Durch den Monat mit Claudia Honegger (Teil 1): Ist der 8. März mehr als ein Muttertag?

Nr. 9 –

Claudia Honegger ist eine der bekanntesten SoziologInnen im Land und war Mitbegründerin der Frauenbefreiungsbewegung (FBB). Sie erklärt, weshalb es immer noch schwierig ist, Regisseurin zu werden.

Claudia Honegger: «Um Regisseur zu werden, muss man überzeugt sein, dass man der Grösste ist. Da ist eine männliche Sozialisation natürlich hilfreich.»

WOZ: Vor kurzem hat die Schweiz vierzig Jahre Frauenstimmrecht gefeiert. Sie waren 24 Jahre alt, als die Frauen endlich an die Urnen durften. Wie war das, ohne Frauenstimmrecht erwachsen zu werden?
Claudia Honegger: Es war indiskutabel – all die Buben um mich herum durften an die Urne, wir nicht, das war unmöglich. Ich komme aus einer feministischen Familie. Meine Grossmutter mütterlicherseits war immer sehr aktiv in der Frauenrechtsbewegung. Ich studierte in den späten sechziger Jahren in Zürich Ökonomie, Philosophie und Soziologie, war in der Studentenbewegung aktiv und bei der FBB dabei.

Was passte der FBB nicht an der bestehenden Frauenbewegung?
Uns war die alte Frauenbewegung zu brav, zu handzahm, zu gemütlich geworden. Wir sprengten ihre Veranstaltungen, wie etwa 1968 im Schauspielhaus. Am 1. Februar 1969, dem Frauenstimmrechtstag, ging der Frauenstimmrechtsverein zur Erinnerung an die verlorene Abstimmung von 1959 mit Fackeln auf die Strasse. Uns war das zu wenig, wir wollten eine richtige Protestaktion machen und planten, das Tram beim Zürcher Bellevue zu blockieren. Meine Grossmutter – die schon fast achtzig war – kam mit uns. Meine Mutter, eine freisinnige Frauenrechtlerin, fand das zu provokativ und marschierte beim Fackelzug mit.

Wie ging die Trambesetzung aus?
Es gab ein Strassentheater, anschliessend haben wir die Tramschienen wieder geräumt. Am 1. März kam es dann aber zum grossen Marsch nach Bern, an dem zahlreiche Frauenorganisationen teilnahmen.

Ihre Dissertation haben Sie über «Hexen der Neuzeit» geschrieben. Weshalb dieses Thema?
Das Thema lag wohl in der Luft. Die Hexenverfolgung erlebte erst nach der Reformation ihren Höhepunkt – also relativ spät. Es war ein Modernisierungskonflikt im Gang, der Sündenböcke brauchte. Man musste getaufte Christin sein, um als Hexe verurteilt werden zu können. Die Hexen waren gefürchtete, gefährliche Weiber – Naturmächtige. Was mich auch interessiert hat, war die Frage: Wie kam es, dass am Ende aus diesen Figuren Hysterikerinnen wurden? Wie hat man es geschafft, aus ihnen kranke, schwache Frauen zu machen? Da spielten zum Beispiel die Ärzte eine Rolle, die diese Frauen nicht mehr als Hexen sahen, sondern sagten: Die sind verrückt, die gehören in einer Irrenanstalt weggesperrt.

Zwanzig Jahre lang waren Sie Soziologieprofessorin an der Uni Bern, seit eineinhalb Jahren sind Sie emeritiert. Sie haben aber nicht ganz aufgehört?
Im letzten Jahr habe ich zusammen mit anderen Soziologen und Soziologinnen das Buch «Strukturierte Verantwortungslosigkeit» herausgegeben, das Gespräche mit Bankern über die Krise enthält.

Zurzeit betreue ich noch mehrere Promotionen. Bei einer geht es um den Beruf des Bergführers, bei einer anderen um Theaterregie. Beides Bereiche, in denen es noch immer nicht sehr viele Frauen gibt.

Und warum?
Das Bergführerwesen ist ein hochgradig maskulinisiertes Feld, da steckt noch einiges von der geistigen Landesverteidigung und dem idealisierten Schweizer Mann drin. Die Frauen sind ja auch noch nicht lange zur Bergführerprüfung zugelassen. Bei einem so aufgeladenen Beruf fällt es den Frauen natürlich schwerer, sich das zuzutrauen.

Und bei der Regie?
Noch vor zwanzig, dreissig Jahren gab es nur sehr wenige Regisseurinnen, dafür aber gefeierte. Früher waren Regisseure meist Schauspieler, die später in die Regie wechselten. Es braucht ein gutes Stück Selbstcharismatisierung – man muss überzeugt sein, dass man der Grösste ist, um sich durchsetzen zu können. Da ist eine männliche Sozialisation natürlich hilfreich. Als Frau muss man doppelt so viele Ressourcen aufbringen, um in einem solchen Beruf Erfolg zu haben. Heute kann man Regie studieren, das macht zumindest den Berufseinstieg für Frauen einfacher.

Am nächsten Dienstag wird in der Schweiz der 100. Frauentag gefeiert. Er hat auch einen leichten Nebengeschmack, wird abgehandelt wie der Muttertag: Einmal im Jahr widmet man sich den diskriminierten Frauen.
Na ja, jetzt habt ihr doch wirklich etwas zu schreiben, mehr denn je! Bei all den Revolutionen von Tunesien bis Ägypten, überall sind die Frauen dabei! Plötzlich gehen sie auch ohne Männer auf die Strasse. Auf dem Tahrir-Platz sah man sie alle nebeneinander, die mit und die ohne Schleier. Das ist doch toll!

Also doch mehr als noch ein Muttertag?
Der Frauentag war von Anbeginn als internationaler Tag gedacht. Der Muttertag wurde hingegen von den Nazis etabliert und war von jeher vor allem ein Tag der Floristen. Das ist nicht zu vergleichen. Was aber schon stimmt: Die gewerkschaftlichen Forderungen wie zum Beispiel nach Lohngleichheit müssen jeden Tag umgesetzt werden – das darf nicht auf den Frauentag beschränkt bleiben.

Was werden Sie am 8. März tun?
Das weiss ich noch nicht. Wenn es eine Demonstration gibt, die nicht nur schweizbezogen ist, sondern sich mit den Frauen und den Revolutionen im Maghreb, in Ägypten und in den Golfstaaten solidarisiert, gehe ich hin.