Polizei gegen Schule: Rauspicken, wen sie wollen

Nr. 49 –

Rund um die Autonome Schule in Zürich ist die Polizei wiederholt gegen MigrantInnen vorgegangen, die dort Deutschkurse besuchen. Schikane oder Zufall?


S. ist auf dem Weg zum Deutschkurs, als er drei PolizistInnen sieht, die vor der Schule einen Eritreer kontrollieren und dessen Papiere verlangen. Für den Kenianer S. eine heikle Situation: Als abgewiesener Asylbewerber besitzt er keine gültige Aufenthaltsbewilligung. Er lebt seit 2006 in der Schweiz – als «Illegaler». Um nicht aufzufallen, geht S. geradewegs auf den Eingang der Schule zu, obwohl er verhaftet werden könnte. Die Polizei versperrt ihm den Weg, S. wird abgeführt und auf die Urania-Hauptwache in Zürich gebracht.

Die Verhaftung ereignete sich am Mittwoch, 24. November, um 14.20 Uhr vor dem Eingang der Autonomen Schule Zürich (ASZ, vgl. Kasten «Bildung für alle» am Ende des Textes) beim Güterbahnhof. Sie war der Auftakt zu einer Reihe von Personenkontrollen, die die Zürcher Stadtpolizei in den vergangenen zwei Wochen direkt vor oder in unmittelbarer Nähe der ASZ durchführte. AktivistInnen der ASZ sprechen von «Schikane», von einer «Machtdemonstration der Polizei», von «gezielten Angriffen» gegen die Schule und vor allem gegen die MigrantInnen, die dort regelmässig verkehren. Bis vor kurzem konnten MigrantInnen mehr oder weniger ungestört Kurse in der Autonomen Schule besuchen. In den letzten neun Monaten, seit sich die Autonome Schule in einer Baracke am Güterbahnhof befindet, hat die Polizei dort noch nie Personenkontrollen durchgeführt. Was also hat es mit der starken Polizeipräsenz auf sich? Warum die Kontrollen? Sind sie gezielt gegen Papierlose gerichtet? Gibt es eine «grundsätzliche fremdenfeindliche Tendenz» im Polizeikorps, wie AktivistInnen der ASZ sagen? Oder ist alles nur Zufall, wie die Stadtpolizei behauptet?

«Hier lohnt es sich, zu kontrollieren»

Klar ist: Nur wenige Stunden nachdem sie S. verhaftet haben, parkieren dieselben drei PolizistInnen wieder auf dem SBB-Gelände vor der ASZ. Der Deutschkurs, der montags, mittwochs und freitags jeweils von rund hundert MigrantInnen besucht wird, geht gerade zu Ende. Ein Aktivist der Autonomen Schule fragt die PolizistInnen, was sie vorhätten: «Sie sagten, dass sie sich auf einem öffentlichen Platz befänden und Migranten kontrollieren wollten. Sie sagten wörtlich: ‹Und wir picken raus, wen wir wollen.›»

Daraufhin solidarisieren sich rund dreissig Personen aus der Autonomen Schule mit dem Nigerianer (mit gültiger Aufenthaltsbewilligung), der gerade von der Polizei kontrolliert wird. «Die Polizei wurde massiv angepöbelt, weshalb weitere Patrouillen angefordert wurden, um die Situation beruhigen zu können», sagt Marco Cortesi, Sprecher der Stadtpolizei. Sechs bis sieben Kastenwagen fahren vor, für die AktivistInnen der ASZ eine Provokation. Die Situation droht zu eskalieren. Dann ziehen sich Migrantinnen und Aktivisten in die Schule zurück, bis die Polizei verschwindet. Am Abend findet eine Demonstration von knapp 150 Personen gegen die polizeilichen Kontrollen statt.

Am folgenden Montag, dem Tag nach der Annahme der SVP-Ausschaffungsinitiative, warten dieselben PolizistInnen wieder vor der Baracke beim Güterbahnhof. Wieder kontrollieren sie vor und nach dem Deutschkurs MigrantInnen. Laut einem Aktivisten sollen die PolizistInnen gesagt haben: «Hier lohnt es sich, Personen zu kontrollieren, weil wir wissen, dass hier viele Papierlose verkehren.» Erneut gibt es am Abend eine kleine Kundgebung gegen die Polizei. Die rund fünfzig DemonstrantInnen ziehen, begleitet von Wasserwerfern und einem Grossaufgebot von Polizisten, vom Helvetiaplatz zur Kaserne.

