Eine WOZ-Leserin der ersten Stunde: Vom Bösen gern mehr
Susie Ilg hat die WOZ seit der ersten Ausgabe abonniert. Sie arbeitete selbst als Journalistin, engagierte sich in der Politik und liebt das Absurde.
«Endlich, endlich eine linke Zeitung!», dachten wir damals alle. Es gibt einen Taxichauffeur in Schaffhausen, kein Intellektueller, er sagt, er komme aus einer Arbeiterfamilie, der ist begeisterter WOZ-Abonnent. «Haben Sie das gelesen?», oder: «Ist das nicht schön formuliert?», fragt er, wenn ich bei ihm einsteige. Saugut. Die Zeitung wird mit Lust gemacht, das merkt man. Eine solche Begeisterung, das habe ich bei der Agenturarbeit immer vermisst. Ja nie etwas von der eigenen Einstellung verraten. Aber ich habe doch eine Meinung!
In den Journalismus eingestiegen bin ich mit Buchbesprechungen für die Frauenzeitschrift der SP «Frau in Leben und Arbeit». Grässlicher Titel. Später arbeitete ich für die Schaffhauser «az», den «Tages-Anzeiger», das DRS-«Regionaljournal» und zuletzt für die Schweizerische Depeschenagentur (SDA). Ich habe alles in meinem Leben exakt 25 Jahre gemacht. Journalismus, Familie, Politik. Und zeitweise alles zusammen.
Ich war immer Einzelkämpferin, hatte das Büro immer zu Hause. Immer Freie, immer lausig bezahlt, ausser vom «Tagi», der zahlte damals gut. Absurdes liebte ich am meisten. Einmal schrieb ich die Meldung: «Friedhof zu verkaufen». Der Chefredaktor vom «Bülacher Tagblatt» rief meinen Chef an und beklagte sich, dass diese Meldung doch absolut pietätlos sei. Aber alle Zeitungen haben sie gedruckt. Die Gemeinde Maienfeld machte daraufhin ein Kaufangebot, um auf dem Grundstück Reben anzupflanzen. Es stellten sich viele Fragen. Reben wurzeln tief. Müsste man die Gebeine dann erst ausgraben?
Schwelgen in der Sprache
Diese ironisierenden Glossen, die sind sackgut und so sackböse geschrieben, von denen dürfte es für meinen Geschmack in der WOZ ruhig noch mehr haben. Und ich liebe die Buchbesprechungen. Mit Büchern, die bei euch besprochen wurden, bin ich noch nie schlecht gefahren. Das Reisen vertrag ich nicht mehr, man wird klapprig, doch Bücher entführen einen in andere Welten. Ein Drittel meines Sprachschatzes ist schon weg, drum schwelge ich in der Sprache von anderen. Wer einmal geschrieben hat, kann nicht mehr anders. Ich schreibe gegen den Sprachverlust an. Ich habe ein Manuskript zu Hause liegen. Ein Palaver mit meiner Katze. Da habe ich mir für einmal das erlaubt, was ich als Journalistin nie durfte. Tatsachen zurechtbiegen, bis sie auf meine These passen, nämlich: Johann Wolfgang von Goethe, dieses Ekel, war in Wirklichkeit eine Johanne. Die bösesten Aussagen habe ich meiner Katze in den Mund gelegt.
Schmierestehen im Bundeshaus
Eine Autobiografie, das geht gar nicht. Man neigt dazu, zu beschönigen und zu unterschlagen. Aber ich sammle Splitter. Zum Beispiel den: Als die Frauenbewegung an Gewicht gewann, durfte der Vorstand der Schweizer SP-Frauen seine Sitzungen im Bundeshaus abhalten. Als dann endlich das Frauenstimmrecht eingeführt wurde, war das auch deshalb eine Erleichterung, weil wir nicht mehr immer zu zweit aufs Klo mussten, damit eine Schmiere stehen und aufpassen konnte, dass kein Mann reinkommt.
Ich war die erste Frau, die im Bundeshaus eine Motion begründen durfte, bei einer Veranstaltung des Jugendparlaments. Damals waren die Jugendparlamente noch gut, man hat richtig Parlament gespielt, nicht wie heute, wo sie einfach irgendeinen Forderungskatalog aufstellen. In Neuhausen war ich die erste weibliche Vertreterin im Einwohnerrat. Es gab einen Gast, der jede Sitzung mitverfolgte, und bei meiner Verabschiedung gestand er, er sei nur meinetwegen gekommen. Wegen meiner flammenden Reden? – Denkste. Ich hätte so herzige Öhrli meinte er bloss. Mir wurde fast schlecht. Noch lange nach meinem Rücktritt nannten sie mich die rote Susie. Im grossen Rat war ich sogar der eigenen Fraktion zu rot. In anderen Parteien ist man Mitglied, mit der SP ist man verheiratet. Nach 41 Jahren hat es mir gereicht. Immer vorne der Vorstand an den Sitzungen, immer dieselben 1.-Mai-Redner, «freut mich ausserordentlich, Genossen», mit Wohlstandsbauch, die brav und exakt den Parteiwaschzettel herunterbeten.
Im Moment habe ich an der WOZ nichts auszusetzen. An einer Ausgabe lese ich so genussvoll wie an mindestens zwei bis drei Wochen «Schaffhauser Nachrichten». Eine Weile lang war die WOZ eine ziemliche Bleiwüste, jetzt hat es wieder mehr Luft drin. Sogar den Sport lese ich in letzter Zeit. Dabei habe ich mit Sport nun wirklich gar nichts am Hut. Welche Tore zählt man beim Fussball schon wieder? Die, die man schiesst, oder die, die man bekommt?