Meerwasser entsalzen: Mehr als ein paar Tropfen?

Nr. 31 –

Wasser wird Mangelware. Trinkwasser aus dem Meer erscheint als ein Ausweg, vor allem, wenn es mithilfe erneuerbarer Energie erzeugt wird. Noch sind aber zahlreiche Probleme ungelöst.


Jene Jahreszeit, in der die meisten TouristInnen die Mittelmeerinseln und -küsten besuchen, ist oft auch eine Zeit der Dürre. Dadurch teilt sich in den Sommermonaten eine grosse Zahl an VerbraucherInnen das knappe Gut Trinkwasser. Auf einigen griechischen Inseln wird das Wasser mehrmals pro Woche mit Tankschiffen geliefert. Auch in Nordafrika spitzt sich der Wassermangel zu: Die meisten Länder verbrauchen mehr Grundwasserreserven, als sich jährlich erneuern. Gleichzeitig steigt der Wasserbedarf durch eine wachsende Bevölkerung und Wirtschaft. Nicht nachhaltige Bewässerungsmethoden tragen ihren Teil zum Wassermangel bei. Verschärft sich die Lage, werden die meisten Länder des Mittelmeerraums auf das Meer als Trinkwasserressource zurückgreifen, wie dies auf der Arabischen Halbinsel seit langem geschieht.

Meerwasser im grossen Stil zu entsalzen, ist allerdings energieintensiv und teuer: Pro Kubikmeter Wasser werden zwei bis vier Kilowattstunden Strom benötigt. Und der stammt bislang meist aus fossilen Grosskraftwerken. Mit der Meerwasserentsalzung begibt man sich so in einen neuen Teufelskreis: Wer mit fossilen Brennstoffen Trinkwasser produziert, setzt Kohlendioxid frei, das wiederum zum Klimawandel und damit zur Wasserverknappung beiträgt.

Verschiedene Initiativen propagieren daher die Meerwasserentsalzung mithilfe von Sonnenenergie und Windkraft. Beides ist in den Küstenregionen des Mittelmeers und der Arabischen Halbinsel im Überfluss vorhanden. Doch die Technologie steckt noch in den Kinderschuhen, vor allem, was die Kombination von Entsalzungsanlagen mit erneuerbaren Energiequellen betrifft.

Hoher Energieeinsatz nötig

Derzeit werden weltweit etwa 52 Millionen Kubikmeter Trinkwasser durch Meerwasserentsalzung gewonnen. In den nächsten Jahren wird sich diese Menge vermutlich mehr als verdoppeln. Die europäische Initiative ProDes, ein Zusammenschluss verschiedener Forschungsinstitute und Organisationen im Energiebereich, will erreichen, dass weltweit drei bis fünf Prozent der bis 2016 neu installierten Anlagen zur Entsalzung des Meerwassers mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Allerdings fokussiert ProDes ihre Anstrengungen vornehmlich auf Südeuropa – die weltweite Entwicklung kann das kaum beeinflussen. Ähnliche Ziele wie ProDes verfolgt auch das Projekt MED-CSD, das von der EU finanziert wird: Dem technischen und ökonomischen Potenzial von erneuerbaren Energien zur Meerwasserentsalzung soll zum Durchbruch verholfen werden. Anders als bei ProDes gehören dem Projekt auch nordafrikanische Institutionen an, und es konzentriert sich auf solarthermische Kraftwerke als Energiequelle.

Technische Methoden, um Meerwasser zu entsalzen, gibt es mehrere. Am einfachsten ist das Destillieren, bei dem die Sonnenwärme direkt zur Verdunstung genutzt und der kondensierte Wasserdampf aufgefangen wird. Damit lassen sich aber nur geringe Mengen Trinkwasser pro Tag gewinnen. Wird zusätzlich ein Teil der Abwärme, die beim Verdunsten entsteht, ebenfalls zum Destillieren genutzt, können solche Multi-Effekt-Destillen bis zu 5000 Liter Wasser pro Tag liefern. Doppelt so viel Wasser können Anlagen entsalzen, die mit Membrandestillation arbeiten. Dabei wird mit Sonnenwärme der Dampfdruck auf der einen Seite der Membran erhöht, worauf der Wasserdampf die Membran passiert.

