Kommentar: Die angekündigte Bauchlandung

Nr. 14 –

Die «Frankfurter Rundschau», Deutschlands letzte linksliberale Tageszeitung mit dezidiert linkem Profil, verliert ihre Selbstständigkeit und fast die Hälfte aller RedaktorInnen.


Was letzte Woche bekannt wurde, ist eine Zäsur in der deutschen Mediengeschichte der Nachkriegszeit: Die linksliberale Tageszeitung «Frankfurter Rundschau» (FR) verliert ihre Selbstständigkeit. Das Blatt wird in Zukunft in Berlin und von der «Berliner Zeitung» gemacht, die ebenfalls zum Neven-DuMont-Verlag (Köln) gehört. Die Ressortspitzen sollen zwar vorerst mit je einem Frankfurter und einem Berliner Redaktor besetzt werden. Auf die Dauer wird diese Doppelbesetzung aber wohl dem Rationalisierungsdruck weichen müssen. In Frankfurt bleiben nur die Lokalredaktion sowie das Team für die Netzausgabe der FR.

Mit der unabhängigen FR verschwindet die letzte linke Tageszeitung, die sich dauerhaft für soziale Bewegungen engagiert hat: von der Ostermarsch- über die StudentInnen- bis zur Umweltbewegung. Ihre Lizenz erhielt die Zeitung am 1. August 1945 von der US-amerikanischen Besatzungsmacht. Von 1946 bis zu seinem Tod 1973 prägte der Sozialdemokrat Karl Gerold als Verleger das Blatt.

Der Verlust der Selbstständigkeit kommt nicht aus heiterem Himmel. Schon in den achtziger und neunziger Jahren ist die Zeitung massgeblich über Gewinne aus der Druckerei mitfinanziert worden. Und diese lebt hauptsächlich von Aufträgen der bürgerlich-konservativen Axel Springer AG. Wie alle anderen Tageszeitungen leidet auch die FR seit Anfang dieses Jahrhunderts unter rückläufigem Anzeigenaufkommen.

Vorher hatten die Zeitungsverlage mehrheitlich ausserordentlich gut verdient. Allerdings reagierten die meisten Verleger mit beispielloser Einfalt auf die krisenhafte Entwicklung des Anzeigenmarkts: Die ganze Branche verfiel einer Interneteuphorie und verbrannte Millionenbeträge mit Netzauftritten, die schnell zu einer Belastung für die Bilanzen wurden und nicht der erhofften Rettung dienten. Im Fall der «Frankfurter Rundschau» kosteten auch Schüsse aus der Hüfte wie die Mittagszeitung «City» und Wahnsinnsprojekte wie das «Magazin» viel Geld.

Ab 2002 geriet die FR ernsthaft in Schwierigkeiten. Die Geschäftsführung übernahm ein Generalbevollmächtigter der Gläubigerbanken. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG erstellte einen radikalen Sanierungsplan: 150 Stellen im Gesamtbetrieb sollten gestrichen werden. Um das durchzusetzen, ernannte man im Oktober 2002 den aus der Gewerkschaftsbewegung stammenden Wolfgang Storz zum Chefredaktor. Ihm wurde ein Sozialplan vorgegeben, mit dem ältere MitarbeiterInnen geschont und alte Zöpfe erhalten, dafür junge Leute entlassen wurden. Den verbliebenen MitarbeiterInnen strich man Lohnzulagen. Im Jahr 2004 waren noch 750 MitarbeiterInnen angestellt – 950 weniger als drei Jahre zuvor.

Der Abbau konnte trotzdem nicht verhindern, dass bereits im März 2003 eine Landesbürgschaft beantragt werden musste. (Diese ermöglichte es, bei einem Bankenkonsortium Geld aufzunehmen.) Und das ausgerechnet bei der rechten Landesregierung von Hessen unter CDU-Ministerpräsident Roland Koch. Doch Storz gelang es in seiner Zeit als Chefredaktor, das linke Profil der Zeitung zu schärfen und das jährliche Schrumpfen der Auflage zu stoppen, vor allem indem er die Stadt- und Regionalberichterstattung ausbaute.

Unter dem ökonomischen Druck war an eine Blattreform nicht zu denken. Der Sparzwang regierte. Im Mai 2004 stieg die der SPD gehörende Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG) bei der FR ein: Sie kaufte neunzig Prozent der Anteile aus dem Besitz der Karl-Gerold-Stiftung. Zur Parteizeitung wurde die FR jedoch nicht. Gut zwei Jahre später verkaufte die DDVG rund fünfzig Prozent ihrer Anteile an den Verlag Neven DuMont, der seither die Mehrheit hält.

Der Verleger Alfred Neven DuMont und sein neuer Chefredaktor Uwe Vorkötter stehen für drei Fehlentscheidungen: Zwei brachten das Blatt ökonomisch nicht voran, und eine ruinierte den Ruf der Zeitung. Ökonomisch falsch war, die Regional- und Lokalseiten im Rhein-Main-Gebiet zu reduzieren. Aus dieser Region mit – je nach Zählweise – zwei bis vier Millionen EinwohnerInnen stammte das grösste Anzeigenaufkommen. Hier waren auch die Vertriebskosten am geringsten. Ökonomisch als falsch erwiesen hat sich auch die Umstellung auf das Tabloidformat im Mai 2007: Sie kostete immerhin 15 000 zahlende AbonnentInnen. Ausgesprochen teuer kamen die Zeitung zudem zwei Umzüge der Redaktion zu stehen.

Katastrophal wirkte sich die inhaltliche Neuausrichtung aus, die mit der Umstellung auf das Tabloidformat einherging: Immer kürzere Texte machten üppig bebilderten Seiten Platz. Und statt das linke Profil der Zeitung zu schärfen, setzte man auf einen Kurs zwischen einem zahnlosen Sozialliberalismus und Anleihen beim herrschenden Neoliberalismus.

Das Resultat kam bei vielen LeserInnen nicht gut an: Zahme, buchstäblich nach allen Seiten offene Kommentare gingen einher mit täglich vier Seiten Boulevardtexten, seifigen Interviews mit halbwegs Prominenten, klebrigen Homestorys und einem rigoros zusammengestrichenen, intellektuell abgemagerten Feuilleton. Die ausgedünnten Etats für freie MitarbeiterInnen führten zu einer spürbaren Provinzialisierung der Kulturberichterstattung. Und die festangestellten RedaktorInnen wurden gezwungen, selbst sehr viel und sehr schnell zu schreiben.

2010 lagen die Verluste bei neunzehn Millionen Euro. Durch die nun vorgesehene Zusammenlegung der Frankfurter mit der Berliner Redaktion sollen 88 der noch verbliebenen 190 Redaktionsstellen gestrichen werden. Nach Qualitätssteigerung sieht das nicht aus.