Stephan Pörtner: «Ich wollte einen Helden, der an die Langstrasse passt»
Dem Zürcher Autor Stephan Pörtner ist mit seinem fünften «Köbi»-Krimi «Stirb, schöner Engel» ein spannendes Werk zwischen Kriminalroman und Sozialstudie gelungen. Ein Treffen mit dem Autor in Bern.
Köbi kennt Zürich. Dort ist er zu Hause, dort hat er fast sein ganzes Leben verbracht, viele Jahre davon im Kreis 4 an der Langstrasse. Doch vor ein paar Jahren hat er das Quartier, das sich in den letzten Jahren stark verändert hat, verlassen:
«Am 1. Mai konnte man die Entwicklung studieren: Frisch vom Land liefen sie [die Hipster] erst mal beim schwarzen Block mit, machten Krawall und gaben sich politisch. Ein paar Jahre später kickten sie beim Fussballturnier auf der Josefwiese und hatten künstlerische Projekte oder Untergrundpartys am Laufen. Noch ein paar Jahre später schoben sie den Kinderwagen übers offizielle Festgelände und waren weggezogen, weil die Multikultischulen für den eigenen Nachwuchs nicht gut genug waren. Ich vermisste die Langstrasse wirklich nicht.»
Wie sein Held, der Ermittler Jakob «Köbi» Robert, kennt auch der Krimiautor Stephan Pörtner die Langstrasse gut. Er hat 22 Jahre dort gewohnt und hat das Quartier, kurz nachdem Köbi weggezogen war, verlassen. «Der Köbi ist vor mir weggezogen, von daher schreibe ich nicht, was ich lebe, sondern ich lebe, was ich schreibe», sagt der grosse, schlanke Zürcher. Er sitzt im Café Kairo in Bern und trinkt ein Bier. Sein Hut, den er fast immer trägt, liegt vor ihm auf dem Tisch. Soeben hat er gegessen, später wird er im Kulturkeller des Restaurants auftreten.
Das Essen sei sehr fein und leicht gewesen, sagt Pörtner. «Meine erste Lesung hatte ich in der ‹Silberkugel› in Zürich. Da ass ich vorher fettige Calamares, die mir dann die ganze Zeit über schrecklich auflagen.»
Unabhängigkeit statt Karriere
Das war 1998, als «Köbi der Held» erschienen war, Pörtners erster «Köbi»-Krimi. Begonnen habe er mit dem Buch, weil er über die Langstrasse schreiben wollte. «Die war damals noch exotisch, ein Biotop, und ich fand es ein gutes Umfeld, um dort eine Geschichte spielen zu lassen. Ich wollte einen Helden, der dorthin passt.» So erfand er Jakob «Köbi» Robert, der mehr als nur den Wohnort mit dem Autor gemein hat: Beide sind in den achtziger Jahren in der Zürcher Jugendbewegung aktiv gewesen, sie haben keine klassische Biografie. Karriere ist für beide kein Thema, weil sie ihre Unabhängigkeit über alles stellen und dieses Privileg auch geniessen – selbst wenn sie zwischendurch damit hadern. Ausserdem sind beide kritische und scharfe Beobachter ihres Umfelds und dessen soziokulturellen Veränderungen.
«Die Partymeile an der Langstrasse hat nichts mehr mit dem zu tun, was wir in den achtziger Jahren forderten», sagt Pörtner. «Wir wollten Autonomie, Mitbestimmung und Freiräume. Wir suchten nach alternativen Lebensformen. Alles, was wir damals toll fanden, gibt es eigentlich nicht mehr. Heute geht es immer mehr um die Kommerzialisierung und Industrialisierung der Kultur.»
So geht es Pörtner – und Köbi
Pörtner spielt mit der Bierflasche, sein Blick ist auf seine Hände gerichtet. Er spricht schnell und denkt scharf. In seinen Sätzen klingt keine Verbitterung und auch keine Frustration mit, er stellt einfach fest, was er beobachtet: «Die Jungen heute haben eine völlig andere Ausgangslage als wir damals. Wir konnten aufs Temporärbüro gehen, und am nächsten Tag hatten wir einen Job.» Die Jugendlichen heute seien damit beschäftigt, überhaupt irgendeinen Job zu finden, da sei es klar, dass sie nicht noch über alternative Arbeitsformen nachdenken würden. Trotzdem: «Zwischendurch muss man immer mal wieder sagen, dass man trotz allem nicht einverstanden ist mit der Entwicklung.»
