze sei eben ein System gewesen, das so funktioniert habe, meint sie trocken, sie habe nur ihren Job gemacht. Dieses System konnte übrigens auch dank eines grosszügigen Kredits der UBS so lange so gut funktionieren. Gerade in Kombination mit den Archivaufnahmen, auf denen die junge, ehrgeizige Sheela immer wieder erscheint, wirkt das Fehlen jeder Einsicht erschütternd. Gisiger und Häner haben mit «Guru – Bhagwan, His Secretary & His Bodyguard» einen gut recherchierten und stimmig montierten Dokumentarfilm geschaffen, der eindrücklich zeigt, wie eine Gemeinschaft, die eine Gruppe voller Liebe werden wollte, in einem totalitären System endete.

Wenn David Lynch meditiert

Einen ganz anderen Zugang zu einem ähnlichen Thema hat der Berliner Regisseur David Sieveking in der deutsch-österreichisch-schweizerischen Koproduktion «David Wants to Fly» gewählt. Sieveking inszeniert sich am Anfang seines Films als erfolgloser Filmschulabsolvent. Seine Stimme aus dem Off verrät, dass er eigentlich abgründige Filme machen möchte, wie sein Idol David Lynch. Doch dazu, das muss er leider feststellen, fehlen ihm die Abgründe.

Als Lynch in Iowa über den Segen der Transzendentalen Meditation (TM) referiert, fliegt Sieveking kurz entschlossen dorthin und versucht, mit Lynch in Kontakt zu kommen. Das gelingt ihm sogar, und der grosse Regiemeister weckt in ihm das Interesse für diese TM. Zurück in Deutschland kauft sich Sieveking für über 2000 Euro sein persönliches Mantra und meditiert stundenlang. Doch je mehr er sich mit der TM auseinandersetzt, desto stärker merkt er, dass die Bewegung um den unlängst verstorbenen Guru Maharishi Mahesh Yogi nicht unumstritten ist. Er beginnt, stets begleitet von der Kamera, zu recherchieren, besucht internationale Treffen der Bewegung, trifft hohe VertreterInnen und ehemalige Mitglieder – das Bild seines Idols beginnt zu wanken.

Während sich Gisiger und Häner in ihrem Film zurücknehmen, stellt sich Sieveking in den Mittelpunkt seiner Recherchen. «David Wants to Fly» ist die Suche eines Filmemachers nach der Erleuchtung. Am Ende hat er diese nicht nur nicht gefunden, sondern auch noch sein Idol verloren.

Sieveking inszeniert sich mit viel Selbstironie und einer Naivität, die manchmal überrascht, aber dem Film guttut. Der Film hat aber durchaus auch seine ernsten und gruseligen Momente. Zum Beispiel wenn ein feissgesichtiger hoher Vertreter der Maharishi-Bewegung an einer öffentlichen Veranstaltung in Berlin vom «unbesiegbaren Deutschland» spricht und erstaunt ist, als ihn das Publikum als verkappten Faschisten anklagt. Oder wenn David Lynch Sieveking mit starrem Blick von der Grossartigkeit der Transzendentalen Meditation erzählt und dabei mit seinen Händen rechts und links neben dem Kopf krakenhafte Bewegungen macht. Lynch geht jegliche kritische Selbstreflexion ab, und je kritischer Sieveking gegenüber der TM wird, desto mehr zieht sich Lynch von ihm zurück und verweigert ihm das Gespräch.

Dass er sich auf ein heisses Terrain gewagt hat, merkt Sieveking spätestens, als ihm die TM-Bewegung mit einer Klage droht, falls er ihnen den Film nicht zur Vorvision vorlegt. Auch Lynch als Gutachter des Films lehnt Sieveking schliesslich dankend ab.

Kritik erwünscht

Sowohl «David Wants to Fly» wie auch «Guru – Bhagwan, His Secretary & His Bodyguard» zeigen, wohin die Sehnsucht nach einem Sinn im Leben führen kann – und wie diese Sehnsucht missbraucht wird: von Personen, die von ihrer Gier nach noch mehr Macht und Geld angetrieben werden.

In Nyon wurde es nach der Vorführung von «Guru – Bhagwan, His Secretary & His Bodyguard» emotional: Während der Diskussion unterbrach ein Zuschauer das Gespräch der FilmemacherInnen und beschimpfte den Film als Lügengeschichte und als eine Manipulation von Sheela und Milne. Festivalleiter Jean Perret bewies einmal mehr, dass er nicht nur eine gute Hand für die Programmation hat, sondern auch ein begnadeter Gesprächsleiter ist: Nachdem er den aufgebrachten Mann zurechtgewiesen hatte, überreichte er ihm das Mikrofon und forderte ihn auf, zu erklären, warum er so wütend sei. Der Mann stellte sich als Mitglied der Bhagwan-Bewegung vor und beklagte sich in einer ausschweifenden Rede über die Einseitigkeit des Films, der nur die Schattenseiten der Bewegung und des Gurus zeige, nicht aber deren Sonnenseite.

Die Kritik wurde zu Kenntnis genommen. Im Gegensatz zu Veranstaltungen der Maharishi-Bewegungen, wo internen KritikerInnen das Mikrofon ausgeschaltet wird, und zur Bhagwan-Bewegung, in der kritische Mitglieder ihren Status verloren und aus der Gruppe verbannt wurden, ist am Visions du Réel Kritik noch immer erlaubt und sogar erwünscht.