Porträt: Mit Vollgas über Hürden

Nr. 16 –

Während in Zürich viele ausländisch klingende Namen von den Listen gestrichen wurden, schafften es Hasan Candan und Ylfete Fanaj auf Anhieb in den Luzerner Kantonsrat. Was läuft in Luzern anders?


Sie: Pullover mit V-Ausschnitt, Jackett, Jupe und Schuhe mit Absatz, eine Handtasche über der Schulter. Selbstbewusst, höflich und mit Witz.

Er: grauer Kapuzenpullover, lockere Jeans und Turnschuhe, die Sporttasche umgehängt. Ebenfalls selbstbewusst, doch etwas jünger und um eine Prise verlegener als sie. Ein Piercing in der Unterlippe und die Haare frisch gewaschen – er kommt soeben vom Sport.

Sie ist Ylfete Fanaj, 28, Luzerner Grossstadträtin der SP und seit zwei Wochen auch Kantonsrätin. Er ist Hasan Candan, 26, am 10. April ebenfalls in den Luzerner Kantonsrat gewählt – als erstes Juso-Mitglied überhaupt. Fanaj und Candan legten beide eine steile Politkarriere hin. Sie trat 2005 der SP Stadt Luzern bei, zwei Jahre später wurde sie in den Grossstadtrat gewählt. Er hatte es noch eiliger: Im Dezember 2010 trat Candan der Juso bei – gute vier Monate später wurde er Kantonsrat.

Auf den Zürcher Listen hatten es KandidatInnen mit ausländisch klingendem Namen hingegen schwer: Viele wurden gestrichen. In Luzern schafften Fanaj und Candan die Wahl auf Anhieb. Wie erklären sie sich das? «Die Vernetzung spielte eine wichtige Rolle», meint der Betriebswirtschafts- und Sportstudent Candan. «Ich ging in drei Schulhäusern zur Schule, bin seit langem in der Jungwacht Blauring aktiv und kenne auch vom Sport her viele Leute.» Die Unterstützung seitens der Juso sei riesig gewesen. Klar, auch er habe «Vollgas gegeben»: Mit dem Velo verteilte er seinen Wahlsteckbrief an 2500 Haushalte. «Natürlich weiss ich nicht, wie es gekommen wäre, wenn ein anderer, mit einem ‹einfacheren› Namen als Spitzenkandidat für die Juso ins Rennen gegangen wäre.»

Unzählige Bewerbungen

Auch Fanaj ist skeptisch bezüglich der Progressivität des Kantons Luzern: «In Sachen Diskriminierungsschutz gibt es hier noch viel zu tun.» Sie spricht aus Erfahrung. Vor genau zwanzig Jahren, als Neunjährige, flüchtete sie vom Kosovo in die Schweiz. In der Primarschule hatte sie sehr gute Noten und wollte später ans Gymnasium. Der Lehrer meinte jedoch, ihr Deutsch sei hierfür noch nicht ausreichend. «Meine Eltern kannten das Schulsystem nicht und fanden, die Sekundarschule sei doch super für mich.» Nach drei Jahren Sek suchte sie eine Lehrstelle, vergebens: «Ich bewarb mich auf unzählige Stellen – und wurde zu keinem einzigen Vorstellungsgespräch eingeladen.» Fanaj ist überzeugt, dass ihr kosovarischer Name ein Hindernis darstellte, denn an den Noten konnte es nicht liegen. Auch nach dem zehnten Schuljahr verlief die Stellensuche sehr harzig. «Im letzten Moment fand ich einen Platz bei der Bildungsorganisation Ecap.» Die Frauen, die Fanaj einstellten, waren allesamt Secondas – und plötzlich war die Erfahrung eine andere: «Die Frauen bei der Ecap förderten mich, das gab mir ein starkes Fundament.» All diese Erlebnisse trugen zu ihrer Motivation bei, sich politisch zu engagieren, «und zwar auch dort, wo Entscheide gefällt werden, also im Parlament».

Im Jahr 2002 wurde Fanaj eingebürgert. «Endlich durfte ich abstimmen und wählen gehen.» Sie absolvierte die Berufsmatura und studierte Soziale Arbeit. Seit eineinhalb Jahren arbeitet sie als Jugend- und Integrationsbeauftragte beim Kanton Nidwalden.

«Ein wenig viel Integration in meinem Leben», sagt sie und lacht. Integration ist nicht gleich Anpassung, meint sie auf die Frage, was für sie der Begriff bedeute. Vielmehr bedeute Integration, dass allen dieselben Möglichkeiten gegeben werden. «Strukturelle Hürden für MigrantInnen müssen abgebaut werden.»

Entschlossene Luzerner Linke

Auch bei Hasan Candan waren es die Themen Integration und Interkulturalität, die ihn politisierten. «Die Ausschaffungsinitiative war für mich dann der definitive Kick-off, mich bei den Jusos zu engagieren.» Seine politischen Ambitionen wurden von seinem Vater unterstützt. Der kam zu Beginn der achtziger Jahre aus der Türkei, wo soeben das Militär geputscht hatte. Sein Studium in der Türkei musste er abbrechen, er holte es in der Schweiz viele Jahre später nach. Heute arbeitet er als Sozialarbeiter und Jurist. Als Mitglied der Grünen Partei kandidierte er auch schon für den Luzerner Kantonsrat – allerdings nicht so erfolgreich wie sein Sohn.

Fanaj und Canan sind sich einig, dass die gute Zusammenarbeit unter den linken Parteien für ihre Wahl ebenfalls ausschlaggebend war. «In Luzern besteht ein hartes Klima», sagt Candan. «Die Bürgerlichen und die Rechten sind sehr stark. Das benötigt eine entschlossene Linke, Konkurrenzkämpfe können wir uns hier nicht leisten.»

Im Juni beginnt die Session. Bis dahin will sich Ylfete Fanaj entscheiden, ob sie im Herbst ein Jurastudium aufnehmen soll, und Hasan Candan muss sich hinter seine Masterarbeit klemmen – «Das ging in den letzten Monaten etwas unter», sagt er.