Demokratische Opposition in den USA: Realpolitik reicht der Basis nicht mehr

Nr. 40 –

In der Auseinandersetzung mit Trumps unberechenbarer Rechtsregierung streiten die DemokratInnen darüber, wofür sie eigentlich kämpfen wollen – und wie.

Knapp ein Jahr nach ihrer überraschenden Wahlniederlage gegen Donald Trump ist die linkere der beiden grossen US-Parteien, die unzertrennlich wie Kastor und Pollux das hiesige Politsystem dominieren, immer noch auf der Suche nach einer glaubwürdigen Zukunft. DemokratInnen und zugewandte Linke diskutieren: Wie zentristisch oder links soll die Demokratische Partei von morgen sein? Wie neoliberal oder sozialistisch? Wie militant antirassistisch? Wie entschieden gegen Gewalt und endlosen Krieg? Die bündigste Antwort auf all diese Fragen heisst: Die Basis will alles, und zwar subito! Die ParteifunktionärInnen dagegen wollen vor allem Wahlen gewinnen.

Doch die gängige Gegenüberstellung von «weltfremden IdealistInnen» und «pragmatischen RealpolitikerInnen» greift hier zu kurz. Denn die vernünftige Realpolitik hat in diesem Fall bekanntlich nicht gewonnen. Die nüchterne demokratische Präsidentschaftskandidatin verlor 2016, wenn auch knapp und durch das indirekte US-Wahlsystem bedingt, gegen einen Gegner, den man ohne weiteres als exzentrischen Fantasten bezeichnen kann.

Mehr vom Gleichen

Was ist passiert? Hillary Clinton selbst überführt in ihren kürzlich erschienenen Wahlmemoiren «What Happened» (auf Deutsch etwa: Was wirklich geschah) die altbekannten Widrigkeiten und Widersacher: FBI und E-Mail-Server, Bernie Sanders’ Kritik von links und ihre eigenen Wall-Street-Auftritte, tief sitzenden Sexismus und eine Medienwelt, die lieber Skandale als Sachfragen publiziert. Clinton rechnet ab mit einer Vergangenheit, von der sie selber und ein Teil des demokratischen Parteiestablishments einfach nicht loskommen. Ihr Erfolgsrezept für die Zukunft heisst deshalb: Mehr vom Gleichen, bloss besser aufbereitet. Das heisst konkret aussagekräftigere Umfragen, ausgeklügeltere WählerInnenstatistik, verfeinerte Parteislogans et cetera. Die politischen Inhalte sollen jedoch weiterhin von oben nach unten festgelegt werden – nach Vorbild des Trickle-down-Effekts, wie er in der neoliberalen Wirtschaftslehre propagiert wird.

Weitermachen wie bisher kann die Demokratische Partei der USA allerdings bloss dann, wenn sie den Wahlsieg von Donald Trump als einmaligen Unfall wertet, als freakige Anomalie. Doch der Einzug des egomanen Milliardärs ins Weisse Haus ist nicht die Ursache für den Zusammenbruch des neoliberalen Konsenses in den USA, sondern eine Folge davon. Das lange Zeit scheinbar unverwüstliche Zweiparteiensystem der USA weist im 21. Jahrhundert Risse und Bruchstellen auf und wird von links wie rechts infrage gestellt.

Übermacht der RepublikanerInnen

Die DemokratInnen haben von linken Bewegungen wie Occupy, den Antiglobalisierungsprotesten, dem Widerstand gegen die Pipeline Keystone XL oder Black Lives Matter bisher politisch nicht direkt profitieren können. Die fortschrittlichere der beiden Grossparteien hat in den letzten acht Jahren die Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus des US-Kongresses in Washington eingebüsst. Überdies wechselten in der Regierungszeit von Barack Obama im ganzen Land rund tausend demokratische Parlamentssitze zu den RepublikanerInnen, die nun in mehr als der Hälfte der Bundesstaaten die Legislative und die Exekutive kontrollieren.

Die Demokratische Partei überwiegt lediglich in sechs der fünfzig Gliedstaaten. Die Rechte stellt auch 34 der 50 GouverneurInnen. Das ist eine in den Vereinigten Staaten rekordverdächtige Übermacht, mit der die Rechte nicht nur die gegenwärtige Politik steuert, sondern mittels parteiischer Festlegung der Wahlbezirke durch republikanische Lokalbehörden auch die künftigen Gewinnchancen ihres politischen Gegners massgeblich zu beeinflussen und zu verringern vermag.

Der Republikanischen Partei hingegen bescherte die rechtsradikale Tea Party, eine von Grosskapitalisten finanzierte «Graswurzelbewegung», zunächst einen Wahlsieg nach dem andern und zu guter Letzt sogar einen Wutbürger als Präsidenten. Doch die republikanische Parteiführung – und sogar Donald Trump selber – verlieren zunehmend die Kontrolle darüber, was mit dem Ärger und den Ressentiments geschehen soll, die sie selber in der Bevölkerung nach Kräften geschürt haben. Die Rechtspartei ist zerstritten und kaum mehr handlungsfähig, wie ihre parlamentarische Niederlage in der Gesundheitspolitik zeigt.

