US-Wahlen: Occupy Obama!

Nr. 45 –

Für US-Präsident Barack Obama hätte die Mobilisierung im Rahmen der Occupy-Bewegung zu keinem günstigeren Zeitpunkt kommen können. Doch er scheut den Kontakt – und wird um eine Konfrontation nicht herumkommen.

Am 3. Januar beginnt im kleinen US-Bundesstaat Iowa die Präsidentschaftswahl 2012. Es ist ein symbolisch gewichtiger Auftakt zum Wahlfinale am 6. November. Die DemokratInnen Iowas schlagen wie erwartet Barack Obama für eine zweite Amtszeit vor. Aufseiten der RepublikanerInnen steht ein wahres Gruselkabinett von BewerberInnen zur Auswahl. Politik wie gehabt, könnte man meinen.

Wäre da nicht «Occupy Iowa». Der lokale Spross der neuen sozialen Bewegung hat nämlich beschlossen, das Politritual gehörig aufzumischen. Ab dem 27. Dezember wollen die AktivistInnen aus dem Mittleren Westen die Wahlbüros der PräsidentschaftskandidatInnen besetzen – auch das Hauptquartier von Barack Obama. Es wird das erste Mal sein, dass seine Kampagne so direkt mit der Opposition von links unten konfrontiert wird.

Bisher reagierte das demokratische Lager eher lau auf die Occupy-Bewegung: Er habe davon schon gehört und verstehe ja den Ärger, sagte Obama an einer Pressekonferenz im Weissen Haus. Wohlwollende Herablassung reicht der Bewegung der 99 Prozent aber nicht. Iowa-Aktivist Ed Fallon, ehemals selbst demokratischer Parlamentarier, beklagte sich gegenüber dem Onlinemagazin «salon.com»: «Obama bietet uns Empathie an. Aber er nimmt unsere Anliegen nicht ernst. Wieso feuert er nicht einfach Leute wie Geithner?»

Die Antwort liegt auf der Hand: Weil Leute wie der amtierende US-Finanzminister Timothy Geithner die Symbiose von demokratischer US-Regierung und Hochfinanz personifizieren. Und weil sich dieses kuschelige Verhältnis nicht so schnell ändern wird. Trotz einiger harscher Worte gegen die «fat cats», die Fettsäcke von der Wall Street, hat Obama nämlich für seine Wiederwahlkampagne mehr Gelder aus dem Finanzsektor auftreiben können als seine – zugegebenermassen etwas kleinkalibrigen – republikanischen GegnerInnen zusammengenommen.

Gewandeltes Verhältnis

Obamas Flirt mit dem Grosskapital ist ein wichtiger Grund für die spannungsgeladene Distanz zwischen der Occupy-Bewegung und der Demokratischen Partei – die doch Bündnispartnerinnen im festgefahrenen Zweiparteiensystem der USA sein könnten.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch warf die linkere der beiden grossen US-Parteien den entstehenden Kartellen vor, sie würden das Wirtschaftsleben ersticken und die Demokratie vergiften. Der damalige demokratische Präsidentschaftskandidat Woodrow Wilson wetterte vor genau hundert Jahren gegen die mächtige Wirtschaft, «die uns in eine Zwangsjacke gesteckt hat, um selber ungehindert schalten und walten zu können». Und er verlieh seinen feurigen Worten mit einem griffigen Kartellrecht Nachdruck. In den dreissiger Jahren dann setzte Präsident Franklin Roosevelt Verbesserungen des Arbeitsrechts, eine stärkere Besteuerung der Reichen und eine anständige Sozialversicherung durch. Roosevelt nannte die Grosskapitalisten «ökonomische Monarchisten» und sprach von einer «Wirtschaftsdiktatur». Die Wall Street hasste den Urheber des New Deal von ganzem Herzen – und dem kam die scharfe Auseinandersetzung für seinen Wahlkampf ganz gelegen.

Bald danach aber verschwanden die geldgierigen Kapitalisten und die skrupellosen Banker auf Nimmerwiedersehen aus den Präsidentschaftskampagnen der USA. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war von Wirtschaftswachstum und dem Keynesianismus geprägt. Und als sich die sozialen Gegensätze in den siebziger Jahren wieder zuspitzten, war die Verbindung von demokratischer Partei und linksoppositioneller Basis brüchig geworden. Denn nach den bewegten sechziger Jahren und insbesondere nach dem Vietnamkrieg misstraute die neue Linke dem politischen Establishment jeglicher Couleur ebenso wie den wirtschaftlichen Akteuren. Auf der andern Seite glaubte der US-amerikanische Staat, ob unter republikanischer oder demokratischer Führung, die Bevölkerung immer stärker überwachen zu müssen.

