Der Fukushima-Betreiber Tepco: Ein Konzern ausser Kontrolle
Die Atomkatastrophe von Fukushima war längst absehbar. Und Tepco, die Betreiberfirma des Atomkomplexes, hätte man wegen ihrer kriminellen Machenschaften auflösen sollen.
Die zweitletzte Warnung gab es am 16. Juli 2007. Ein Erdbeben mit der Stärke 6,6 auf der Richterskala ereignete sich an der Küste der japanischen Präfektur Niigata. Im leistungsstärksten Atomkraftwerk der Welt, dem Kashiwazaki-Kariwa-Komplex mit insgesamt sieben Reaktoren, blieb das nicht folgenlos. Radioaktivität gelangte ins Meer, Fässer mit leicht radioaktivem Material purzelten durcheinander, und in der Transformatorenstation brach ein Feuer aus. Rund fünfzig Fehlfunktionen sollen sich als Folge des Erdbebens ereignet haben.
Die Betreiberin des Kraftwerks, die Tokyo Electric Power Corporation (Tepco), der auch die Reaktoren in Fukushima gehören, informierte die Behörden viel zu spät über die Störfälle und spielte diese dann zunächst herunter. So gab sie die freigesetzte Radioaktivität fünfzig Prozent zu tief an. Sie begründete das später mit einem Rechenfehler. Internationale NuklearinspektorInnen, die das Werk nach dem Vorfall besichtigten, zeigten sich besorgt darüber, wie unvorbereitet die Tepco offenbar auf das Erdbeben war.
Der damalige Generaldirektor der Internationalen Atomenergieagentur, Mohammed al-Baradei, sagte: «Es ist klar, dass die Reaktoren nicht für die Stärke dieses Bebens ausgelegt waren. Ich hoffe und glaube, dass Japan eine vollumfänglich transparente Untersuchung einleiten wird.» Die Anlage wurde schliesslich für 21 Monate abgeschaltet, doch danach ging sie wieder ans Netz. Dabei war doch die Behauptung widerlegt, die 1980 den Bau des Atomkraftwerks ermöglichte: dass die Gegend von Niigata nicht in einer aktiven Erdbebenzone liege.
Mr. Pluto trinkt Plutonium
Die letzte Warnung gab es im August 2009: Nur 37 Kilometer vom japanischen AKW Hamaoka entfernt lag das Epizentrum eines Erdbebens der Stärke 6,5. Auch hier nahm der Atomkomplex – der zweitgrösste der Welt – Schaden. 46 Störungen wurden danach aufgelistet, zwei Reaktoren wurden vorsorglich abgeschaltet. Das atomkritische Citizens’ Nuclear Information Center (CNIC) schrieb: «Das Erdbeben lässt viele beängstigende Fragen offen.» Die Siedewasserreaktoren seien auf ein Beben der Stärke 8,5 ausgelegt. Doch die jetzigen Ereignisse hätten gezeigt: «Das AKW würde das wohl nicht überstehen.»
Die AnwohnerInnen der 2007 und 2009 durch Erdbeben beschädigten AKWs protestierten immer wieder vehement gegen die Wiederinbetriebnahme der Meiler. Doch ihr Einfluss war beschränkt. Japan hatte sich längst atomstromabhängig gemacht. Atomtechnologie galt per Staatsdoktrin als sauber und sicher. Der 26. Oktober ist in Japan gar der offizielle «Tag der Kernenergie». Um den BürgerInnen die Angst vor dem mit Plutonium betriebenen schnellen Brüter Monju zu nehmen, kreierte eine PR-Agentur Anfang der neunziger Jahre im staatlichen Auftrag die Comicfigur Mr. Pluto, der Plutonium trinkt und sich danach bestens fühlt.
Neues Geld aus Zürich
Eine zentrale Rolle in Japans Atomindustrie spielte bislang die Tepco. Die Aktiengesellschaft mit 50 000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von rund fünfzig Milliarden Franken zählt zu den grössten Energiekonzernen der Welt – was in Selbstdarstellungen auch gerne herausgestrichen wird. Rund ein Viertel der Tepco-Aktien sind im Besitz der drei grössten Banken und von zwei der grössten Versicherungskonzerne Japans. Tepco setzt auf starkes Wachstum und hat in den letzten Jahren in andere asiatische Länder und auch in die USA expandiert. Dort unterschrieb die Firma im Mai letzten Jahres einen Vertrag für den Bau eines neuen Atomkraftwerkes. Ein Tepco-Manager sagte dazu: «Es ist eine grossartige Möglichkeit, mit unserer weiterentwickelten Siedewasser-Reaktorentechnologie zu expandieren.»
Tepcos Aktienkurs ist in den letzten Tagen dramatisch eingebrochen. Das bislang weltweit respektierte Unternehmen wird fallen gelassen. Auch Obligationäre wollen sich von ihren Papieren trennen: Vor einem Jahr hatte Tepco noch an der Börse SIX in Zürich eine Anleihe von 300 Millionen Franken aufgelegt, mit Credit Suisse und UBS als Dealer. Es war bereits das 17. Mal, dass sich die Firma in Zürich neues Geld beschaffte. Wer sich 2010 eine Obligation für 5000 Franken (bei 2,125 Prozent Zins) kaufte, der bekam am Dienstag nur noch etwas mehr als 4000 Franken dafür.
Vertuschte Risse
Tepco hätte eigentlich längst keine neuen Kredite bekommen dürfen. Nicht nur kam es immer wieder zu Störfällen in ihren Reaktoren; hinzu kommt, dass die Firma systematisch Dokumente fälschte: Im Juli 2000 meldete sich der Techniker Kei Sugaka beim japanischen Wirtschaftsministerium mit brisanten Enthüllungen über die Tepco. Er hatte zuvor bei General Electric gearbeitet und war an der Konstruktion des ersten Atomreaktors in Fukushima beteiligt. Sugaka wies nach, dass die Tepco Probleme beim Betrieb ihrer AKWs vertuschte. So hielt die Firma in den neunziger Jahren insgesamt dreizehn Risse in der Ummantelung verschiedener ihrer Reaktoren geheim.
Es dauerte zwei Jahre, bis das japanische Wirtschaftsministerium auf Sugakas Bericht hin handelte. «Wir brauchten Zeit um den Status des Whistle-Blowers abzuklären», lautete später die Begründung. Tepco wurden schliesslich vom Ministerium 29 Fälschungen nachgewiesen – etwa durch die Manipulation von Videoaufnahmen im Innern des Reaktors. Der damalige Firmenpräsident musste zusammen mit vier weiteren Topkadern des Konzerns 2002 zurücktreten.
Doch eigentlich hätte die Firma aufgelöst oder verstaatlicht werden müssen. Die «Kultur des Fehlverhaltens», wie es das CNIC nannte, liess sich nicht stoppen. Auch in den Jahren danach kamen Vertuschungsmanöver ans Tageslicht. «Der Skandal ist nur die Spitze des Eisbergs», schrieb CNIC. Das Hauptproblem sei die japanische Bürokratie, die nicht wirklich willens sei, den Energiekonzern zu kontrollieren.
Die Katastrophe von Fukushima zeigt: Nicht nur die Atomtechnologie allein hat sich als unkalkulierbares Risiko erwiesen – auch die Betreiberfirmen und Kontrollbehörden sind es.