Lernen im Park: Jede Woche wird ein anderes alltägliches Thema behandelt
Die Luft ist herbstlich kühl, der Himmel blau. Kinderstimmen erklingen, zwischendurch heult der Motor eines Autos auf – ansonsten ist es still im Claramattenpark. Basel scheint an diesem Dienstagmorgen Ende August noch zu schlafen.
Eine Gruppe Frauen versammelt sich um zwei Tische. Sie breiten farbige Tischtücher aus, setzen sich auf die Bänke und packen Stifte, Hefte und kleine gelbe Langenscheidt-Wörterbücher aus. Die Frauen sind nicht zum Vergnügen im Park: Sie lernen hier Deutsch. Die Kirchenglocke läutet laut und lange. Marlene Frühauf, die Deutschlehrerin, fragt: «Was hören wir?» – «Glocken», antwortet eine Frau. «Wie viel Uhr ist es?», fragt Frühauf. «Halb zehn» und «neun Uhr dreissig», antworten zwei Frauen. Zeit, mit der Arbeit zu beginnen. Frühauf verteilt Namensschilder. Unter den Namen steht jeweils das Heimatland der Frauen: Japan, Kosovo, Indien, Äthiopien, Türkei und Thailand. Nachdem die Frauen im Kreis sich gegenseitig begrüsst haben, beginnt Frühauf mit dem heutigen Thema: dem Körper. Die Frauen stehen im Kreis, die Lehrerin fasst sich an den jeweiligen Körperteil und benennt ihn, neun Frauen wiederholen: «Kopf» – «Kopf», «Haare» – «Haare», «Auge» – «Auge». Eineinhalb Stunden dauert der Unterricht im Park. Jede Woche wird ein anderes alltägliches Thema behandelt.
Über gemeinsame Probleme reden
Das Bildungsprojekt «Lernen im Park» wurde 1998 in Basel ins Leben gerufen, seit 2005 sind die Kurse dem Basler Kurszentrum für Menschen aus fünf Kontinenten (K5) angegliedert. Der Unterricht findet an vier Tagen in drei unterschiedlichen Parks statt. Das Besondere an dem Deutschkurs ist, dass keine Anmeldung erforderlich ist, dass er sehr günstig ist – früher war er gratis, heute bezahlen die Frauen drei Franken pro Unterrichtseinheit –, dass die Kinder der Frauen vor Ort professionell betreut werden und dass der Unterricht draussen stattfindet. «Unser Angebot richtet sich an schulisch ungeübte und eher bildungsferne Frauen», sagt Erika Jäggi, Abteilungsleiterin der Integrationskurse im K5. «Für viele dieser Frauen ist schon das Ausfüllen eines Anmeldeformulars eine Hemmschwelle, die sie daran hindert, einen Deutschkurs zu besuchen.» Auch der Schritt in ein Schulzimmer brauche häufig viel Überwindung – deswegen wurde der Unterricht dorthin verlegt, wo sich die jungen Mütter gerne aufhalten: in den Park.
Hier im Park herrsche eine unkomplizierte, lockere und entspannte Stimmung, sagt Emine Kocamanoglu. Sie ist aus der Türkei und lebt seit einem halben Jahr in der Schweiz. «Ich fühle mich sehr wohl hier im Park, und das ist gut, um Deutsch zu lernen.» Auch die anderen Frauen betonen den entspannten Rahmen und den Vorteil, keine Männer im Kurs zu haben: «Wir Frauen haben dieselben Themen und Probleme, über die können wir hier reden», sagt Akiko Miyake aus Japan. Sie sei hier in den Park gekommen, um Freundinnen zu finden und weil während des Unterrichts die Kinder betreut würden. Fast alle neun Frauen haben Kinder und sind nicht erwerbstätig – alle sind sie wegen der Arbeit ihrer Männer in die Schweiz gekommen.
Das Deutschniveau ist extrem unterschiedlich. Während ein paar Frauen sich fast fliessend auf Hochdeutsch austauschen, können andere kaum einen Satz sprechen – eine Herausforderung für Marlene Frühauf, die auch mal ein paar Worte ins Englische übersetzt. Die meisten Frauen besuchen den Kurs regelmässig, immer wieder stossen neue Frauen hinzu, die häufig von einer Freundin mitgenommen werden.
Die Mundpropaganda sei sehr wichtig, sagt Erika Jäggi, denn: «Das Schwierigste für uns ist, die Frauen überhaupt zu erreichen und über unser Angebot zu informieren. In Basel gibt es noch immer eine grosse Gruppe schwer erreichbarer Ausländerinnen, für die unsere Kurse eigentlich gedacht sind.» Gemeint sind Frauen mit schwachem Bildungshintergrund, die sich hauptsächlich in ihrer eigenen kulturellen Gruppe bewegen. Da sie vor allem Hausfrauen und Mütter sind, kommen sie kaum mit SchweizerInnen in Kontakt. Und da sie kaum Deutsch können, sind sie im Alltag teilweise sehr von ihren Männern abhängig. Um sie zu erreichen, hat das K5 im Frühling mit interkulturellen Vermittlerinnen zusammengearbeitet, professionell ausgebildeten Frauen aus den jeweiligen Kulturkreisen – mit mässigem Erfolg.
Als neue Zielgruppe bieten sich für Jäggi ältere Migrantinnen an: «Es gibt in Basel viele Frauen, die schon seit dreissig Jahren in der Schweiz sind und stets dachten, sie würden wieder zurück in ihre Heimat gehen – das werden sie aber nicht mehr tun. Diese Frauen sprechen häufig schlecht oder gar kein Deutsch, da sie meist an ihrer Arbeitsstelle mit Landsleuten arbeiten und auch im Privaten nur mit Leuten verkehren, die aus dem gleichen Kulturkreis stammen.»
Schwierige Grammatik
Inzwischen ist eine neue Frau zur Gruppe gestossen. Sie ist eine Freundin von Akiko Miyake und spricht kein Wort Deutsch. Ihr Kind hat sie bereits zum Spielplatz gebracht. Sie lächelt scheu in die Runde, Marlene Frühauf platziert sie neben Miyake. Das Schwierigste am Deutsch seien die Aussprache und die Grammatik, sind sich die Frauen einig. Und das grösste Problem: dass sie hier im Deutschkurs Hochdeutsch lernen, die Leute in der Stadt aber Schweizerdeutsch sprechen würden. Das sei ein ziemlicher Frust, denn das seien zwei völlig unterschiedliche Sprachen. Doch trotz dieser Schwierigkeiten lassen sie sich nicht vom Lernen abbringen. Denn, davon sind sie alle überzeugt, für sie öffnen sich dank ihrer Deutschkenntnisse neue Türen.