Trotz Bill Clintons kurzlebiger Popularität und trotz Barack Obamas messianischem Wahlkampf vor vier Jahren hat sich an diesem Vertrauensdefizit bis heute nichts Grundlegendes geändert. Im Gegenteil, das Misstrauen der meisten US-AmerikanerInnen ist in der Wirtschaftskrise noch grösser geworden. Angesichts der Wirtschaftspolitik von Präsident Obama fiel es dem politischen Gegner nicht allzu schwer, die Frustrationen der Bevölkerung von der Wirtschaft auf die Politik umzulenken. Die Rechte wusste jedenfalls den wachsenden Antietatismus bestens zu nutzen. Republikanische Milliardäre finanzierten flugs einen rechtspopulistischen Flügel der Partei, die Tea Party. Und republikanische Denkfabriken päppelten die neugeborene «Graswurzelbewegung» ideologisch auf. Der Rechtsrutsch war perfekt.

Wahlstrategien gestört

So wird es auf der andern Seite nicht laufen. Erstens ist die Occupy-Bewegung keine linke Tea Party, sondern von unten her gewachsen. Zweitens hat die Demokratische Partei ihren klassenkämpferischen Schwung längst verloren. Die «chaotischen 99 Prozent» stören bloss ihre ausgeklügelten Wahlstrategien. ParteifunktionärInnen jammern, der Strassenprotest gefährde die Wiederwahl von Obama. Wäre es nicht gescheiter, über das Potenzial des Protests von links unten nachzudenken?

Eigentlich müsste Kandidat Obama sich bereits jetzt bei «Occupy Iowa» bedanken. Nicht nur belebt diese Gruppe seinen Wahlkampf in Iowa. Auf nationaler Ebene hat es die Occupy-Bewegung innert kurzer Zeit geschafft, die öffentliche Debatte weg vom Budgetdefizit und hin zur sozialen Frage zu verschieben. «Das erste Mal seit mehr als einem halben Jahrhundert spricht die breite amerikanische Bevölkerung öffentlich über die Konzentration von Einkommen, Vermögen und politischer Macht an der Spitze», schreibt Robert Reich, linker Ökonom und Arbeitsminister unter Bill Clinton, in seinem Blog. Noch bemerkenswerter ist der Umschwung der öffentlichen Meinung in den USA. Gemäss Umfragen der «New York Times» und des Fernsehsenders CBS News wollen heute zwei Drittel aller US-AmerikanerInnen, dass der gesellschaftliche Reichtum gerechter verteilt wird. So linksorientiert war die öffentliche Meinung letztmals während der dreissiger Jahre – unter dem äusserst populären und erfolgreichen Präsidenten Franklin Roosevelt. Worauf wartet Barack Obama eigentlich noch?

Occupy USA: Eine wachsende Liste von Besetzungen

Rund 700 kleinere und grössere Gemeinden der USA hat die Occupy-Bewegung seit dem 17. September besetzt. Letzte Woche etwa:

  • Occupy Oakland, 2. 11. Einige Tausend AktivistInnen schliessen den Port of Oakland, den fünftgrössten Hafen der USA.
  • Occupy Seattle, 3. 11. Die Grossbank JP Morgan Chase wird über eine Stunde lang besetzt, als CEO Jamie Dimon die Filiale besucht.
  • Occupy Los Angeles, 4. 11. In L. A. sollen BankkundInnen an einem «Bank Transfer Day» ihre Ersparnisse aus den Grossbanken abziehen und zu Genossenschaftsbanken verschieben. Das liegt im Trend: Seit September haben 650 000 Personen (mit 5,4 Milliarden Dollar) in den USA zu selbstverwalteten Sparvereinen, den Credit Unions, gewechselt.
  • Occupy Harlem, 5. 11. AktivistInnen besetzen ein vom Besitzer vernachlässigtes Haus, worauf die MieterInnen wieder an Strom und heisses Wasser angeschlossen werden.
  • Occupy Washington D. C., 6. 11. 12 000 Menschen umringen das Weisse Haus, um gegen die geplante Keystone-XL-Pipeline zu protestieren, die Öl aus dem umweltzerstörenden Teersandabbau in der kanadischen Provinz Alberta an die Golfküste von Texas leiten soll.
  • Occupy Honolulu, 7. 11. Die lokale Occupy-Vollversammlung protestiert gegen den Apec-Gipfel, der vom 7. bis 11. November im US-Bundesstaat Hawaii abgehalten wird.
  • Occupy Ohio, 8. 11. In Ohio können 1,3 Millionen BürgerInnen über die Wiederherstellung von Arbeitsrechten abstimmen. AktivistInnen rufen dazu auf, die Urnen per Stimmabgabe zu «besetzen». Mit Erfolg.
  • Occupy Kalifornien, 9. 11. Die gewerkschaftlich-studentische Gruppe «Refund California» organisiert einen wochenlangen Protest an über einem Dutzend lokaler Hochschulen.