Porträt : Eine Speerwerferin für die Grundrechte

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Wird sie die neue grüne Parteipräsidentin? Aline Trede (28) hätte Lust. Die Berner Stadtparlamentarierin geht einen ungewohnten Weg: Die Arbeit im Rat hat sie radikaler gemacht.

«Ich sage sicher nicht im Voraus Nein.» Aline Trede ist im Rennen. Wenn Ueli Leuenberger, der Präsident der Grünen, im Frühling zurücktritt, ist nach grüner Tradition eine Frau an der Reihe. Zum Beispiel die jetzige Vizepräsidentin Trede, 28-jährig, Umweltnaturwissenschaftlerin, Kampagnenleiterin beim Verkehrsclub (VCS) und Berner Stadtparlamentarierin. Es könnten auch zwei Frauen sein: Die Waadtländer Nationalrätin Adèle Thorens (39) interessiert sich für das Amt, wünscht sich aber ein Ko-Präsidium, weil sie ihren Deutschkenntnissen zu wenig traut. «Mit Adèle könnte ich es mir gut vorstellen», sagt Aline Trede.

Es sei ihr Manko, dass sie selbst nicht im Nationalrat sitze, meint sie zwar. Doch das könnte sich ändern: Im Herbst will die grüne Nationalrätin Regula Rytz ihr Stadtberner Exekutivamt abgeben. Falls an ihrer Stelle entweder Alec von Graffenried oder Franziska Teuscher gewählt wird und dafür aus dem Nationalrat zurücktritt, wird Aline Trede nachrutschen.

Den Berner Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät (SP) würde das womöglich freuen. Dann wäre er die unbequeme Stadtparlamentarierin los, die ihn im Juni zum Rücktritt aufforderte, weil er das Anti-AKW-Camp vor dem Hauptsitz des Stromkonzerns BKW hatte räumen lassen. «So eine Räumung geht in einer rot-grünen Stadt einfach nicht!», sagt Trede. Im Berner Rot-Grün-Mitte-Bündnis, das im Parlament die Mehrheit stellt, kam ihre Attacke nicht nur gut an. Doch sie würde sich ohnehin mehr linke Opposition in der Berner Stadtpolitik wünschen.

Ein Bastien-Girod-Fanklub?

«Wenn die SVP rechts einen Pflock einschlägt, müssen wir links einen einschlagen, damit der Kompromiss irgendwo in der Mitte liegt. Wenn wir ihr schon von Anfang an entgegenkommen, wird der Kompromiss rechts.» Neben Umwelt- und Verkehrsthemen, die ihr von Beginn weg am Herzen lagen, sind ihr die Grundrechte immer wichtiger geworden: «Ich werde immer linker, seit ich im Parlament bin.» Mit Bettelverboten kann sie genauso wenig anfangen wie mit Überwachungskameras oder Wegweisungen: «Gerade vorhin hat die Securitrans einen vertrieben, der mit seinem Bier im Wartsaal sass. Der störte doch niemanden!» Trede ist selbst schon weggewiesen worden, als sie am Strassenkunstfestival Buskers Unterschriften sammelte, und während einer Aktion gegen das AKW Mühleberg im Herbst wurde sie verhaftet. Doch das sei harmlos im Vergleich zu dem, was Gassenleute erlebten.

Während ihres Studiums an der ETH Zürich gründete Trede die Jungen Grünen mit, die 2007 mit einer Nacktaktion und der Lancierung der Offroader-Initiative Schlagzeilen machten – und oft wirkten wie ein Bastien-Girod-Fanklub. «Ja, wir haben Bastien stark unterstützt.» Doch vor allem die Medien seien auf ihn fixiert gewesen: «Sie taten, als hätte er die Offroader-Initiative allein erfunden.»

Auch Aline Trede hat gelernt, die Medien für sich zu nutzen. Einfach war es nicht. «Wenn junge Männer in die Politik einsteigen, tun sie das oft mit der Einstellung: ‹Ich bin der Beste und möchte jeden Tag in der Zeitung kommen.› Das ist vielen Frauen fremd.» Darum habe sie vor den Nationalratswahlen regelrecht trainiert: «Jeden Morgen sagte ich mir: Ich bin gut, ich will gewählt werden. Und ich habe mit den Medien, insbesondere den Gratiszeitungen, guten Kontakt gepflegt – das hat funktioniert.»

Schwangerschaft ist keine Krankheit

Sie sei keine Emanze – so wurde sie in «20 minuten» zitiert. Trede stellt klar: «Die Journalistin hat negative Feministinnenklischees bemüht, und ich habe gesagt, so bin ich nicht.» Doch, sie sei eine Feministin – «und das heisst für mich, genau das zu leben, was ich will». Natürlich habe sich die Situation der Frauen verbessert. «Dafür haben wir heute das Problem, dass viele meinen, es gebe kein Problem mehr.» Dass viele Familien mehr Geld haben, wenn der Mann Vollzeit arbeitet und die Frau zu Hause bleibt, als wenn beide Sechzig-Prozent-Stellen suchen, findet sie skandalös. Wie sie es selbst machen will, weiss sie bereits: Sie wird zwei Tage mit dem Kind zu Hause sein, ihr Freund auch, den fünften Tag übernehmen die Grosseltern – Aline Trede ist im fünften Monat schwanger.

Immer wieder werde sie besorgt gefragt, wie es ihr gehe: «Als wäre Schwangerschaft eine Krankheit!» Die Frage ist offensichtlich überflüssig – die Jungpolitikerin sprüht vor Energie. Neben Arbeit und Politik trainiert sie PrimarschülerInnen in Leichtathletik. «Viele Mädchen sagen zuerst: ‹Das kann ich nicht›, obwohl sie geschickt sind.» Sie hat ihnen daraufhin erzählt, dass sie selbst Speerwerfen trainiert habe – und den Satz «Das kann ich nicht» einfach verboten. Und was sagen sie jetzt? «Nichts. Jetzt machen sie es.»