Der Ölkonzern BP: Neue Strategie, noch mehr Risiko

Nr. 15 –

Ein Jahr nach der Explosion der Förderplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko plant der britische Ölkonzern BP mehr und riskantere Ölförderung in der Tiefsee.


Im Prinzip hätte die Katastrophe vom 20. April 2010 beim Ölkonzern BP zum Umdenken führen können. An diesem Tag explodierte die Ölplattform Deepwater Horzion, elf Arbeiter wurden getötet. Danach liefen während drei Monaten aus einer havarierten Bohrstelle in 1500 Meter Meerestiefe täglich mehrere Millionen Liter Erdöl in den Golf von Mexiko. Die Folgen für die Umwelt sind bis heute nicht abschätzbar.

Ein Jahr nach der Explosion der Deepwater Horizon ist klar: BP hat sich dafür entschieden, weiter an die Grenzen des Machbaren vorzustossen. Zwar musste Konzernleiter Tony Hayward im Oktober wegen des Desasters am Golf zurücktreten, doch mit Bob Dudley steht nun jemand dem multinationalen Grosskonzern vor, der genauso risikobereit wie sein Vorgänger ist. Die Katastrophe im Golf von Mexiko war für ihn ein willkommener Anlass, um «einen grossen Strategiewechsel vorzunehmen», wie er im Februar an einer Investorenkonferenz sagte. BP wolle weiter in die Tiefsee vorstossen und auch im arktischen Ozean aktiv werden. Zudem wolle man verstärkt auf «unkonventionelle Quellen» setzen. Darunter versteht Dudley die Extraktion von Erdöl aus Ölsand sowie das Herauslösen von Gas aus Schiefergestein. Beide Abbaumethoden sind höchst umstritten und umweltschädigend (siehe WOZ Nrn. 4/10 und 40/10).

Von Kontinent zu Kontinent

Im hochriskanten Bereich der Tiefseebohrungen hat BP in den letzten Monaten verschieden Abkommen geschlossen, die der Firma rund um den Globus Zugang zu neuen Erdölvorkommen unter dem Meeresgrund ermöglichen. So hat der Konzern die Konzessionen für acht Tiefwasserstellen vor der Küste Brasiliens übernommen. Die Zustimmung der brasilianischen Regierung steht noch aus. Die Stellen liegen in einer Meerestiefe von bis zu 2484 Metern.

Nächstes Jahr will BP zudem mit seismischen Untersuchungen vor der Küste Australiens beginnen. ExpertInnen vermuten in dem 800 000 Quadratkilometer grossen Gebiet ein Förderpotenzial in der Grössenordung der Ostküste Südamerikas beziehungsweise der Westküste Afrikas. BP will vorerst 1,4 Milliarden US-Dollar investieren. Neben seismischen Untersuchungen sind in den kommenden Jahren auch verschiedene Probebohrungen geplant, in Wassertiefen zwischen 140 und 4600 Metern. UmweltschützerInnen sorgen sich um eines der artenreichsten Meeresgebiete der Welt. Bereits die seismischen Untersuchungen könnten die Delfine und Wale dort empfindlich stören.

Einen besonderen Schwerpunkt legt BP auf die Ölsuche in der russischen Arktis. Mit dem staatlichen russischen Erdölkonzern Rosneft hat BP im Januar einen Aktientausch im Umfang von sechzehn Milliarden US-Dollar vereinbart. Zusammen will man ein 125 000 Quadratkilometer grosses Gebiet in der Karasee untersuchen und gegebenenfalls ausbeuten. Zwar ist die Karasee nicht besonders tief, doch aufgrund der polaren Temperaturen ist dort der Betrieb von Bohrtürmen eine spezielle Herausforderung. Gelangt Erdöl ins Wasser, so baut es sich wegen der Kälte und des Eises nur sehr langsam ab. Eine Reinigung der Küsten, wie im Fall vom Golf von Mexiko, wäre dort unmöglich. Noch ist unklar, ob alles nach den Vorstellungen der BP-Bosse läuft. Denn inzwischen haben russische Oligarchen (darunter der auch in der Schweiz bekannte Viktor Vekselberg), die mit BP ein anderes Joint Venture unter dem Namen TNK-BP betreiben, vor Gericht Einsprache gegen den Aktientausch eingelegt. Sie werfen BP Vertragsbruch vor. Ursprünglich hätte TNK-BP in der Karasee bohren sollen.

Vertuschtes Leck

Wie andere grosse Ölkonzerne beteiligt sich auch BP bei der Suche und der Ausbeutung von Erdöl im Südchinesischen Meer. Ende des letzten Jahres schloss BP einen Partnerschaftsvertrag mit der staatlichen chinesischen Erdölgesellschaft CNOOC. China will mithilfe der ausländischen Konzerne in weitaus grössere Meerestiefen vorstossen, als es die technischen Möglichkeiten von CNOOC erlauben.

