USA: Menschenjäger im Bürostuhl

Nr. 23 –

Wer die sogenannten Killerdrohnen steuert, arbeitet Tausende Kilometer von den Kriegsschauplätzen entfernt in klimatisierten Büros. Auch in der Schweiz denkt man über diese neue Art der Kriegsführung nach. Dabei fehlt den Drohneneinsätzen die internationale rechtliche Grundlage.


Auf dem Bildschirm ist in Schwarzweiss leicht verschwommen eine Hütte zu sehen. Davor sitzen ein paar Leute und trinken. An der Hauswand lehnt ein Gegenstand, der aussieht wie ein Gewehr. Plötzlich explodiert das ganze Bild in einer Staubwolke. Die fünf Menschen und die Hütte dahinter sind weg – weggeputzt von einer Rakete der US-Airforce namens Hellfire, Höllenfeuer. Abgefeuert hat das tödliche Geschoss ein unbemanntes Kampfflugzeug – eine sogenannte Killerdrohne.

Terrorisierte Landbevölkerung

Solche Szenen spielen sich in Nordwasiristan, dem pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan, immer öfter ab. Killerdrohnen namens Predator oder Reaper der US-Airforce verbreiten in dem entlegenen Gebiet Angst und Schrecken. «Wir geraten in Panik, weil wir jederzeit befürchten müssen, dass eine Rakete einschlägt», sagten pakistanische Bauern im Dorf Mir Ali dem deutschen Nachrichtenmagazin «Spiegel». Im Januar wurden auch dort drei Menschen mit einer Killerdrohne umgebracht. Das pakistanische Fernsehen zeigt immer wieder Häuser und Fahrzeuge, die die US-Truppen mit Drohnen zerstört haben. Und der Blutzoll unter der Landbevölkerung ist hoch: Mehr als tausend Menschen sind in der Region den mörderischen Kleinflugzeugen bisher zum Opfer gefallen – die Mehrzahl davon ZivilistInnen.

Aber die Verantwortlichen für diese «gezielten Tötungen» bezeichnen ihre Opfer stets als Talibanführer, Aufständische und Terroristen. Diesem Muster folgten sie auch, als sie im Juli 2007 in Bagdad von einem Helikopter aus den Reuters-Fotografen Namir Noor-Eldeen und eine ganze Gruppe weiterer Zivilisten mit Schnellfeuerkanonen exekutiert hatten: Den Eltern Noor-Eldeens sagten Offiziere der US-Besatzer, er sei «ein Terrorist» gewesen. Erst als die Bilder des Anschlags diesen April über die Website Wikileaks um die Welt gingen, war die Lüge nicht mehr haltbar.

Der Fall ist eine Ausnahme, die die Regel bestätigt, dass die schmutzigen Details dieses Krieges geheim gehalten werden. Dennoch gibt es Zahlen: Als die US-Airforce am 5. August 2009 den mutmasslichen Talibanchef Baitullah Mehsud in Pakistan mit einer Killerdrohne umbrachte, riss die Rakete auch seine Frau, einen Onkel, einen Arzt und acht weitere Menschen mit in den Tod. Und diese elf Toten waren noch der kleinste Teil des «Kollateralschadens», den die US-Streitkräfte während ihrer monatelangen, ferngesteuerten Menschenjagd auf Mehsud angerichtet hatten: Das US-amerikanische Wochenmagazin «New Yorker» schätzt die Zahl der Opfer von insgesamt sechzehn vorangegangenen, erfolglosen Drohnenanschlägen gegen ihn auf fast 300. Der Unmut in der Bevölkerung gegen das Regime Pakistans, das die US-Drohnen von geheimen Militärbasen aus starten lässt, steigt. Der Hass auf die Besatzungstruppen der USA erst recht.

Kriegsporno

Dies umso mehr, als die Heckenschützen, die das Blutbad entlang der Grenze zu Afghanistan anrichten, nicht im Gebüsch hinter dem Haus ihrer «Zielpersonen» hocken, wo sie vom lokalen Widerstand bekämpft werden könnten: Sie sitzen in klimatisierten Büros, Tausende Kilometer vom Tatort entfernt in den USA. Vor ihnen flimmern Bildschirme. Sie steuern die UCAVs, die «Unmanned Combat Air Vehicles», über zwei Steuergriffe wie ein Computerspiel. Was sie tun, ist in den US-Streitkräften auch als «War Porn» – Kriegsporno – bekannt.

Einer der Drohnenflieger, Major Bryan Callahan war früher F-16-Pilot. «Der Einsatz geht einem näher, als man denkt», sagte er in einem Interview auf dem Onlineportal des «Spiegels». «Ich brauche meine Ziele nicht sofort zu zerstören», berichtet Callahan. Aber: «Wenn die Zeit zum Zuschlagen kommt, kann ich alles treffen.» Und er fügt bei: «Die anderen Jungs am Boden sind verwundbar, das ist für mich immer noch eine ehrenwerte Sache; ich habe das Gefühl, ich mogle mich da um etwas herum.»

