Durch den Monat mit Christine Goll (Teil 1): Soll die SP der jüngeren Generation Platz machen?
Die SP-Nationalrätin erklärt, warum sie nicht mehr Nationalrätin sein will und warum sie findet, im Kanton Zürich müsse die gesamte SP-Leitung den Hut nehmen.
WOZ: Frau Goll, Sie sind gestern aus den Ferien zurückgekommen. Wo waren Sie?
Christine Goll: Mit meiner Kletterfrauengruppe im Tessin, es war wunderschön. Wir gehen jeden Frühling klettern, meistens genau die Woche vor Beginn der Sommersession. Das ist stets die strengste Session: Da läuft immer sehr viel, deshalb ist es toll, wenn ich zuvor eine Woche klettern kann, denn das ist für mich der geeignetste Sport, um abzuschalten.
Was das Politisieren im Bundeshaus betrifft, werden Sie demnächst komplett abschalten: Anfang Jahr haben Sie Ihren Rücktritt als
Nationalrätin bekannt gegeben. Weshalb?
Ich kandidiere nach fast einem Vierteljahrhundert im Dienst des Volkes nicht mehr, verabschiede mich jedoch nicht aus der Politik. Ich möchte in erster Linie beruflich nochmals durchstarten. Meinen Ausstieg habe ich von langer Hand geplant: zuerst der Rücktritt aus gewerkschaftlichen Positionen, als Präsidentin des VPOD, Ende 2009. Nun der Rückzug aus der politischen Funktion. Ich habe bereits zu viele Kolleginnen und Kollegen erlebt, die über ihren Ausstieg nicht selbst entschieden hatten – das halte ich für ungut.
Ihre Ankündigung kam just nach der Aufforderung der Juso, die älteren SP-Nationalräte und -Nationalrätinnen, unter anderem auch Sie, sollten der jüngeren Generation Platz machen. Das lässt vermuten, dass Ihr Timing nicht blosser Zufall war …
Dass dies meine letzte Legislatur ist, weiss ich schon seit den letzten Nationalratswahlen. Aber das sagt man natürlich nicht bereits am Anfang der Legislaturperiode. Weil das dann nicht das Thema sein kann. Das Thema ist, seine «Büez» gut zu machen, und das werde ich bis Ende November, also dem Ende der Legislatur, auch noch tun.
Weshalb dann die späte Bekanntgabe?
Ich wollte zuerst meine Sektion informieren, die SP Kreis 6, die mich jeweils als Nationalratskandidatin nominiert und unterstützt hat. An der Generalversammlung der SP 6 Anfang Jahr habe ich das dann auch getan.
Ist die Forderung der Juso nicht berechtigt?
Nun, meines Erachtens handelt es sich um einen Mythos: Das mit dem «Platzmachen» halte ich für eine inszenierte Geschichte, bei der mir auch nicht ganz klar ist, ob es den Jusos wirklich so ernst war mit dem Nachrücken. Wäre das so, dann hätten sie mehr tun müssen, um auf die Liste zu kommen: Auf der Nationalratsliste der SP steht nun genau ein Vertreter der Juso auf den vorderen, also aussichtsreichsten Plätzen, wie übrigens vor vier Jahren bereits. Es ist folglich nicht so, dass die Jungen subito dastehen und sagen: «Wir wollen kandidieren und haben ein Programm.»
Vielleicht fehlt es auch an internem Support?
Genau, leider hat es die Parteileitung verpasst, junge, politisch aktive und motivierte Menschen aufzubauen.
Sie halten die aktuelle Diskussion also für ein Medienspektakel?
Ja – vor allem eine Bashing-Geschichte des «Tages-Anzeigers».
Warum hat die SP nie dagegen argumentiert?
Genau das kritisiere ich: Ich finde, die Leitung der Zürcher Kantonalpartei hat kläglich versagt. Durch ihr Schweigen haben sie das Bashing gefördert. Sie hielten es nicht für nötig, hervorzuheben, was die attackierten Leute, in erster Linie Anita Thanei und Andreas Gross, der Partei politisch bringen. Man kann ja inhaltlich argumentieren und sagen: «Der bringt es nicht mehr», oder: «Die ist politisch auf dem falschen Dampfer.» Die Parteileitung hätte sich um eine offene Diskussion bemühen müssen. Stattdessen wurde geschwiegen. Mit der unwürdigen Nichtnomination von Anita Thanei verliert die SP nun an politischem Gewicht und Glaubwürdigkeit: Als Präsidentin des MieterInnenverbands vertritt Thanei eine der grössten sozialpolitischen Organisationen der Schweiz.
Sie werfen der Zürcher Parteileitung also Fehleinschätzung und Feigheit vor?
Ja. Und nicht nur in dieser Geschichte. Bereits nach den letzten Nationalratswahlen, im Herbst 2007, hatte sie ihre eigenen Leute im Regen stehen lassen: Die SP hatte damals einen gewaltigen Einbruch erlitten; drei ihrer Nationalrätinnen wurden abgewählt. Dann hiess es in den Medien, die drei Frauen hätten die Stimmenverluste der SP zu verantworten. Und die Parteileitung hatte es nie für nötig befunden, klärend Stellung zu beziehen. Ich weiss aus meiner eigenen Erfahrung als Vizepräsidentin der SP Schweiz, dass man auf solche Medienberichterstattung Einfluss nehmen kann. Doch unternahm die kantonale Parteispitze nichts. Und wie jetzt mit Anita Thanei umgegangen wurde, halte ich schlicht für inakzeptabel.
Also was tun?
Ich bin der Meinung, dass der jetzige Parteipräsident, der Generalsekretär und die Geschäftsleitung der SP Kanton Zürich zurücktreten müssten. Weil es nicht geht, einfach zu jammern und zu meinen, «wir waren ja auch gegen diese neue Regel» – aber an der Delegiertenversammlung nicht aufzustehen, um zu sagen, weshalb es richtig wäre, Andi Gross und Anita Thanei noch einmal zu nominieren, warum es richtig wäre, eine offene und keine geheime Wahl abzuhalten und eine offene Diskussion zu fördern. Die Parteileitung hat damit auch der SP und unseren politischen Zielen geschadet.