Pauschalsteuern: Steuerfüchse und Baulöwen

Nr. 45 –

Nach Zürich könnte nun auch in Bern die Pauschalsteuer für reiche AusländerInnen abgeschafft werden. Die Experten, die sich am stärksten für die Pauschalbesteuerung einsetzen, haben handfeste Interessen.


«Ich bin stolz, dass man in Gstaad promenieren darf und den Prominenten ganz natürlich begegnet. Die Kleider können wir Einheimische in Thun kaufen. (...) Dass auch unser reformierter Pfarrer Bruno Bader zu unserem Zweiklassensystem steht, zeugt von menschlichen Kenntnissen und Weitsichtigkeit.»

Antwort einer «Work»-Leserin auf die Umfrage «Sind Sie für die Abschaffung der Pauschalsteuer?», 18. Juni 2010

Es war eine bemerkenswerte Demonstration. Bauarbeiter mit Helmen und Plakaten standen Ende April vor dem Hauptsitz ihrer Gewerkschaft in Bern. Sie demonstrierten für das Recht anderer. Und zwar das Recht von reichen AusländerInnen auf möglichst tiefe Steuern. Warum das?

Sie wandten sich gegen eine von den Gewerkschaften geplante Initiative gegen die Pauschalbesteuerung, die unter Federführung von Ko-Präsident Corrado Pardini entstanden war. Letzte Woche gab der Berner Gewerkschaftsbund nun bekannt, dass genügend Unterschriften für die Initiative «Faire Steuern – Für Familien» gesammelt worden sind. Damit wird Bern als zweiter Kanton über das Ende der Pauschalsteuer abstimmen (in Zürich wurde 2009 eine Initiative der Alternativen Liste überraschend angenommen). Im Kanton Bern leben rund 250 Pauschalbesteuerte, die meisten davon in der Region um die Luxusgemeinde Gstaad, etwa der sonnengebräunte französische Sänger Johnny Hallyday oder Formel-1-Chef Bernie Ecclestone.

Pauschalsteuern, das sind Steuerdeals für reiche AusländerInnen, die in der Schweiz wohnen, aber nicht arbeiten. Zumindest theoretisch, denn kontrolliert wird nichts. Im Schnitt bezahlt ein Pauschalbesteuerter 115000 Franken Steuern – die kantonalen Unterschiede sind enorm, die genauen Zahlen bleiben geheim. Es sind reiche Leute. Als «Kleine» gelten bei Steuerprofis Leute mit Vermögen bis 25 Millionen Franken; «Mittlere» besitzen bis zu 500 Millionen und «Grosse» noch mehr.

Zurück zu den Bauarbeitern. Aus dem Berner Oberland chauffierte man sie zusammen mit Gewerblern und SVP-Politikern in Postautos in die Hauptstadt, vor den Unia-Hauptsitz. Es war Ende April, einen Tag bevor die Gewerkschaften ihre Initiative einreichten. Der «Anzeiger von Saanen» schrieb danach, die rund 120-köpfige Delegation habe Geschichte geschrieben: «Schulter an Schulter» hätten «Arbeitgeber und Arbeitnehmer» demonstriert. (Sie hatten damit wenig Erfahrung: Sie vergassen das Megafon.)

Drei Tage zuvor war in Gstaad mobilisiert worden: Der Gewerbeverein Saanenland, der auch die Demo organisierte, hatte dazu zwei Steuerexperten geladen, Toni Amonn und Peter Geiger. Sie sagten: 2000 Arbeitsplätze im Kanton würden verschwinden, dies seien «Fakten und keine Fiktionen», es sei bereits «5 vor 12»: «Rund fünfzig Prozent der Pauschalbesteuerten» seien bereits aus Zürich abgewandert, Ende Jahr würden es noch mehr sein. Und dann sprachen sie über Gerechtigkeit. «Es heisst, die Pauschalsteuer sei ungerecht. Ungerechtigkeit ist jedoch immer subjektiv», philosophierte Geiger. Und Amonn ergänzte, es sei gerechter, wenn diese Leute hier eine pauschale Steuer ablieferten als, wie etwa in Monaco, überhaupt keine.

Worüber Amonn und Geiger nicht sprachen: dass ihre Berner Kanzlei Relocation Switzerland auf Pauschalbesteuerungen spezialisiert ist. Dass die Experten also um ihr Geschäft kämpfen.

