Christa Wichterich: Es gibt keinen Grund zum Feiern
Die deutsche Soziologin über Frauenarbeit, den flexibilisierten Markt und Alphamädchen, die den Kapitalismus funktionstüchtiger machen wollen.
WOZ: Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt angekommen und dabei, die Männer einzuholen, hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kürzlich verkündet. Ein Grund, die Sektkorken knallen zu lassen?
Christa Wichterich: Von wegen Sekt. Dass mehr Frauen berufstätig sind, bedeutet keineswegs auch Existenzsicherung oder gar Aufstieg. Tatsächlich hat die Globalisierung der Märkte in den letzten dreissig Jahren zu mehr Beschäftigung von Frauen geführt, doch die Zahlen sagen nichts darüber, was das konkret heisst. Frauen arbeiten nämlich überwiegend in flexiblen, schlecht bezahlten und prekären Beschäftigungsverhältnissen. Gleichzeitig sinken die Reallöhne in den männlich dominierten Sektoren, und die Zahl der tariflich geschützten Arbeitsplätze nimmt ab. Die von der OECD beschriebene Integration geht also einher damit, dass Männer ihre traditionelle Versorgerrolle gar nicht mehr ausfüllen können. Ich nenne das paradoxe Integration.
Im Gegensatz zu den dreissiger Jahren sind heute vorwiegend Männer von der Wirtschaftskrise betroffen. Sind Frauen inzwischen unabkömmlicher?
Die Krise hat, und das gilt für alle Industrieländer, durch die sinkende Nachfrage zuallererst die Exportsektoren ergriffen, und das betrifft vor allem männliche Arbeitsplätze. Deshalb wurden zunächst Männer entlassen und in Kurzarbeit geschickt, während die Frauen, die in den Dienstleistungssektoren und in überwiegend flexibilisierten Verhältnissen tätig sind, vorerst verschont blieben. Dasselbe kann man übrigens in allen Rezessionen der Nachkriegszeit beobachten: Mehr Männer verloren ihre Jobs, während die Bedeutung der Frauen als Versorgerinnen stieg. Die Männerarbeit wird abgewertet, während Frauen mehrere prekäre Minijobs annehmen, ohne allerdings mehr zu verdienen.
Waren es also weniger die Emanzipationsanstrengungen der Frauen als vielmehr objektive Entwicklungen, die Frauen auf dem Arbeitsmarkt begünstigt haben?
Ich würde das nicht gegeneinander ausspielen. Frauen im Westen drängen seit Jahrzehnten in die Erwerbsarbeit und haben die realen Möglichkeiten als Emanzipationschance für sich genutzt. Gleichzeitig verkünden Global Player wie die Weltbank oder das Weltwirtschaftsforum das Credo, dass Länder, die wettbewerbsfähig sein wollen, ihre weibliche Bevölkerung integrieren müssen. Diese Entwicklung ging einher mit der Flexibilisierung der Beschäftigungsformen, die der subjektiven Situation der Frauen entgegenkommt, aber auch mit Niedriglöhnen und Prekarisierung. Die Ziele der Frauen – Selbstbestimmung und autonome Existenzsicherung – fügten sich nahtlos in die Interessen der Märkte, die Eigenverantwortung und Flexibilität auf ihre Fahnen schrieben. Es handelt sich also um eine neoliberale Gleichstellung unter den privatisierten und deregulierten Bedingungen der Märkte.
Frauen sind heute in vielen Branchen selbstverständlich. Doch wenn sie in die höheren Leitungsebenen der Wirtschaft gelangen, verdienen sie bis zu einem Drittel weniger als ihre Kollegen. Warum?
Das ist zuallererst eine Machtfrage. Der Kernbereich des Kapitalismus hat sich von der Produktion auf den Finanzmarkt verschoben. Und der ist tatsächlich sehr männerbündisch organisiert und bildet prototypisch die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Erwerbsarbeit ab. Ein Grossteil der Beschäftigten in den personennahen Dienstleistungen der Banken und Versicherungen sind zwar teilzeitbeschäftigte und unterbezahlte Frauen. Aber an den Spitzen der Finanzmärkte sitzen Männer, die dort ihre männlichen Zockereigenschaften kultivieren, wie die Krise gezeigt hat. Die Frauen dringen in diese Segmente nicht vor, weil sie diese Fähigkeiten entweder nicht beherrschen oder nicht in gleicher Weise bereit sind, sie anzuwenden. Zusätzlich neigen Frauen dazu, sich im Arbeitsleben zu unterschätzen. Entscheidend aber ist, dass sie nicht reingelassen werden.
