Die WOZ publiziert geheimes Dokument: Mühleberg: Was sie verschweigen
Gefahr von Sabotage und Terroranschlägen, Verrat von Geschäftsgeheimnissen: Mit diesen Argumenten wurde bisher die Veröffentlichung wichtiger Akten zum AKW Mühleberg verweigert. Indiskretionen werden mit bis zu 10 000 Franken Busse bestraft. Trotz der Strafandrohung wurde der WOZ ein fünfzigseitiges Papier zugespielt. Wir haben uns entschieden, es online zu stellen – weil die Bevölkerung ein Recht darauf hat, die Gefahren zu kennen, und weil so niemand wird sagen können, man habe es nicht gewusst.
Beim besagten Papier geht es um das «Gesuch um Entzug der Betriebsbewilligung des Kernkraftwerkes Mühleberg (KKM)», das am 21. März beim Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) eingereicht wurde. Verfasst hat es der Berner Rechtsanwalt Rainer Weibel im Auftrag von über hundert Personen, die sich gegen die unbefristete Betriebsbewilligung des AKWs Mühleberg wehren. Bei diesem Verfahren müssen die EinsprecherInnen belegen, dass das AKW unsicher ist, nicht umgekehrt. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) sowie das Berner Energieunternehmen BKW, das die Anlage betreibt, verweigern ihnen jedoch Einsicht in wichtige Akten.
Dagegen klagten die Mühleberg-GegnerInnen erfolgreich, worauf Anwalt Weibel mit einem Experten einige Akten sichten durfte. Von grossem Interesse ist ein Gutachten, welches das Ensi (damals HSK) 2006 beim Tüv Nord – einer technischen Prüfanstalt aus Deutschland – in Auftrag gab. Das Verwaltungsgericht untersagt unter Androhung der hohen Busse, das Gutachten ausserhalb des Verfahrens zu verwenden. Weil das Gesuch aus dem Gutachten zitiert, darf es ebenfalls nicht publik werden.
Eine Geheimniskrämerei, die sich nicht rechtfertigen lässt. Und die sehr an die Situation in Japan erinnert: Die Kontrollbehörden erhielten von der AKW-Betreiberin Tepco gefälschte Sicherheitsprotokolle, unternahmen aber nichts dagegen – was ohne Super-GAU in Fukushima nie bekannt geworden wäre. Nur war es dann zu spät.
Liest man das Papier von Weibel, scheint in der Schweiz Ähnliches abzulaufen. Die Sicherheitsbehörden wissen Bescheid über die Sicherheitsmängel von Mühleberg, unternehmen aber nichts. Auch das Uvek reagiert nicht. Rechtsanwalt Weibel verlangt, alle Ensi-MitarbeiterInnen müssten «wegen Voreingenommenheit in Ausstand treten».
Es braucht dringend unabhängige ExpertInnen, doch die sollten sich dann auch öffentlich äussern dürfen. Weibel hat das Gutachten dem Öko-Institut Darmstadt zur Beurteilung vorgelegt. Dessen Stellungnahme darf nun aber ebenfalls nicht veröffentlicht werden.
An der angeblichen Terror- oder Sabotagegefahr kann es nicht liegen: «Mit dem Gutachten kann man keine Sabotage betreiben. Es würde auch nicht Terroristen helfen, einen Anschlag zu planen», sagt Simone Mohr vom Öko-Institut Darmstadt, die das Tüv-Gutachten analysiert hat. Dass Akten so unter Verschluss gehalten würden, habe sie persönlich in dieser Form noch nie erlebt.
Im Zentrum des Gutachtens steht die Frage, ob der Kernmantel – der Risse aufweist – mit den installierten Zugankern wirklich sicher geflickt worden ist. Tüv Nord verneint dies. Laut der Prüfanstalt sind die Zuganker nicht nur untauglich, sie könnten bei einem Unfall sogar mehr Schaden anrichten, als sie nützen. «Zusammenfassend ist es unverständlich, weshalb HSK/Ensi den Betrieb des KKM trotz der eindeutig negativen Bewertung der Zugankerkonstruktion durch den Tüv weiterhin zulässt», konstatiert das Öko-Institut.
Seit vier Jahren wissen die Behörden von den Mängeln, sie gewährten der BKW bis Ende 2010 Zeit, um ein «überarbeitetes Instandhaltungskonzept» vorzulegen. Beim Ensi heisst es, das Konzept sei eingegangen, man überprüfe es und werde bald informieren. «Im Moment geht das mit den Zugankern», sagt Ensi-Pressesprecher Hannes Hänggi, «aber eine längerfristige Lösung ist es nicht.» Was das konkret bedeutet, kann er nicht sagen. Laut Hänggi wollte die BKW nicht, dass das Tüv-Gutachten öffentlich wurde – vermutlich stehen ökonomische Gründe dahinter, weil der Ersatz des Kernmantels eine halbe Milliarde Franken kosten dürfte. Hänggi sagt, das Ensi habe nichts dagegen, die Teile des Gutachtens zu veröffentlichen, die keine Geschäftsgeheimnisse enthielten.
Ensi-Direktor Hans Wanner lässt in Interviews gerne verlauten, das AKW könne am Netz bleiben, weil «keine akute Gefahr» bestehe. Bis der Tsunami anrollte, war das in Fukushima auch so.