So radikal wie Waschmittelwerbung

Trotz der Schwäche des politischen Gegners und trotz zahlreicher lokaler Wahlsiege seit Amtsantritt von Donald Trump reagiert die Demokratische Partei auf die Offensive von rechts verhalten. Sie formuliert zum Beispiel Stellungnahmen gegen Rassismus äusserst moderat, um ja keinen der seit der Trump-Wahl geradezu mythisch überhöhten «weissen Arbeiter» zu vergällen. Und sie zögert, Wahlgelder in einen «chancenlosen» Bundesstaat wie Alabama zu stecken, obwohl es dort einen engagierten demokratischen Kandidaten gibt, der beweisen will, dass der Süden der USA nicht gleichzusetzen ist mit Rassismus und Fundamentalismus.

Die demokratische Parlamentsführung ist überdies einen migrationspolitischen Deal mit Trump eingegangen, um das DACA-Programm (Deferred Action for Childhood Arrivals) zu retten, eine Sonderregelung für 800 000 Sans-Papiers, die als Kinder von ihren Eltern in die USA gebracht wurden. In diesem Fall wehrten sich die Betroffenen persönlich gegen den faulen Kompromiss, der ihre eigene Sicherheit auf Kosten anderer MigrantInnen erkaufen würde. Die Parteileitung DNC (Democratic National Committee) entwarf mit «A Better Deal» (ein besseres Angebot) mittlerweile einen neuen Parteislogan, der so radikal klingt wie Waschmittelwerbung. Und schliesslich drohen die ParteistrategInnen oft und gerne mit den anstehenden Wahlgängen, um Grundsatzdebatten in den eigenen Reihen zu unterdrücken und damit den Widerspruch in der eigenen Organisation klein zu halten.

Die Gefahr dieses mutlosen Vorgehens ist, dass die Zahl der demokratischen WählerInnen noch weiter schrumpft. Zurzeit fragt sich selbst die verlässlichste und aktivste demokratische Basis, die Afroamerikanerinnen, ob die Partei ihre Interessen noch entschieden und klar genug vertritt. Schwarze Frauen haben zwar im Herbst zu 94 Prozent für Hillary Clinton gestimmt (zur Erinnerung: 52 Prozent der weissen Frauen wählten den Macho Trump). Doch insgesamt sind bei der letzten Wahl weit weniger Afroamerikanerinnen und Latinos zur Urne gegangen als 2008 oder 2012. Die ethnischen Minderheiten sind es leid, dass die Demokratische Partei ihre Stimme als gegeben hinnimmt. Sie wollen, dass ihre Hauptanliegen – Gesundheitsvorsorge, Justizreform, Bildung, existenzsichernde Löhne – auch wirklich gehört und ernst genommen werden.

Die jungen WählerInnen werden ebenfalls nicht automatisch für die DemokratInnen stimmen. Zwar ist die sogenannte Generation Y etwas linker als der Durchschnitt der US-Bevölkerung, doch sie identifiziert sich weder mit dem republikanischen noch mit dem demokratischen Politikestablishment. Die weisse Jugend ist besonders skeptisch gegenüber einem System, das von ihnen, die weder im Beruf noch im Privatleben mit lebenslangen Beziehungen rechnen, ausgerechnet in der Politik eine treue, ja blinde Gefolgschaft zur starren Institution Partei erwartet.

Ein Stück Basisdemokratie

Andererseits sind jüngere Menschen durchaus politisch begeisterungsfähig, wie der Überraschungserfolg des bereits 76-jährigen und dennoch jugendfrischen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders bei den Vorwahlen bewiesen hat. In seinem Buch «Our Revolution» (Unsere Revolution) schreibt Sanders, sein Optimismus für die Zukunft der USA sei während seiner Wahlkampftour noch gewachsen, und zwar weil er das Engagement und die Entschlossenheit von Millionen von Menschen, eine andere, bessere Welt zu schaffen, mit eigenen Augen gesehen habe.
Und nein, dieser direkte Bezug zu den BürgerInnen ist nicht mit dem Rechtspopulismus von Donald Trump vergleichbar, sondern ein Stück gelebte Basisdemokratie. Denn der langjährige Berufspolitiker Bernie Sanders sieht und schätzt im Gegensatz zu vielen seiner KollegInnen im amerikanischen Kongress die Energie und die Kraft, die von sozialen Bewegungen ausgehen. «Wahltage kommen und gehen», sagt er lakonisch, «doch der Kampf für ökonomische, soziale und ökologische Gerechtigkeit und gegen Rassismus hört nie auf.»