Sanft wie Wellen am Ostseestrand

Nr. 34 –


Es ist ein leises, präzises Buch, das nachhallt, dieser zweite Band mit Erzählungen von Gregor Sander. Der Autor formuliert genau und schlicht, und er teilt uns sein Wissen über seine Figuren geschickt und nur stückchenweise mit. Etwa im Text «Weisse Nächte». Er handelt von einem Segeltörn auf der Ostsee, den zwei alte Freunde zum 40. Geburtstag geschenkt erhalten – obwohl dem einen die Enge auf dem Schiff zutiefst zuwider ist. Er ist Arzt, sein Freund ein Künstler, dessen Ruhm geschwunden ist. Die Erzählung beginnt unbeschwert, wird rissig, kippt unversehens: Der Künstler ist Alkoholiker. Am Schluss wird klar: der Ich-Erzähler auch.

Gregor Sander psychologisiert nicht, er erzählt. Am besten, am dringlichsten ist er, wenn er die Verwerfungen erkundet, die trotz der deutschen Wiedervereinigung in den Köpfen und Seelen der Deutschen noch immer vorhanden sind. Hier schöpft Sander, 1968 in Schwerin zur Welt gekommen, sicher aus dem eigenen Leben, aber er abstrahiert und pflanzt seine Beobachtungen in fiktive Personen ein.

Mit der Geschichte «Jenseits» endet das Buch: Ein junges Paar – er aus dem Ruhrgebiet, sie aus Schwerin – besucht den Ostseeort Rerik, berühmt aus Alfred Anderschs «Sansibar oder der letzte Grund» aus dem Jahr 1957. Sie lernen einen älteren Herrn kennen, den ein eingezäunter, abgesperrter Ort am Meer umtreibt. Ein Truppenübungsplatz erst der Wehrmacht, dann der Sowjets.

Der ältere Herr und der Urlauber klettern über den Zaun, schleichen sich durch den Wald in den verwunschenen, zerfallenden Ort. Der Alte wünscht sich, der Urlauber solle für ihn schwimmen gehen, weil er hier noch nie jemanden habe schwimmen sehen. Er selbst habe das nie gelernt. Der Urlauber tuts. 

Eine Pointe? Gibt es nicht. Der Urlauber weiss, dass er seinem noch ungeborenen Kind diese Geschichte erzählen wird. Sanft wie die Wellen am Ostseestrand läuft dieses Buch aus – ein sehr poetischer Moment, nicht der einzige in diesen neun Erzählungen.

Gregor Sander: Winterfisch. Erzählungen. Wallstein-Verlag. Göttingen 2011. 192 Seiten. Fr. 25.90