Weitaus am meisten Trinkwasser lässt sich via Umkehrosmose gewinnen. Bei diesem Verfahren wird Salzwasser mit erhöhtem Druck gegen eine Membran gepresst, Salze und andere Rückstände können nicht passieren. Die grösste Anlage steht in Saudi-Arabien und produziert täglich 900 000 Kubikmeter Trinkwasser – das sind 900 Millionen Liter oder rund 4,5 Millionen Badewannen. Betrieben wird sie durch ein fossiles Kraftwerk. Umkehrosmose funktioniert aber auch in Kombination mit andern Energiequellen wie Sonne, Wind, Erdwärme oder Wellenkraft.

Dass sich das Projekt MED-CSD auf Solarthermie konzentriert, kommt nicht von ungefähr. Das Grossprojekt Desertec will in Nordafrika solarthermische Kraftwerke bauen, die nicht nur Strom nach ganz Europa liefern, sondern auch noch das Meerwasser entsalzen sollen. «Bis zu 300 000 Kubikmeter Wasser am Tag – das Trinkwasser für eine ganze Stadt – könnte man so erzeugen», sagt Franz Trieb vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das auch am Projekt MED-CSD beteiligt ist. Trieb favorisiert solarthermische Kraftwerke auch, weil diese dank thermischer Energiespeicher rund um die Uhr und das ganze Jahr über konstant Solarstrom liefern können.

Zurzeit werden im Rahmen von MED-CSD Machbarkeitsstudien für etwas kleinere Verdampfer- und Umkehrosmoseanlagen in Italien, Zypern, Ägypten, Marokko und den palästinensischen Autonomiegebieten durchgeführt. Am Ende sollen die Anlagen zwischen 5000 und 10 000 Kubikmeter Trinkwasser pro Tag liefern. In der Landwirtschaft wird das teuer gewonnene Wasser wohl kaum eingesetzt werden. «Aber man entlastet den Wasserverbrauch der Städte, dadurch bleibt mehr für die Landwirtschaft übrig», sagt Trieb. In 20 Jahren könnten die Kosten so weit gesunken sein, dass sich die Meerwasserentsalzung auch für die landwirtschaftliche Bewässerung lohnen könnte.

Chemikalien belasten das Wasser

Umkehrosmose ist allerdings nicht nur sehr energieintensiv, sie ist nach dem heutigen Stand auch mit Umweltbelastungen verbunden. Zum einen kann die zurückbleibende, stark salzhaltige Sole nur dort wieder ins Meer eingeleitet werden, wo eine ausreichende Vermischung des Wassers möglich ist. Zum anderen geraten auf diesem Weg auch chemische Zusätze in die Umwelt. Damit sich auf den Membranen keine Ablagerungen bilden oder Fäulnis auftritt, wird das Salzwasser bei dieser Technik nämlich mit chemischen Zusatzstoffen versetzt.

Die Stoffe bleiben ebenfalls in der Sole zurück und gelangen mit dieser in die Umwelt. «Durch Filtration vor der Entsalzung liessen sich die Zusätze herunterfahren», sagt Trieb. Die Energie, die für die Filtration benötigt wird, liesse sich ebenfalls solar erzeugen. Am Ende wären nur noch zehn Prozent der heute verwendeten Chemikalienmenge nötig, dafür aber zehn bis zwanzig Prozent mehr Energie, hofft Trieb.

Marcel Wieghaus vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) setzt dagegen auf eine Entsalzungstechnik, die weitgehend ohne Chemikalienzusatz auskommt: die Membrandestillation. Hier gelangt nur der Wasserdampf in Kontakt mit der Membran, Ablagerungen können sich daher nicht bilden. Lediglich eine jährliche Entkalkung fällt an. Die Kapazität solcher Anlagen ist aus Sicht von Marcel Wieghaus zwar begrenzt. «Sie eignen sich aber gut für die autarke Versorgung mit Trinkwasser kleinerer Orte, Hotels oder öffentlicher Einrichtungen», sagt er. Das Team vom Fraunhofer ISE hat ein System entwickelt, wie sich mit Solarkollektoren und Membrandestillation bis zu zehn Kubikmeter Wasser pro Tag gewinnen lassen. Verschiedene kleinere Pilotanlagen sind seit 2004 etwa auf den Kanarischen Inseln, in Marokko, in Italien und ab August 2010 auch in Mexiko im Einsatz.