Obama intensiviert Drohnenkrieg

Auch Callahans oberster Vorgesetzter, US-Präsident Barack Obama mogelt sich mit dem Drohnenkrieg um seine Friedensversprechen herum: Seit seinem Amtsantritt als Oberkommandierender der US-Streitkräfte im Januar 2009 hat der Friedensnobelpreisträger mehr Drohnen von Raketen auf Menschen und Häuser in Irak, Afghanistan, Jemen und Somalia abfeuern lassen, als sein Vorgänger, George Bush in acht Jahren Amtszeit. Inzwischen stehen Hunderte Verdächtigte auf US-Abschusslisten, die von Obamas Drohnenflieger «abgearbeitet» werden. Und weil sie dabei weder Tod noch Verwundung riskieren, droht der US-Regierung auch kaum Opposition vonseiten Hinterbliebener an der politischen Heimatfront.

Obama intensiviert den Drohnenkrieg darum laufend: Das US-Verteidigungsministerium gibt dieses Jahr nach offiziellen Angaben 5,4 Milliarden US-Dollar für die Entwicklung, den Bau und den Einsatz von unbemannten Kampfsystemen aus – den grössten Anteil davon für Drohnen. Im US-Staat Indiana herrscht in der Drohnenindustrie Goldgräberstimmung. Universitäten bieten die Ausbildung zum Drohnenflieger als Masterstudium an. An der Wallstreet rechnen Analysten mit nachhaltigen Wachstumsraten von zehn Prozent und mehr in der Branche. Ihr Rat an alle InvestorInnen: «Kaufen!»

Die Luftkriegführung oder Menschenjagd vom bequemen Bürostuhl aus imponiert längst auch anderen Armeen – weltweit. Die israelische Armee etwa praktiziert seit Jahren in den besetzten Palästinensergebieten die gezielte Exekution verdächtiger Menschen durch Killerdrohnen. Drohnen aller Art sind bei der russischen, der chinesischen und der französischen Armee in Dienst. Weltweit entwickeln, beschaffen oder verwenden inzwischen vierzig Staaten Drohnen. Der US-Politologe P. W. Singer rechnet mit weltweit 7000 Drohnen, die mittlerweile durch die Luft fliegen, die meisten davon bei der US-Airforce.

Zunächst nur als kleine Aufklärungsflieger zur Übermittlung von Echtzeitbildern aus Kriegsgebieten konzipiert, wurden die Drohnen ab 2000 mit Raketen bestückt. Jüngst zeichnen sich zwei Tendenzen ab: Die Drohnen werden immer kleiner – sie schrumpfen bis auf Krähengrösse. Sie werden aber auch grösser und ersetzen zum Teil voll bewaffnete Kampfflieger. Generell geht der Trend klar in Richtung Multi-Role-UCAVs, die präzise Bilder übermitteln können, aber auch immer schwerer bewaffnet sind.

Und wie steht es in der Schweiz? «Killerdrohnen wollen wir sicher keine», sagt Verteidigungsminister Ueli Maurer der WOZ. Und das nächste Kampfflugzeug der Schweizer Luftwaffe werde trotz der um Jahre verzögerten Beschaffung «bestimmt noch nicht unbemannt sein». Dafür sei es «eine Generation zu früh».

1999 hat die Schweizer Armee für 350 Millionen Franken das israelische Aufklärungssystem «Ranger» mit 28 Drohnen beschafft. Ein Nachfolgeprodukt ist derzeit «in Vorabklärung» – es dürfte eine bewaffnete Multi-Role-Drohne sein. Der bundeseigene Rüstungskonzern Ruag ist mit mehreren Millionen Franken an der Entwicklung einer europäischen Kampfdrohne beteiligt.

Maurer: «Keine Killerdrohnen»

Doch die ferngesteuerten Exekutionsmaschinen operieren oft in völkerrechtlichen Grauzonen oder ganz in der Illegalität. Das hat in Deutschland eine Debatte darüber ausgelöst, was denn wäre, wenn die «befreundete Besatzungsmacht USA» etwa «in der Frankfurter Fussgängerzone mit Killerdrohnen Jagd auf verdächtige Islamisten» machen wollte. Der Grund: Es war ruchbar geworden, dass die US-Regierung heimlich Killerkommandos ihres Geheimdienstes CIA auch in Deutschland einschleusen wollte. Für die Zukunft droht Obama allen Ländern weltweit mit «Global Prompt Strikes»: Das US-Militär, dessen Budget US-Präsident Obama dieses Jahr auf offiziell 664 Milliarden Dollar erhöhen liess, will «an jedem Punkt der Erde jederzeit innert zehn Minuten» mit ihren Killerdrohnen zuschlagen können.