Bereits aktiv ist BP im Kaspischen Meer vor der Küste Aserbaidschans. Seit 2005 lässt die Firma dort Öl und seit 2006 Gas abpumpen. Im September 2008 kam es dabei bei der Central-Azeri-Plattform zu einem schweren Störfall. Ähnlich wie bei der Deepwater Horizon liess sich ein Bohrloch nicht abdichten. Grosse Mengen an Gas strömten aus und gelangten an die Meeresoberfläche. Es gelang, sämtliche 211 ArbeiterInnen auf der Plattform zu evakuieren und eine Explosion zu verhindern. Doch BP vertuschte den Vorfall. Erst Ende 2010 gelangten Details via Wikileaks an die Öffentlichkeit. BP will seine Position im Kaspischen Meer weiter ausbauen.

Noch dieses Jahr will BP auch mit Erkundungsbohrungen vor der Küste Libyens beginnen, in bis zu 2000 Metern Tiefe. BP hat sich die Rechte dafür bei Muammar al-Gaddafi gesichert, nachdem der internationale Boykott gegen dessen Regime 2007 aufgehoben wurde. Ob unter den derzeitigen Umständen das Projekt weitergetrieben werden kann, ist fragwürdig. Doch BP ist auch an anderen Orten in Afrika präsent, etwa vor der Küste Angolas. In Europa bohrt BP schon seit langem in ausgedehnten Feldern in der Nordsee.

Auch im Golf von Mexiko will der Konzern wieder aktiv werden. Noch in diesem Jahr soll gebohrt werden. Eine Zustimmung der US-Behörden steht jedoch noch aus. Andere Ölfirmen sind bereits wieder an der Arbeit, nachdem ein Moratorium der US-Regierung von Ende Mai 2010 inzwischen abgelaufen ist.

Christliche AktionärInnen

«Eigentlich wäre doch jetzt für BP Zeit, das eigene Haus in Ordnung zu bringen», sagt Julie Tanner, die eine Gruppe von BP-AktionärInnen vertritt, denen die derzeitige Strategie des Konzerns überhaupt nicht passt. Doch statt sich um die Sicherheit seiner bestehenden Anlagen zu kümmern, fokussiere BP «auf neue Risiken». Tanner ist Mitarbeiterin der Christian Brother Investment Services (CBIS), einer Vereinigung kirchlicher Organisationen in den USA, die unter anderem BP-Aktien halten. Diesen Donnerstag will Tanner an der BP-Generalversammlung das Wort ergreifen und kritische Fragen stellen. Ausserdem beantragt die CBIS zusammen mit weiteren AktionärInnen – darunter die Schweizer Anlagestiftung Ethos – die Rückweisung des Geschäftsberichts von BP. «Darin wird zu wenig erläutert, welche Lehren aus der Katastrophe im Golf von Mexiko gezogen werden», kritisiert Tanner. Sie fordert die Einsetzung eines unabhängigen Experten, der die Sicherheitsbestimmungen bei riskanten Bohrungen neu definieren soll. So ein Experte habe der Konzern auch nach der Explosion eingesetzt, bei der 2005 in der Raffinerie von Texas City 15 ArbeiterInnen getötet und mehr als 170 verletzt wurden.

Die CBIS habe in den letzten Jahren immer wieder das Gespräch mit BP gesucht, sagt Tanner. Doch anders als zuvor habe das Management seit 2008 kein Interesse mehr gezeigt. Auch in den letzten Monaten sei es trotz mehrerer Versuche nicht möglich gewesen, mit einem Vertreter des BP-Verwaltungsrats zu sprechen. Die AktionärInnengruppe um CBIS besitzt sechs Millionen BP-Aktien – im Verhältnis zur Gesamtzahl von neunzehn Milliarden BP-Aktien ist das allerdings ein Pappenstiel. Ein Verkauf der Aktien kommt für Tanner jedoch nicht infrage: «Wir verkaufen nie. Wir sind langfristige Investoren und versuchen, einen Wandel der Firma herbeizuführen.» Dass ihre Anträge an der Generalversammlung durchkommen, glaubt auch Tanner nicht.

Viele Pensionskassen schweigen

Die BP-Aktien sind breit gestreut. «In der Mehrheit sind sie im Besitz von institutionellen Anlegern», sagt Dominique Biedermann von der Stiftung Ethos. BP gehört also letztlich Hedgefonds, Versicherungen und Pensionskassen. Speziell britische Pensionskassen halten gewichtige Anteile an BP, wie Louise Rouse von der britischen nichtstaatlichen Organisation FairPension sagt. Die Organisation versucht, Pensionskassen dazu zu bewegen, Druck auf Firmen wie BP auszuüben, damit diese ihre soziale und ökologische Verantwortung wahrnehmen. Nur schon aus finanziellen Überlegungen heraus müssten langfristig denkende Aktionäre eine risikoreiche Geschäftsstrategie von BP eigentlich ablehnen.

Auch viele Schweizer Pensionskassen halten BP-Aktien, wie Biedermann weiss. Wer auf einen ausgeglichenen Aktienmix setze, komme kaum um die grossen europäischen Ölunternehmen herum. Viele dieser Pensionskassen üben jedoch nicht einmal ihr Stimmrecht aus.