Hätte es mit «soften» Lehman Sisters die Krise gar nicht gegeben?
Das unterschätzt die Funktionszwänge auf den Finanzmärkten und in den transnationalen Wertschöpfungsketten. Andererseits treten die Alphamädchen, die es mit den Männern aufnehmen wollen, ja damit an, dass sie durch ihr verantwortungsvolleres Management das System weniger krisenanfällig und damit funktionsfähiger machen.
Die Leiterin eines Pflegediensts berichtete mir kürzlich, sie beschäftige nur Frauen, bemühe sich aber, auch Männer einzustellen. Das sei schwierig, weil sie nur wenig bezahlen könne. An diesen Arbeitsmarktrealitäten scheint sich nichts zu ändern.
Die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung setzt sich in ungleicher Bewertung und Bezahlung fort. Gerade in der Pflege erlebt man häufig, dass der einzige Mann in einer Abteilung die Leitung innehat, während Frauen die harte Pflegearbeit verrichten – davon viele mit Migrationshintergrund. Die wenigen Männer, die ich in der Pflegearbeit sehe, sind ebenfalls Migranten. Sie haben nur Zugang zu gering bewerteten Arbeitsmarktsegmenten, darunter auch typisch «weiblicher Arbeit».
Andererseits werden nun – da die Anforderungen an Kindererziehung und Pflege höher werden – Tätigkeiten sichtbar, die früher in der privaten Sphäre des Haushalts verrichtet wurden. Ist das nicht auch eine Chance?
Das ist eine höchst ambivalente Entwicklung. Ein Teil der Hausarbeit verlagert sich auf den Arbeitsmarkt. Die Mittelschichten mit entsprechenden Ressourcen stellen dafür überwiegend Migrantinnen ein, die unter prekären Bedingungen arbeiten. In diesen neuen globalen Sorgeketten wandern Frauen aus ärmeren Ländern in die reicheren ein und übernehmen dort Haus- und Betreuungsarbeiten. Statt dass sich Frauen und Männer die Hausarbeit teilen, wie von der Frauenbewegung einmal angestrebt, bildet sich zwischen Frauen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Herkunftsländern eine neue Arbeitsteilung heraus. Die Globalisierung machts möglich. Auf dem Pflegemarkt wiederum sind es private Pflegedienste, aber auch die Wohlfahrtsorganisationen mit Subunternehmen, die Frauen zu niedrigsten Löhnen stundenweise beschäftigen. Das heisst insgesamt, die Marktgesetze, nämlich effizient zu sein und Gewinn zu machen, greifen auf die Sorgearbeit über.
Wiederholt sich auf dem Markt, was sich vorher im Haushalt nach der Ära der Dienstmädchen abgespielt hat?
Ja, aber nun bestimmt der Markt das Geschehen und strukturiert die Formen der Arbeit. Das höhlt aber nicht etwa das System von unten aus, sondern es werden einfach nur mehr Arbeitsbereiche integriert und die Übergänge fliessender gestaltet. Wichtig ist, dass es in den globalen Sorgeketten immer mehr Frauen gibt, die diese Entwicklung sehen und thematisieren. Auf dem Höhepunkt der Krise haben hierzulande beispielsweise die Erzieherinnen gestreikt. Hinter diesem Arbeitskampf stand implizit die Frage, warum die Regierung zwar Banken und Automobilindustrie rettet, die Arbeit mit Kindern aber nichts wert sein soll. In Hongkong wiederum haben sich Migrantinnen, die als Hausangestellte arbeiten, organisiert. Sie wollen nicht nur als vollwertige Arbeiterinnen bezahlt und anerkannt werden, sondern auch als Bürgerinnen, die unabhängig von ihrem Arbeitsort soziale Rechte haben. Solche Kämpfe können ins öffentliche Bewusstsein bringen, dass wir an der Verteilung und an der Bewertung von Arbeit grundsätzlich was ändern müssen.
Christa Wichterich ist Soziologin, Gutachterin in der Entwicklungszusammenarbeit und Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten. Im Herbst 2009 erschien im Ulrike Helmer Verlag ihr Buch «Gleich, gleicher, ungleich. Paradoxien und Perspektiven von Frauenrechten in der Globalisierung».