Beste Beziehungen

Toni Amonn, Dozent an der Universität Bern, ehemaliger FDP-Kandidat für den Grossen Rat, Partner bei der renommierten Kanzlei v. Fischer in Bern, Verwaltungsrat von Relocation Switzerland (und von weiteren Firmen mit gleichem Zweck): Sein Spezialgebiet ist der «steuerlich motivierte Domizilwechsel von Privatpersonen» – auch von «Staatsoberhäuptern», wie sein Kollege Geiger dem «Tages-Anzeiger» verriet. Das beinhaltet Verhandlungen mit den Steuerbehörden, Hilfe bei Kauf und Bau von Immobilien, schlicht alles von der «Suche einer Schule für Ihre Kinder über die Registrierung Ihres Autos bis hin zur Anmeldung Ihres Radios», wie es auf der Website von Relocation Switzerland heisst, einer der grössten Kanzleien in der sogenannten Relocation-Branche.

Dort findet sich auch ein interessantes Berechnungsbeispiel für eine Pauschalsteuer: Eine Familie mit einem Vermögen von 30 Millionen Euro und einem Jahreseinkommen von 1,5 Millionen Euro würde beim Vererben in den Niederlanden 12 Millionen Franken Einkommens- und Erbschaftssteuern bezahlen; in Bern wären es 115 000 Franken – gerade mal 1 Prozent.

Amonn kämpft auch politisch für seine Klientel. Vor zwei Jahren formulierte er seine Vision: Der Kanton Bern soll mit einer Senkung der Unternehmenssteuern und der (schon sehr tiefen) Vermögenssteuern auf das schweizweit tiefste Niveau Firmen und Reiche anlocken: «Für sie muss Bern die Nummer eins werden – alles andere kann man nicht optimal vermarkten», sagte er.

Von einer Abschaffung der Pauschalsteuer würde niemand profitieren, warnt Amonn. Verlieren würde aber das lokale Gewerbe. Amonn hat beste Beziehungen zur Branche, die am meisten von den Pauschalbesteuerten profitiert: zum Baugewerbe. Gleich zwei Familienmitglieder des einflussreichen Matti-Clans aus Saanen sind Klienten seiner Kanzlei.

Die Chaletbau Matti Holzbau AG baut mit ihren hundert Angestellten Luxuschalets für Pauschalbesteuerte. Ihre Spezialität: Die Firma sammelt im ganzen Alpenraum mehrere hundert Jahre altes, sonnengebräuntes Holz von Chalets und verziert damit ihre Luxusimmobilien. Ein Bombengeschäft, über das selten etwas an die Öffentlichkeit gelangt: Laut «SonntagsZeitung» besitzt die Firma eigene Landreserven und realisiert gigantische Bauprojekte, etwa ein Chalet für hundert Millionen Franken für einen griechischen Reeder. (Ein weiterer Kunde war laut «Bilanz» ein Bruder des Waffenhändlers Adnan Kashoggi.) Und wie wichtig sind Immobiliengeschäfte für die Kanzlei? Amonn sagt, sie würden selber keine Immobilien an Pauschalbesteuerte vermitteln. «Wir kennen aber die lokalen Immobilienfirmen und arbeiten mit ihnen zusammen.» Dabei geht es um Millionenbeträge. Insbesondere Steuerflüchtlinge aus der EU, die HauptkundInnen, können unversteuertes Geld elegant in Immobilien verstecken – auf den Banken ist das inzwischen nicht mehr so einfach.

Steuerausfall «nicht massiv»

Für die Verteidigung der Pauschalsteuer gründete Amonn mit Partner eine gut organisierte Lobbyorganisation, den Verein Mehrwert Schweiz. Vize ist der Waadtländer FDP-Nationalrat Charles Favre, Präsident ist Paul Niederberger, CVP-Ständerat aus Nidwalden. Die beiden tragen die Argumente der Lobby ins Parlament. Die Zahlen, die Mehrwert Schweiz verwendet: Schweizweit würden rund 35000 Arbeitsplätze von den 5000 Pauschalbesteuerten abhängen. 2,8 Milliarden Franken würden jährlich ins Baugewerbe investiert, für 1,7 Milliarden Franken werde konsumiert; die Eidgenössische Steuerverwaltung jedoch geht von wesentlich tieferen Zahlen aus. Selbst Pauschalsteuergemeinden sind skeptisch: Die FDP-Finanzchefin von Küsnacht, der reichsten Zürcher Gemeinde, kritisierte kurz vor der Zürcher Abstimmung: Die neunzehn Pauschalbesteuerten in ihrer Gemeinde würden die Immobilienpreise in die Höhe treiben, die besten Wohnlagen besetzen und extrem wenig Steuern zahlen – im Schnitt gerade mal 40 000 Franken. Und der Gstaader Gemeindepräsident sagte Anfang 2009, dass ein Steuerausfall bei einer allfälligen Abschaffung der Pauschalsteuer «nicht massiv» sein würde, selbst wenn alle Pauschalbesteuerten dann wegzögen (inzwischen kämpft er für die Steuer).