Landwirtschaft ist zu durstig

In den meisten Ländern der sogenannten Mena-Region, zu der Nordafrika und der arabischen Raum zählen, herrscht mit weniger als 1000 Kubikmeter verfügbarem Süsswasser pro Person und Jahr schon heute starker Wassermangel. Angesichts dieser Grössenordnung stellt sich die Frage, ob die Meerwasserentsalzung – zumindest mit erneuerbaren Energien – nicht nur ein Tropfen auf den heissen Stein sein kann. Vor allem die Wasserprobleme der Ärmsten werden so nicht gelöst, wie Marcel Wieghaus feststellt: «Den von Wasserknappheit Betroffenen stehen oft nur begrenzte finanzielle Mittel für die Investition in autarke Anlagen zur Verfügung.»

Pasquale Steduto, Vorsitzender des Bereichs Wasser bei der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Uno, sieht die Meerwasserentsalzung höchstens als kleinen Beitrag zur Lösung des globalen Wasserproblems. Gerade für die Landwirtschaft als grösste Wassernutzerin sei die Technik auf ihrem heutigen Stand ungeeignet. «Die Entsalzung wird noch durch ökonomische, energetische und ökologische Barrieren begrenzt», sagt Steduto. Was für einige Liter Trinkwasser praktikabel sein kann, sei für die 3000 Liter Wasser, die pro Person im täglichen Nahrungsbedarf stecken, problematisch. Damit spricht er auch den Zusammenhang zwischen landwirtschaftlichem Wasserbedarf und globaler Agrarpolitik an. Heute ist es für Erzeuger aus wasserarmen Ländern wie Spanien und Marokko profitabel, ihr Trinkwasser in Form von Tomaten und Erdbeeren nach Nordeuropa zu exportieren. Eine nachhaltigere Wasserverwendung vor Ort wäre mit Sicherheit denkbar.

Die FAO setzt daher vor allem auf eine verbesserte Effizienz in der Bewässerungslandwirtschaft, etwa durch unterirdische Bewässerung und das Recycling von Abwässern. «Wir haben in unserer Studie auch Effizienzsteigerungen eingerechnet», sagt Franz Trieb vom DLR, «aber es fehlen in unserem Szenario bis 2050 trotz stark verbesserter Effizienz in der Mena-Region immer noch drei Nile.


Der Wasserverbrauch

Bei Angaben zum Wasserverbrauch pro Kopf und Tag ist zwischen dem Trinkwasserverbrauch der privaten Haushalte und dem gesamten Wasserverbrauch eines Landes umgerechnet auf alle seine EinwohnerInnen zu unterscheiden. Letzterer ist nicht so sehr vom privaten Konsumverhalten als vom Wasserverbrauch in Landwirtschaft und Industrie abhängig. Der Wasserverbrauch in trockenen Ländern, in denen die Bewässerungslandwirtschaft eine grosse Rolle spielt, ist entsprechend hoch. So lag der Wasserverbrauch in den Jahren 2000 respektive 2002 gemäss der FAO pro Kopf und Tag in der Schweiz bei 967 Litern und in Italien, Portugal und Spanien zwischen 2110 und 2980 Litern.

Die eklatante Differenz spiegelt den Anteil der Landwirtschaft, der in der Schweiz nur knapp zwei Prozent beträgt, in Portugal hingegen 78 Prozent. Südlich des Mittelmeers, in Marokko und Tunesien, liegt der Wasserverbrauch mit 1170 beziehungsweise 810 Litern pro Kopf wiederum deutlich niedriger, was wohl auf die geringere Verfügbarkeit zurückzuführen ist. Denn auch dort hat die Landwirtschaft mit 87 beziehungsweise 76 Prozent sehr hohe Anteile.