So geht es Pörtner, und so geht es auch Köbi, der sich in «Stirb, schöner Engel» (vgl. unten «Ermittlung wider Willen») immer wieder über gewisse Entwicklungen wundert und auch mal dagegen wettert. Etwa gegen die Coffee-Bars und Macchiato-Lounges, in denen man nicht «nahe beieinander an einem runden Tischchen sitzt, sie auf der Bank, er gegenüber, sondern sich in ausladende Quadratsessel oder Sofas fläzen muss, während man das Kaffeegetränk auf ein kniehohes Tischchen stellt, sodass man die Wahl hat, sich unbequem zusammengefaltet näher zu kommen oder unerreichbar zurückzulehnen und das Gegenüber nicht zu verstehen, weil die Musik zu laut ist.»
Genau solch präzise Beschreibungen und der spannende Plot machen «Stirb, schöner Engel» zu einer grossartigen Lektüre.
Krimiautor statt Musiker
Ursprünglich hatte Stephan Pörtner Musiker werden wollen, mit sechzehn Jahren war er Schlagzeuger bei der Zürcher Punkband Hilflos. Die Band hatte sogar eine Platte aufgenommen. Doch Pörtner musste sich eingestehen, dass er ein katastrophaler Schlagzeuger war: «Ich bin so etwas wie Rhythmus-taub». Deswegen gab er seinen Traum vom Leben als Profimusiker auf. Mit dem Schreiben hat er allerdings erst weitere sechzehn Jahre später begonnen, da war er 32 Jahre alt, hatte den Getränkehandel Intercomestibles gegründet und die Dolmetscherschule absolviert. Und da entstand Köbi. Es sei für ihn klar gewesen, dass er einen Krimi schreibe, denn: «Das Genre fand ich schon immer lässig. Ausserdem habe ich es gerne, wenn eine Geschichte ein klares Gerüst hat. In dieses Gerüst kann man dann extrem viel verpacken.»
Stephan Pörtner schaut auf seine Armbanduhr, steht auf und setzt sich den Hut auf. Den wird er auch während der Lesung nicht abnehmen.
Stephan Pörtner: Stirb, schöner Engel. Bilgerverlag, Zürich 2011. 398 Seiten, 36 Franken
«Stirb, schöner Engel» : Ermittlung wider Willen
Ein Schweizer Nobelkurort Mitte der siebziger Jahre: Eine junge Frau wird ermordet aufgefunden. Gion Kundert, «frischgebackener Polizeigefreiter und knapp vierundzwanzig Jahre alt» wird aufgeboten, bei der Ermittlung zu helfen, da er aus dem Ort stammt, wo der Mord geschah. Kundert kannte die Ermordete und schwört, ihren Mörder zu finden – was er ziemlich schnell schafft. Doch Kundert hat keine Chance, den Täter zu verhaften, da dieser aus bestem Zürcher Haus kommt und von allen Seiten geschützt und gedeckt wird.
36 Jahre später, im Jahr 2009, trifft Jakob «Köbi» Robert in Zürich auf eine alte Freundin. Mia und er verlieben sich ineinander, und Köbi hat das Gefühl, endlich angekommen zu sein und ein ruhiges Leben führen zu können. Doch dann wird jemand umgebracht, und Mia möchte, dass Köbi dem Mord nachgeht. Sie ist überzeugt, dass ihr Exfreund der Mörder ist. Dieser war 1990 schon in einen Mordfall verwickelt, ohne dass es zu einer Anklage gekommen wäre. Wider Willen nimmt Köbi die Spur auf und hat es schon bald mit einem brandgefährlichen Menschen zu tun.
Der Zürcher Krimiautor Stephan Pörtner (45), der für das Strassenmagazin «Surprise» schreibt und für die Onlineausgabe der WOZ wöchentlich eine 100-Wörter-Geschichte verfasst, verknüpft in «Stirb, schöner Engel» gekonnt drei Geschichten, die auf drei verschiedenen Zeitebenen spielen. In seinem fünften, grossartigen «Köbi»-Krimi geht es um die Macht des Geldes und um den Filz der Zürichberg-Bonzen. Und natürlich um den sympathischen, verlebten und dilettantischen Ermittler Köbi.