Auftragsmord am Drohnensteuer

Harold Koh, Rechtsberater der US-Regierung, sagte vor Juristen am 26. März: «In Selbstverteidigung während eines bewaffneten Konflikts gelten gezielte Tötungen nicht als Ermordung.» Einer Uno-Untersuchung seiner gezielten Exekutionen widersetzt sich Washington jedoch.

Für den Berner Völkerrechtsprofessor Jörg Künzli ist der Einsatz von Killerdrohnen nur dann legal, wenn er durch Militärpersonen gegen bewaffnete Kräfte erfolgt: «Da gelten dieselben Regeln wie für normale Kampfflugzeuge», sagt er. Die Regeln stehen so im Genfer Abkommen: «Weder die Zivilbevölkerung noch einzelne Zivilpersonen dürfen das Ziel von Angriffen sein.» Wenn die USA in Pakistan oder die Israelis im Gaza-Streifen von ihnen verdächtigte Leute ohne Prozess gezielt exekutierten, seien dies «extralegale Tötungen», sagt Künzli. Das sei «in aller Regel menschenrechtlich verboten». Der gezielte Todesschuss sei «nur in Notwehrsituationen erlaubt».

Und auch für Terrorverdächtige gelte das grundlegende Menschenrecht auf Leben. In einem Rechtsstaat müssten sie verhaftet und vor Gericht gestellt werden.

Die Regierung des früheren US-Präsidenten George Bush hatte darum Hunderte von Terrorverdächtigen im Folterlager Guantanamo auf Kuba eingekerkert, wo die Prozessrechte der USA nicht gelten. Den meisten konnte dennoch nichts nachgewiesen werden. «Die Regierung von Barack Obama versucht nicht mehr, diese Menschen lebendig zu fangen», kritisiert nun der frühere Mitarbeiter Bushs, Marc Thiessen: «Dieser Präsident lässt sie einfach töten.» Werden Obamas Killerdrohnen dabei nicht durch Armeeangehörige, sondern durch CIA-Agenten ferngesteuert, ist dies doppelt illegal: Juristisch kommt der Tatbestand dann jenen Auftragsmorden gleich, welche Mafiaorganisationen praktizieren – oder Schurkenstaaten.

Nachdem die internationale Gemeinschaft sehr lange zur rechtlichen Lage rund um den Einsatz von Killerdrohnen geschwiegen hat, scheint nun Bewegung in die Sache zu kommen. Der Uno-Sonderbeauftragte für extralegale Tötungen, Philip Alston, hat dem Uno-Menschenrechtsrat letzte Woche einen Bericht vorgelegt, in dem er rechtliche Regelungen fordert, um den weltweiten Einsatz von unbemannten Kampfflugzeugen einzudämmen. Gleichzeitig verlangt er von den USA, die Beteiligung der CIA beim Einsatz von Killerdrohnen zu beenden. Alston befürchtet, dass sich ansonsten eine «Playstation-Mentalität des Tötens» entwickeln könnte, und betont, dass «in einer Situation, in der nicht mitgeteilt wird, wer aus welchem Grund getötet wurde und ob Zivilisten ums Leben kamen», das internationale Recht verletzt sei.

Himmel voller Drohnen

In den letzten acht Jahren hat die US-Armee rund 120 Drohnenangriffe im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet verübt, davon 53 im letzten und bisher 39 in diesem Jahr, wie die britische Tageszeitung «Guardian» berichtet. Für Aufsehen sorgte vor drei Wochen der Abschuss von Mustafa Abu al-Yazid, dem mutmasslichen Finanzchef der al-Kaida. Dabei sind laut Informationen der SITE Intelligence Group, die dschihadistische Webforen nach Mitteilungen von al-Kaida durchforstet und diese übersetzt, auch mehrere Familienmitglieder und ZivilistInnen ums Leben gekommen. Neben den USA benutzen auch Israel und weitere Länder Drohnen. Jüngst hat die türkische Armee PKK-Stellungen im Nordirak mit unbemannten Flugzeugen, die sie Israel abgekauft hat, ausfindig gemacht und anschliessend bombardiert.

Auch in der Schweiz kommen Aufklärungsdrohnen zum Einsatz. Die Schweizer Grenzwache hat diesen Mai mehrere Drohnen über der Nordwest- und der Ostschweiz fliegen lassen, zur «Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und des organisierten Schmuggels». Auch während der Fussball-EM 2008 kreisten während rund hundert Stunden Drohnen im Auftrag der Sicherheitskräfte über den Stadien in Basel, Bern und Zürich - zur «Überwachung der Verkehrs- und Menschenströme». Die Aufnahmen dürfen aus Gründen des Datenschutzes nicht aufbewahrt werden.