Auf nach Beznau!: Wandern gegen die Halbwertszeit

Nr. 20 –


Es ist Zeit, einen Ausflug zu machen. Das Wetter wird schön, und Wandern ist hip. Besammlung am kommenden Sonntag, 8.30 Uhr oder später, beim Bahnhof Siggenthal-Würenlingen AG. Eine wundervolle Gegend, die zurzeit in üppigem Grün versinkt. Es geht der Aare entlang Richtung Döttingen, mitten durchs Herz des Schweizer Atomparks, am atomaren Zwischenlager und am Paul-Scherrer-Institut (PSI) vorbei, das aus der Fusion der Bundesinstitute für Reaktor- und Nuklearforschung entstanden ist, und weiter bis zur Aareinsel, wo die beiden musealen Meiler von Beznau stehen.

Tausende werden kommen – das Eidgenössische Nuklearinspektorat (Ensi) wird danken. Es sagt, es könne Atomkraftwerke nur vom Netz nehmen, wenn die Bevölkerung «akut bedroht» sei. Das Gesetz wolle dies so. Vielleicht sei das Gesetz zu wenig streng, hat Georg Schwarz, Vizedirektor des Ensi, einmal angemerkt. Und Ensi-Chef Hans Wanner sagt, es liege allein an der Politik, die AKWs abzuschalten.

Das Ensi getraut sich nicht, weil das Geld Politik macht. «Sollte der Bund Mühleberg frühzeitig und ohne akute Sicherheitsprobleme vom Netz nehmen, würden wir prüfen, ob daraus Entschädigungsansprüche abgeleitet werden können», drohte der BKW-Verwaltungsratspräsident Urs Gasche jüngst in der «NZZ am Sonntag». Angeblich würde die BKW eine Milliarde Franken Gewinn erzielen, wenn Mühleberg bis 2013 am Netz bleiben darf. Muss es vorher abgeschaltet werden, dann könnte die BKW den Bund auf die verlorenen Einnahmen verklagen. Das wirkt abschreckend.

Rührt das Ensi deshalb Mühleberg nicht an, dann wird auch Beznau nicht behelligt. Diese Anlage verfügt – im Gegensatz zu Mühleberg – seit mehreren Jahren über eine unbefristete Betriebsbewilligung, was sie nicht sicherer macht, aber der öffentlichen Aufmerksamkeit entzieht. Zu Unrecht, weist doch auch Beznau Mängel auf, die es rechtfertigen würden, die beiden Reaktoren sofort herunterzufahren. So hat es dort zum Beispiel zu wenige Notstromgeneratoren (vgl. Seite 3 der Printausgabe). Dass diese wichtig sind, wissen seit Fukushima selbst PolitikerInnen. Die Kernschmelzen reichen aber offenbar nicht, um beherzt durchzugreifen. Der kollektive Schrecken hat eine kurze Halbwertszeit.

AtomexpertInnen finden es indes gar nicht lustig, was man zwei Monate nach dem Beginn des Super-GAUs über Fukushima erfährt. Die Kernschmelze hat offenbar in allen Reaktoren schon einen Tag nach dem Erdbeben begonnen, die geschmolzene Masse ist zurzeit kaum mehr mit Wasser bedeckt, man rechnet mit unkontrollierten Kettenreaktionen, an gewissen Stellen werden gigantische Strahlenwerte gemessen. Nichts entspannt sich in Fukushima. AtomexpertInnen wissen: Es ist schlimm, sehr schlimm. Alle Übrigen nehmen die Fukushima-Meldungen kaum mehr wahr.

Das Zeitfenster für Veränderungen ist also eng. In den nächsten Tagen und Wochen wird entschieden, ob der Atomausstieg überhaupt eine Chance hat. Vor allem die greisen Meiler von Beznau und Mühleberg müssen rasch vom Netz. Denn dürften sie weitere zehn Jahre betrieben werden, dann würden dies die gefährlichsten zehn Betriebsjahre ihrer Geschichte – weil möglichst kein Geld mehr in ihre Nachrüstung gesteckt würde.

Für das Risiko brauchen die Betreiber ja nicht zu zahlen. Ein Schweizer AKW muss gerade mal für Schäden in der Höhe von 1,8 Milliarden Franken versichert sein. Nach einer Studie des deutschen Wirtschaftsministeriums würde ein grosser Unfall aber bis zu 5500 Milliarden Euro kosten. Müsste man AKWs wie Autos mit einer Haftpflichtversicherung ausstatten, dann würde eine Kilowattstunde Atomstrom weit über zwei Franken kosten und wäre völlig unrentabel.

Da ist es also wieder, das unheilvoll starke Duo von Geld und Politik, das manchmal aber überwunden werden kann, wenn Menschen sich dagegen in Bewegung setzen. Politik ist Geschichte in Aktion – am Sonntag gibt es Gelegenheit, zu agieren. Für alle.