Am Freitag, vier Tage später, steht ein halbes Dutzend Polizisten bei der Tramhaltestelle Bäckeranlage in unmittelbarer Nähe, wo sie laut Augenzeugen nach Ende des Deutschkurses in der ASZ gezielt dunkelhäutige Personen kontrollieren.

Integrationspolitische Aufgabe

Seit S. verhaftet wurde, hat er die Deutschkurse in der ASZ nicht mehr besucht. Zu gross ist das Risiko, erneut von der Polizei festgehalten zu werden. Auch viele andere bleiben weg. Besuchten vorher rund hundert Personen die Deutschkurse, war es vergangene Woche höchstens noch ein Viertel davon.

In der ASZ ist der Ärger über die Polizei deshalb gross. Man ist sich sicher, dass die Aktionen gezielt erfolgten. Die Polizei widerspricht: «Von gezielten Aktionen gegen die ASZ kann keine Rede sein.» Sie rechtfertigt die Kontrollen mit dem gesetzlichen Grundauftrag, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. «Es ist keine Schwergewichtsaufgabe der Polizei, illegal anwesende Ausländer zu suchen und zu verzeigen. Aber selbstverständlich sind auch Verstösse gegen das Ausländergesetz zu ahnden.» Auch das Polizeidepartement, dem seit einem halben Jahr der grüne Stadtrat Daniel Leupi vorsteht, lässt verlauten, es gebe keine Weisung, gezielt gegen die ASZ oder deren BesucherInnen vorzugehen.

Leupi wurde dieser Tage von SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli öffentlich angegriffen, weil er am Rand der Proteste gegen die Ausschaffungsinitiative gegenüber einzelnen Beamten sein Verständnis für die DemonstrantInnen geäussert haben soll. Eigentlich eine aufgeblasene Nichtigkeit, aber dass die eigenen Polizisten ihren Polizeivorsteher anschwärzen, zeigt, wie instabil Leupis Macht und wie beschränkt sein Einfluss auf das Polizeikorps ist: Zu lange hatte sich seine Vorgängerin Esther Maurer aus operativen Angelegenheiten rausgehalten, zu autonom von der Politik handelt wohl auch deshalb das Korps.

Um weitere Zwischenfälle zu verhindern, sollen die Wogen geglättet werden. Der Zürcher Gemeinderat und Ko-Präsident der Grünen Matthias Probst will zwischen den Parteien vermitteln. Ziel sei es, VertreterInnen der ASZ, den Departementsvorsteher Daniel Leupi und die Polizei an einen Tisch zu bringen, um eine Lösung zu finden: «Keine Seite kann ein Interesse an einer Eskalation haben. Die ASZ erfüllt eine sehr wichtige integrationspolitische Aufgabe. Und da braucht es Vernunft, Toleranz und Fingerspitzengefühl bei der Polizei, damit die Schule ihre Kurse gewährleisten kann.»


Bildung für alle

Im April 2009 besetzte eine Gruppe von AktivistInnen unter dem Namen Familie Moos den Schulpavillon Allenmoos II in Oerlikon und richtete dort die Autonome Schule Zürich (ASZ) ein. Nach dem Motto «Mini Schuel, dini Schuel» sollte Wissen gratis und ohne Zulassungsbeschränkungen weitergegeben werden, ohne Leistungsdruck, im gegenseitigen Austausch und selbstverwaltet. Die ASZ stellte ihre Räume auch dem Verein Bildung für alle zur Verfügung, der seit der Besetzung der Predigerkirche im Dezember 2008 an ständig wechselnden Orten Deutschkurse für und mit Papierlosen organisierte.

Nachdem die Polizei den Schulpavillon wegen einer angezapften Stromleitung im Januar 2010 räumte, fand der Deutschunterricht an verschiedenen Orten statt, bis die ASZ im April 2010 die Baracke beim Güterbahnhof Zürich besetzte. Neben dem Deutschunterricht, der regelmässig von gut hundert illegalisierten Flüchtlingen und MigrantInnen besucht wird, wird auch Englisch und Arabisch unterrichtet, es gibt Kurse zur Programmiersprache Java sowie Seminare zu John Cage und Alain Badiou.

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