Kruzifixstreit: «Gipfelkreuze sind ein Nebenschauplatz»
Der Walliser Freidenker Valentin Abgottspon über Bibelverbrennungen und das Schlechte, das gute Menschen im Namen der Religion tun.
WOZ: Die Berner Polizei hat die drei Männer, die letzte Woche allen Ernstes Koran und Bibel verbrennen wollten, vorübergehend festgenommen und die Aktion damit vereitelt. Erleichtert?
Valentin Abgottspon: Und wie! Ich hatte zuvor in stundenlangen Gesprächen versucht, die Männer davon abzubringen – vergebens. Es versteht sich von selbst, dass ich als Freidenker das Verbrennen von Büchern, auch von Bibel und Koran, nicht gutheissen würde.
Haben die drei Hindus das Wort «Freidenker» falsch verstanden?
Sie sind erst Mitte Oktober den Freidenkern beigetreten, als die öffentliche Diskussion um die Kruzifixe in den Schulzimmern in vollem Gang war. Vermutlich wollten sie auf den fahrenden Zug aufspringen und vom Medieninteresse profitieren. Wir haben sie aus unserer Organisation ausgeschlossen. Die ganze Sache hat uns sehr geschadet.
Die drei Männer hatten zusammen mit anderen zuvor schon eine Petition zur Zensur der Bibel lanciert – die Sie mitunterzeichnet haben.
Ja, das war unüberlegt und naiv. Ich gab meine Unterschrift aus Ärger, weil die Kirche das religionskritische Buch «Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel» auf den Index setzen wollte. Dass diese Unterschrift Thema für die internationalen Medien wird, konnte ich nicht ahnen. Ich bin nicht für die Zensur der Bibel, denn sie zu lesen, ist das beste Instrument, um jemanden zum Atheisten oder zumindest zum Religionskritiker zu machen, wie schon Mark Twain sagte.
Wie frei denken die Freidenker?
Sehr frei. Die Trennung von Staat und Kirche ist unser allerwichtigstes Ziel.
Ihnen und den Freidenkern wurde in letzter Zeit aber vorgeworfen, Sie seien intolerant ...
Gegenüber Intoleranz darf man nicht tolerant sein. Wenn also die Menschenrechte, die Glaubensfreiheit oder auch die Meinungsfreiheit angegriffen werden – ja, dann dürfen wir intolerant werden. Aber eigentlich ist es sowieso seltsam, wenn eine Mehrheit von einer Minderheit Toleranz verlangt. Immer wenn die Besitzstandwahrenden angegriffen werden, beschuldigen sie die Attackierer als Extremisten. Der Vorwurf ist zudem heuchlerisch. In der Sendung «Arena» sagte ein Priester, die Kirche hätte nichts dagegen, wenn in den Schulen neben den Kruzifixen auch Halbmonde und Davidsterne hängen würden. Wers glaubt ... Mir scheint, die Strategie ist, uns lächerlich zu machen. Sie wollen sich nicht mit unseren wirklichen Anliegen auseinandersetzen.
Es sollten keine neuen Gipfelkreuze mehr bewilligt werden, war einer der jüngeren Vorstösse der Freidenker.
Die Gipfelkreuze sind nur ein von den Medien aufgebauschter Nebenschauplatz. Unser zentrales Anliegen ist die saubere Trennung von Kirche und Staat. Ein Beispiel sind die Kirchensteuern für juristische Personen, also Firmen. Die werden in vielen Kantonen noch erhoben. Das muss aufhören. Ein anderes ist die Praxis, dass in katholischen Kantonen wie dem Wallis die Vorbereitung von kirchlichen Ritualen wie der Erstkommunion noch immer auch während des ordentlichen Schulunterrichts stattfinden kann. Beispielsweise im Singen, in den Deutschstunden oder dem Werken. Wo bleibt da die Trennung von Kirche und Staat?
Müssen da auch muslimische oder konfessionslose Kinder mitmachen?
Sie können sich zumindest nicht total raushalten. In den anderen Kantonen ist das vielleicht nicht so extrem wie im Wallis. Aber nicht nur hier, sondern auch im Luzernischen hat sich letzten Monat gezeigt: Wer das Recht einfordert, dass kein Kruzifix im Klassenzimmer hängt, muss den sozialen Tod sterben.
Sie beziehen sich auf den Fall im luzernischen Triengen. David Schlesinger, ein Vater von schulpflichtigen Kindern, forderte dort die Entfernung der Kruzifixe aus den Schulzimmern. Innert kurzem war er als «der Deutsche» stigmatisiert, der erst noch Sozialhilfegelder bezogen hatte ...
Da werden Sachen vermischt, die miteinander nichts zu tun haben. Im Antwortschreiben der Schulbehörden stand: «Ihnen dürfte nicht entgangen sein, dass Sie sich in einer Gemeinde des christlichen Abendlandes niedergelassen haben.» Es gibt überall unterschwelligen Rassismus. Den gilt es zu konstatieren und zu bekämpfen. David Schlesinger erhielt mehrere Morddrohungen, weshalb er seine Familie zum Schutz ausser Landes brachte. Bei mir können die Fundamentalisten nicht mit solchen Klischees kommen. Aber auch ich erhielt mehrere Aufforderungen, Suizid zu begehen.
Was stand darin?
Ein Verfasser schrieb: «Mein Vorschlag: Die Killerbrücke ist hoch, nehmen Sie aber die Mitte, sonst ist die Gefahr Sie bleiben hängen.» Unterschrieben hat er mit «Ein Kirchgänger aus Naters». Der Pfarrer in Naters wurde über diesen Brief informiert. Aber anstatt solche Schreiben in seiner nächsten Sonntagspredigt zu thematisieren, hat er zum Ganzen einfach geschwiegen.
Offenbar fürchten sich immer mehr Leute vor der von der SVP behaupteten «Islamisierung». Man müsse das Christentum stärken, heisst es dann gerne. Wie argumentieren die Freidenker dagegen?
Nicht das Christentum sollte der Gegenpol zum Fundamentalismus in anderen Religionen sein, sondern die Menschenrechte, die Meinungsfreiheit und auch die Pressefreiheit. Alles andere ist Wahlkampf, Xenophobie, Populismus. Es wird jetzt so getan, als ob durch ein Erstarken des Christentums etwas für die Demokratie und die Grundrechte zu gewinnen wäre. Ich bin der Meinung, dass die Religionen oft dafür verantwortlich sind, dass sich gute Menschen schlecht verhalten. Das zeigt sich beispielsweise bei Abtreibungsgegnern in den USA – da werden Doktoren ermordet und Kliniken demoliert. Es gibt also auch Tote, wenn Christen fundamentalistisch wüten.
Zur Person
Valentin Abgottspon (31) hat Germanistik und Philosophie studiert und unterrichtete seit 2006 Oberstufenklassen in Stalden VS. Daneben ist er Präsident der Walliser Sektion der Freidenker-Vereinigung der Schweiz. Nachdem er die Entfernung der Kruzifixe aus seinen Schulzimmern gefordert hatte, wurde ihm fristlos gekündigt. Der Walliser Staatsrat stützte die Kündigung Mitte Oktober. Als Nächstes entscheidet das Kantonsgericht, ob die fristlose Kündigung rechtens ist.