Atomkraftwerk Mühleberg: Die krampfhafte Geheimniskrämerei macht misstrauisch

Nr. 41 –

Die Ramseiers leben gleich neben dem AKW Mühleberg. Sie gehören zu den AnwohnerInnen, die sich gegen eine unbefristete Betriebsbewilligung für das AKW wehren. Kein einfaches Unterfangen, wird ihnen doch die Einsicht in wichtige Akten verweigert.


Ein Schritt nach rechts, ein bisschen lächeln, nach links schauen, noch ein Foto und noch eins. Rosmarie und Walter Ramseier stehen im Maisfeld und posieren geduldig für ein gutes Bild. Träge zieht die Aare vorbei, auf der anderen Seite steht das Atomkraftwerk Mühleberg. Ein bisschen peinlich ist es ihnen schon. Irgendwann lacht Walter Ramseier und sagt: «Dafür, dass dieses Atomkraftwerk endlich abgestellt wird und kein neues gebaut wird, tun wir vieles.» Das Land, auf dem sie stehen, gehört der BKW FMB Energie AG. Der Kanton Bern kontrolliert das Energieunternehmen, das hier unten im Aaretal westlich von Bern das AKW betreibt und daneben noch ein weiteres bauen möchte.

Das arg angeschlagene AKW

Ramseiers Hof liegt hinter dem bewaldeten Hügel in Oltigen, dort ist das Land stotzig. Das Land gegenüber des AKWs pachten sie schon seit Jahrzehnten von der BKW, weil es gutes, flaches Land ist. Früher pflanzten sie hier Gemüse und Kartoffeln, alles biologisch.

Einmal, erinnert sich Rosmarie Ramseier, habe es tagelang fürchterlich geregnet, das Feld sei ganz nass gewesen. Trotzdem fuhren sie mit einer Maschine rein, doch das Gefährt blieb stecken. Also holten Ramseiers einen Traktor, um es rauszuziehen. Es war eine Riesenplackerei. Und plötzlich stand die Polizei da – die Berner Sondereinheit Enzian mit ihren Einsatzfahrzeugen und in voller Kampfausrüstung. Da seien sie schon etwas überrascht gewesen, erzählt Rosmarie Ramseier: «Die Polizisten haben uns dann gesagt, der Sicherheitsdienst des AKWs habe sie alarmiert. Der fürchtete, auf unserem Feld werde ein Sabotageakt vorbereitet.» Letztlich hat das Ganze die Ramseiers ein wenig amüsiert, denn das wäre das Letzte, was sie möchten: dass im AKW drüben etwas passiert.

Ramseiers gehören zu den über hundert BeschwerdeführerInnen, die sich gegen die unbefristete Betriebsbewilligung wehren, die Mühleberg kurz vor Weihnachten vom Umwelt- und Energiedepartement (Uvek) erhalten hat. Bislang lief das Kraftwerk mit einer befristeten Bewilligung, deren Verlängerung die BKW alle zehn Jahre neu beantragen musste. Vor bald vierzig Jahren ging das Werk ans Netz und gilt inzwischen als arg angeschlagen. Zum Beispiel weist der Kernmantel im Reaktor Risse auf. Etliche Betreiber ausländischer AKWs, die mit demselben Problem konfrontiert waren, haben den Reaktor gleich stillgelegt oder wenigstens den Mantel getauscht. In Mühleberg dagegen hat man versucht, den kaputten Kernmantel mit vier Klammern, sogenannten Zugankern, zu flicken. Die Risse wachsen jedoch weiter. Zudem ist der Meiler ungenügend gegen Erdbeben geschützt, und auch seine Notkühlung gilt als unzureichend.

Trotzdem hat das Uvek der BKW für Mühleberg eine unbefristete Betriebsbewilligung erteilt, vor allem, weil alle anderen Atomkraftwerke in der Schweiz eine solche erhalten hatten. Was das Risiko betrifft, hat das Uvek trotz massiver Kritik blindes Vertrauen in die Gutachten des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi).

