Atomkraft in Armenien: Ein Erdbeben überlebt der Reaktor nicht

Nr. 12 –

Armeniens Energieversorgung hängt an einem veralteten AKW sowjetischer Bauart. Und das liegt mitten in einer Erdbebenzone. Pläne für den Ernstfall gibt es keine.


Ganz in der Nähe der Hauptstadt Eriwan steht das armenische Atomkraftwerk Mezamor. Es bestreitet etwa vierzig Prozent der armenischen Stromversorgung. Das AKW gilt als extrem gefährlich aufgrund der veralteten Bauart und der seismologisch prekären Lage.

Staatliche Stellen behaupten, das AKW würde einem Erdbeben bis zu einer Stärke von acht auf der Momenten-Magnituden-Skala standhalten. Der britische Atomphysiker Frank Barnaby bezweifelte jedoch diese Einschätzung gegenüber dem US-Sender Radio Liberty: «Es ist äusserst unwahrscheinlich, dass ein derart veralteter Reaktor ein starkes Erdbeben unbeschadet überstehen würde.» Mezamor hat laut Aussage des ehemaligen Werkdirektors Suren Azatian im Gegensatz zu den Reaktoren von Fukushima keinen Sicherheitsmantel um den Reaktorkern. Seit 1995 sind rund neunzig Millionen US-Dollar in die Behebung von Sicherheitsmängeln geflossen, um das AKW den Standards der Internationalen Atomenergieagentur anzupassen. Doch bewertet das Österreichische Ökologie-Institut das armenische Atomkraftwerk als das gefährlichste Europas.

Das letzte grosse Erdbeben in Armenien erreichte im Jahr 1988 eine Stärke von 6,9 – 25 000 Menschen verloren damals ihr Leben. Das AKW nahm angeblich keinen Schaden, wurde aber in der Folge für mehrere Jahre stillgelegt. Dann führte der Karabachkrieg zwischen Armenien und Aserbaidschan 1988 bis 1994 zu einer Handelsblockade Armeniens vonseiten Aserbaidschans, die bis heute anhält und der sich auch die Türkei anschloss. Im Winter 1992 starben bei Nachttemperaturen von minus 25 Grad Tausende durch Kälte und Hunger. Armenien sah sich gezwungen, einen der stillgelegten Meiler wieder einzuschalten: 1995 ging Mezamor 2 wieder ans Netz und soll bis 2016 laufen.

Keine Pläne für den Ernstfall

Nicht nur der alternde Reaktor stellt eine Bedrohung dar, auch die fehlende Vorbereitung der Regierung auf einen nuklearen Unfall ist problematisch. Richard Giragosian, Journalist bei Radio Liberty und Direktor des unabhängigen Armenian Center for National and International Studies in Eriwan, sagt via Skype: «Es gibt keine Pläne für solche Szenarien. Die Regierung ist nicht einmal darauf vorbereitet, was im Falle eines erneuten Erdbebens zu tun wäre – geschweige denn einer nuklearen Katastrophe.» Die intransparenten Strukturen der Regierung in Eriwan seien Teil des Problems. Effektive Entscheidungen würden durch Korruption und Nepotismus behindert, die regierende Elite sei mehr mit Machterhalt und internen Kämpfen beschäftigt als mit dem Aufbau demokratischer Strukturen. Dies betreffe auch den Katastrophenschutz. Die Armenienexpertin Tessa Savvidis von der Freien Universität Berlin fügt am Telefon hinzu: «Es herrscht eine miserable Informationspolitik in Armenien.» Bei Erdbeben würden die staatlichen Institutionen erst dann Warnungen herausgeben, wenn schon längst alles vorüber sei.

In der Region Eriwan leben 1,4 Millionen Menschen in unmittelbarer Nähe zum AKW Mezamor. Dessen Umgebung, die Araratebene, ist Armeniens dichtestbesiedelte Zone und Hauptanbaugebiet für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Im Falle einer atomaren Verstrahlung ginge diese Anbaufläche wohl für immer verloren. Auch die Türkei wäre direkt betroffen, die mittelgrosse Stadt Igdir liegt nur zehn Kilometer von Mezamor entfernt.

Abhängigkeit von Russland

In Zusammenarbeit mit Russland ist der Neubau eines weiteren Reaktors auf demselben Gelände geplant. Konkrete Finanzierungspläne wurden im November unterschrieben. Ein neuer Reaktor mit einer Leistung von bis zu 1200 Megawatt könnte es der Kaukasusrepublik ermöglichen, den alten Reaktor ohne Versorgungsengpässe abzuschalten. Alternative Versorgungsmodelle stehen kaum zur Diskussion. «Die armenische Regierung investiert wenig in erneuerbare Energien. Dies ist ihr sicherlich vorzuwerfen», so die Wissenschaftlerin Savvidis. «Doch durch die energiepolitische Abhängigkeit von Russland hat sich auch Hilflosigkeit innerhalb der Regierung breitgemacht.» Seit 2003 wird das AKW Mezamor vom russischen Strom-Monopolisten Inter RAO betrieben. Auch die Brennstäbe werden aus Russland bezogen. Zwar liefert eine kleine Gaspipeline aus dem Iran zusätzliche Energie nach Armenien, doch hier ist Russland über den armenischen Gazprom-Ableger Armrosgazprom ebenfalls beteiligt.