Dennoch werden die Zahlen des Lobbyvereins häufig beigezogen. Geschäftsführer des Vereins ist Lorenz Furrer – ein Profilobbyist mit alten Kontakten: Er war Beamter im Finanzdepartement und ist bis heute ehrenamtlicher Sekretär des FC Nationalrat. Sein Lobbyverein, sagt er, werde zur einen Hälfte getragen von den Pauschalbesteuerten und von Relocation Switzerland und zur anderen Hälfte von Economiesuisse, Wirtschaftsverbänden und Bankiervereinigung; die Unterstützung sei vor allem ideeller Art, finanziell gehe es um «deutlich weniger als eine Million Franken».

Furrer fährt fort in freundlichem Ton: «Die Abschaffung der Pauschalsteuer ist nichts anderes als Entwicklungshilfe für Länder, welche die Pauschalsteuer auch kennen: Österreich, Monaco, England oder Belgien. Steuergerechtigkeit gibt es schlicht nicht.»

Um trotzdem Fragen nach der Gerechtigkeit zu entschärfen, raten Anwälte und Lobbyisten den reichen Pauschalbesteuerten zur Wohltätigkeit. Sie nennen als Beispiele für einen solchen «Relocation Codex» die Finanzierung des Reitzentrums in Gstaad. Oder den Kauf eines maroden Skigebiets in der Region, Glacier 3000. Hinter beiden Millionenprojekten steht einer der Profiteure des Pauschalsteuergeschäfts: der schwerreiche Gstaader Immobilienkönig Marcel Bach (ein weiteres Mitglied des Matti-Clans ist Vizepräsident des Reitzentrums).

Übrigens: Nicht die Hälfte der Zürcher Pauschalbesteuerten haben dem Kanton nach der Abschaffung der Pauschalsteuer bislang den Rücken gekehrt, wie die beiden Berner Steuerprofis sagen, sondern gerade mal 31 von gut 200 Personen. Auch der milliardenschwere deutsche Milchbaron Theo Müller, der mit Wegzug gedroht hatte, wohnt noch immer in Erlenbach. Und das ist die böse Pointe der Geschichte: Müller zahlt heute laut «Sonntag» weniger Steuern als zuvor. Der Wirtschaftsanwalt Amonn formulierte es so: «Nach einer Abschaffung der Pauschalsteuer hätten wir als Kanzlei sogar mehr zu tun, weil wir komplexere Lösungen für unsere Klienten suchen müssten. Denn wissen Sie: Wir finden immer eine attraktive Lösung.»

Pauschalsteuern

Die 5000 Pauschalbesteuerten der Schweiz werden nicht nach Einkommen und Vermögen besteuert, sondern nach Lebenshaltungskosten – die genaue Berechnungspraxis ist undurchsichtig. In den Kantonen Waadt, Genf, Tessin und Wallis kommen die höchsten Beträge zusammen. In elf Kantonen wurden Vorstösse für eine Abschaffung lanciert, in vier kamen Volksinitiativen zustande. Der Bundesrat will die Pauschalsteuer beibehalten, die Beträge aber erhöhen.

Nachtrag vom 24. März 2011 : Die Pauschalsteuer wankt

Für Steuerflüchtlinge klingt es verlockend: Wer den Wohnsitz in die Schweiz verlegt, aber nicht hier arbeitet, zahlt nur eine pauschale Steuer. Ausser im Kanton Zürich: Dort haben die Stimmenden 2009 eine Initiative der Alternativen Liste angenommen, wonach die Steuerprivilegien abgeschafft werden. Beflügelt von diesem Erfolg, lancierten linke Parteien in vielen Kantonen ähnliche Initiativen. Bereits eingereicht sind sie in St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Schaffhausen, Luzern und Thurgau – dort wird am 15. Mai abgestimmt –, seit letzter Woche nun auch in Baselland. Bald könnte die Pauschalsteuer in der ganzen Schweiz Geschichte sein: Die Alternative Linke lanciert im April eine Initiative auf Bundesebene.
Bettina Dyttrich