Dagegen wehren sich nun die hundert BeschwerdeführerInnen und das «Komitee Mühleberg Ver-fahren», das von diversen Parteien und Organisationen, aber auch vom Kanton Basel-Stadt und von der Stadt Genf unterstützt wird.

Die AtomgegnerInnen kämpfen in diesem Verfahren mit einem ganz besonderen Problem: Sie sind diejenigen, die darlegen müssen, dass Mühleberg unsicher ist. Dabei erhalten sie keinen Zugang zu wichtigen Akten. Sowohl das Uvek wie das Ensi verweigern ihnen die Einsicht in die meisten relevanten Berichte mit der Begründung, die Unterlagen müssten geheim bleiben, weil es um «die öffentliche Sicherheit» gehe oder weil die Akten «Geschäftsgeheimnisse» enthalten würden. Die BKW selbst hat ohnehin kein Interesse daran, dass diese Unterlagen veröffentlicht werden.

Erstaunlicherweise hat das Bundesverwaltungsgericht im Sommer entschieden, BKW wie Ensi müssten die Akten dem Gericht aushändigen. Jetzt liegen die 86 Bundesordner dort.

Die Mühleberg-GegnerInnen mussten nun ihrerseits bis letzten Freitag dem Gericht darlegen, weshalb es ihnen die Akten zugänglich machen soll. Unter den umstrittenen Akten befindet sich der sogenannte Sicherheitsbericht. Es sei absurd, ausgerechnet diesen Bericht für geheim zu erklären, sagt der Berner Anwalt Rainer Weibel, der die EinsprecherInnen und das Komitee juristisch vertritt: «Der Sicherheitsbericht enthält zum Beispiel Angaben darüber, wie mögliche Störfälle gehandhabt würden. Das Ziel dieses Berichtes ist doch gerade, dass sich die Öffentlichkeit ein Bild über den Sicherheitszustand des AKWs machen kann.»

Vorwurf der Sabotage

Es sei klar, dass nicht alle Akten öffentlich gemacht werden könnten, sagt Weibel: «Es wäre aber problemlos möglich, Experten kontrolliert Zugang zu gewähren» – das habe es bei verschiedenen Dokumenten zu den Kernmantelrissen in Mühleberg auch schon gegeben.

Im Übrigen sei es nicht zulässig, den AtomgegnerInnen Sabotageabsichten zu unterstellen, wie dies das Ensi und die BKW täten. Die Beschwerdeführenden würden ja in der Nähe des AKWs leben und hätten ganz sicher kein Interesse, sich oder ihre Familien zu gefährden.

Die Mühleberg-GegnerInnen würden auch gerne wissen, wie die Risse im Kernmantel überhaupt gemessen werden, doch selbst das soll geheim bleiben. Die Öffentlichkeit erfährt also nicht, was da im Reaktor vorgeht: ob zuverlässig gemessen wird und wie vertrauenswürdig die Prognosen sind.

Weibel sagt: «Dieses Bemühen, möglichst viel geheim zu halten, deutet für mich darauf hin, dass die BKW und das Ensi Angst vor einer gerichtlichen Überprüfung haben – es könnte also etwas an unseren Befürchtungen dran sein, dass das Atomkraftwerk überhaupt nicht sicher ist. Sonst müssten sie nicht so krampfhaft versuchen, die Akten unter Verschluss zu halten.»

Um sich fachlich abzustützen, hat das Komitee beim Öko-Institut Darmstadt ein Gutachten in Auftrag gegeben. Die ExpertInnen dieses Instituts kommen zur beunruhigenden Erkenntnis: «Insgesamt sind die Stellungnahmen des Ensi widersprüchlich, wenig aussagekräftig und nicht geeignet, die mögliche Gefährdung durch den Kernmantelschaden zu widerlegen. Sie weisen im Gegenteil auf einen wesentlichen Schadenszustand im Kernkraftwerk Mühleberg hin.» Das AKW verfüge «über alle wesentlichen Sicherheitsdefizite, die gemäss aktuellem Regelwerk bei Sicherheitseinrichtungen zu vermeiden sind».

