Kommentar von Jens Renner: Italiens Politik ändert ihren Stil, nicht den Inhalt

Nr. 46 –

Die neue italienische Regierung unter Leitung des Wirtschaftsexperten Mario Monti wird keine sozialverträglichere Politik machen. Für die Lohnabhängigen könnte es in Zukunft sogar noch schwieriger werden.

Der Jubel über Silvio Berlusconis Rücktritt fiel verhalten aus. Das hat vor allem zwei Gründe: Zum einen war es nicht «das Volk», das den Potentaten stürzte, sondern eine – derzeit – offensichtlich höhere Macht, bestehend aus den Finanzmärkten, der Europäischen Zentralbank (EZB) und der informellen EU-Doppelspitze in Gestalt der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Dem konnte auch der nach seiner eigenen Einschätzung «beste italienische Premier der letzten 150 Jahre» zu guter Letzt nichts mehr entgegensetzen. Hatte Berlusconi noch vor kurzem die Krise zuerst ganz geleugnet und dann behauptet, bei ihrer Behebung gebe es keinen Grund zur Eile, verschwand er schliesslich überraschend schnell. Er verabschiedete sich auf die gleiche Weise, wie er vor fast achtzehn Jahren seinen Einstieg in die Politik verkündet hatte: per Videobotschaft.

Der zweite und wahrscheinlich wichtigere Grund für die nur mässige Begeisterung von Berlusconis GegnerInnen liegt in der Ungewissheit, was nach ihm kommt. Fast zwei Jahrzehnte lang war er der Fixpunkt der italienischen Politik gewesen. Man war für oder gegen ihn, ignorieren konnte man ihn nicht – und die Mitte-links-Parteien hatten selten mehr gemeinsam als die Ablehnung Berlusconis. Sein Nachfolger Mario Monti wird nun aller Voraussicht nach jene Politik machen, für deren Durchsetzung Berlusconi und sein immer weiter auseinanderdriftender Rechtsblock zu schwach waren.

Der neue Mann soll es also richten. Den Spitznamen «Super-Mario» erhielt Monti schon vor längerem, als er von 1995 bis 2004 Italiens Interessen in der EU vertrat, zuerst als Binnenmarkt-, dann als Wettbewerbskommissar. Als überzeugter Wirtschaftsliberaler legte er sich auch mit den Mächtigen an. So wird ihm in Kommentaren immer wieder «Mut und Klugheit» bescheinigt, sicher nicht zu Unrecht.

Die Frage ist allerdings, wofür er diese Tugenden einsetzt. Bei seinen ersten öffentlichen Auftritten nach Berlusconis Rücktritt gab er sich moderat: Er habe nie von «Blut und Tränen» gesprochen, wohl aber von gemeinsamen Opfern. Das Sparprogramm zur Reduzierung der Staatsschulden müsse eine «starke soziale Komponente» enthalten. Die Förderung von Frauen und der Jungen sei ihm ein besonderes Anliegen. Immerhin einen Bestandteil von Berlusconis «Wachstumsprogramm» will er zunächst auf Eis legen: die Einschränkung des Kündigungsschutzes. Dieser gilt aber ohnehin nur noch für den immer weiter schrumpfenden Anteil unbefristet Beschäftigter und zählt damit zu den «Privilegien», die auch Monti mittelfristig abschaffen will.

Der Rest seines Programms ist allerdings identisch mit dem, was EU und EZB seit langem von Italien fordern und was Berlusconi schliesslich zugestehen musste: Einstellungs- und Lohnstopp im öffentlichen Dienst, Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre (Männer) oder 65 Jahre (Frauen) sowie weitere Privatisierungen staatlicher Unternehmen. Die «soziale Komponente» sucht man ebenso vergebens wie die immer wieder versprochene Steuergerechtigkeit.

Gleichwohl haben, abgesehen von der Lega Nord, alle Parlamentsfraktionen die Unterstützung der neuen überparteilichen Regierung der «TechnokratInnen» zugesagt. Diese soll nach Montis Plan bis zum Ende der Legislatur im Frühjahr 2013 amtieren und weitere Sparprogramme durchsetzen. Ob es dazu kommt, ist offen: Nicht nur die Lega, auch grosse Teile von Berlusconis Partei Volk der Freiheit (PdL) setzen weiter auf vorgezogene Neuwahlen. Die Prognosen, ob schon 2012 oder erst 2013 gewählt wird, sind äusserst schwierig. Zwar liegt die bisher oppositionelle Demokratische Partei (PD) derzeit in der WählerInnengunst klar vorn. Dass sie sich als Erste und am entschiedensten hinter Monti gestellt hat, könnte sich aber noch als Bumerang erweisen – wenn die Auswirkungen seiner Politik erst einmal spürbar werden. Denn seine Regierung ist eine «Regierung der EZB und der Märkte», wie die linke Tageszeitung «Il Manifesto» kritisch anmerkte. Zu einem ähnlichen Schluss, wenngleich mit anderer Bewertung, kam auch die liberale «La Repubblica», die sich darüber freute, dass Montis Regierung «das Vertrauen der Märkte, von Europa und der Bürger» geniesse – man beachte die Reihenfolge.

Wirkliche Opposition gegen Montis Programm findet derzeit nur ausserhalb des Parlaments statt, und auch das nur verhalten. Die organisierte Linke spielt dabei kaum eine Rolle, während die Gewerkschaften noch eine klare Linie suchen. Hatte der linke Gewerkschaftsbund CGIL zunächst Neuwahlen favorisiert, fordert er jetzt den Dialog mit der Regierung über Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Dazu ist Monti gern bereit, im Unterschied zu seinem Vorgänger, der darin nur Zeitverschwendung sah. So ändert sich denn der Stil der Politik, nicht aber ihr Inhalt. Für viele Lohnabhängige könnte es in Zukunft sogar schlimmer kommen als unter Berlusconi. Denn der war über Jahre so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass er keine Energie fand für das, was die europäischen PartnerInnen «notwendige Strukturreformen» nennen.