«Einmal», sagt Walter Ramseier, «haben BKW-Leute ziemlich direkt gedroht, uns das Land nicht mehr zu verpachten.» «Dann haben wir halt einfach wieder ein bisschen stillgha», wirft Rosmarie Ramseier ein. Noch können sie die 1,26 Hektaren nutzen, die BKW hat jedoch die Möglichkeit, den Pachtvertrag sehr kurzfristig zu kündigen.

Ein alter Schweizer Sennenhund geht ungelenk über Ramseiers Hof und wedelt freundlich. Walter Ramseier zeigt stolz seine neue Schnitzelheizung. Dank dieser neuen Heizanlage verbrauchten sie sechzig Prozent weniger Holz, sagt er. Er habe wirklich nichts gegen Technik, überhaupt nicht, auch wenn man ihnen das immer wieder unterstelle. Gerne würden sie Sonnenkollektoren auf dem Dach installieren, aber hier an der Aare gebe es einfach zu viel Nebel.

Er erzählt vom Zivilschutzbunker im Dorf. Dort müssten sie hin, wenn im AKW etwas passieren würde. Manchmal gebe es dort Dorfversammlungen, ein schrecklicher Ort, sagt er, unvorstellbar, wie die 67 Menschen, die heute noch im Ort leben, da miteinander zurechtkommen sollten, wenn wirklich etwas Schlimmes passieren würde. «Und die gehen auch einfach davon aus, dass wir die Tiere allein lassen würden – das können wir doch nicht.»

Aber immerhin, sagt Walter Ramseier, seien zwei Drittel der OltigerInnen gegen Mühleberg. «Oder vielleicht sogar drei Viertel», sagt Rosmarie Ramseier.

Wie es weitergeht

Das Bundesverwaltungsgericht wird laut eigenen Angaben «demnächst» über die Akteneinsicht entschieden; allerdings wird nicht präzisiert, was «demnächst» heisst. Danach ist es grundsätzlich möglich, den Fall ans Bundesgericht und weiter an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg zu ziehen – das könnte noch Jahre dauern.

Die befristete Betriebsbewilligung von Mühleberg gilt noch bis Ende 2012. Die BKW steht also unter Druck. Allerdings wird das Werk kaum stillgelegt, wenn das Verfahren Anfang 2013 nicht abgeschlossen ist. Eher ist eine provisorische Verlängerung der Betriebsbewilligung zu erwarten, bis der letztinstanzliche Entscheid gefällt ist.

www.muehleberg-ver-fahren.ch

Nachtrag vom 16. Dezember 2010 : Teileinsicht in AKW-Akten

Mitte Oktober berichtete die WOZ über das AKW Mühleberg, das vom Bund eine un­be­fris­te­te Betriebsbewilligung erhalten hatte. Das «Komitee Mühleberg Ver-fahren» erhob Einspruch. Das Problem: Es muss die lückenhafte Sicherheit des AKWs beweisen, was ohne Akteneinsicht praktisch unmöglich ist.

Letzte Woche nun hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das «Komitee Mühleberg Ver-fahren» Einsicht in einen Teil der 86 Bundesordner mit sicherheitsrelevanten Akten erhält, die dem Gericht vorliegen. Das Gericht will zwar ein Gutachten über Risse im AKW-Kernmantel und drei weitere «interne» Sicherheitsakten offenlegen, gleichzeitig hält es aber die jährlichen Sicherheitsberichte unter Verschluss – wegen Terrorgefahr. Beschwerdeführer Rainer Weibel spricht von einem «Teilerfolg». Ob er den Zwischenentscheid ans Bundesgericht weiterziehe, sei noch unklar. Auch noch nicht über einen allfälligen Rekurs entschieden hat die Mühleberg-Betreiberin BKW, während das Energiedepartement Uvek auf eine Anfechtung verzichtet.
Den Hauptentscheid (unbefristete Betriebsbewilligung ja oder nein) dürfte das Bundesverwaltungsgericht laut der Zeitung «Bund» noch im Jahr 2011 fällen.

Den Hauptentscheid (unbefristete Betriebsbewilligung ja oder nein) dürfte das Bundesverwaltungsgericht laut der Zeitung «Bund» noch im Jahr 2011 fällen.

Dinu Gautier