Fussball und andere Randsportarten: Von Ski- und Schneekanonen

Nr. 2 –

Pedro Lenz über die wichtigsten Persönlichkeiten im Land

Global betrachtet ist der Skirennsport ein Sport für ein paar wenige. Das ist gut für die kleine Eidgenossenschaft, denn nur so kann sie in einer Sportart immer zu den Besten der Welt gehören. Es gibt keine afrikanischen, südamerikanischen, australischen oder asiatischen Weltstars im Skisport. Skistars im engeren Sinn gibt es praktisch nur in Österreich und in der Schweiz. Sportarten wie Bowling, Bogenschiessen oder Billard dürften weltweit deutlich verbreiteter sein als der Skisport.

Doch wenn die «Schweizer Illustrierte» in ihrer Jubiläumsausgabe die hundert wichtigsten Persönlichkeiten der Schweiz mit Foto und Text vorstellt, dann kommen zehn dieser hundert Porträtierten aus dem Skisport. Es gibt also gemäss besagtem Periodikum unter den hundert wichtigsten Persönlichkeiten in diesem Land mehr SkisportlerInnen als PolitikerInnen, mehr SkisportlerInnen als KünstlerInnen, mehr SkisportlerInnen als AutorInnen, mehr SkisportlerInnen als FussballerInnen, mehr SkisportlerInnen als WissenschaftlerInnen, mehr SkisportlerInnen als DenkerInnen und mehr SkisportlerInnen als MusikerInnen. Oder präziser ausgedrückt: Genau ein Zehntel der wichtigsten Persönlichkeiten in diesem Land haben ihre Bedeutung und ihren gesellschaftlichen Rang einem Paar Holz- oder Kunststofflatten zu verdanken. Das dünkt einen, bei allem Respekt für den Schneesport, doch einigermassen bemerkenswert.

«Die Schweizer Illustrierte» sei kein seriöser Massstab zur Beurteilung der Bedeutung von Persönlichkeiten, werden jetzt die kritischen LeserInnen einwenden wollen. Trotzdem ist der Umstand nicht wegzudiskutieren, dass Skistars die beliebtesten Stars im Land sind. Das hat vermutlich seine Logik: Skistars gehören in den Kunstschnee, der Kunstschnee gehört in die Berge, und die Berge symbolisieren den ganzen Schwachsinn, der sich Mythologie und Identitätsstiftung nennt. Ohne Mythologie gäbe es die Schweiz nicht, und deswegen gehören zu den hundert wichtigsten Persönlichkeiten der Schweiz eben zehn Skistars.

Vor vielen Jahren gab es am Schweizer Fernsehen eine beliebte Sendung mit dem pragmatischen Namen «Skigymnastik». Da konnte die Fernsehnation nach visueller Anleitung auf dem Spannteppich rumhüpfen, um sich körperlich auf die Skisaison einzustimmen. Das Wort Schneekanone war zu jener Zeit noch unbekannt. Dafür gab es schon jede Menge Skikanonen, die etwa Lise-Marie Morerod oder Roland Collombin hiessen und an den Wochenenden Ruhm und Ehre für die Heimat erlangten.

Das Schweizer Fernsehen heisst heute auch Idée Suisse, weil es die Idee der Schweiz ausmacht. Und die «Schweizer Illustrierte» ist die Fortsetzung des Fernsehens mit anderen Mitteln. So gesehen, darf es einen nicht mehr wundern, dass ein Zehntel der wichtigsten Persönlichkeiten der Schweiz ausgerechnet diese Randsportart vertritt. Nichts erscheint dem kritischen Betrachterauge sauberer als weisser Schnee in den Bergen. Kein Sportstar dieser Welt dürfte je unschuldiger gewesen sein als unsere Vreni Schneider oder unser Pirmin Zurbriggen. Deshalb wollen wir lieber gar nicht daran denken, was die Schweiz heute wäre ohne all ihre früheren und gegenwärtigen Skistars. Aber selbst wenn wir nicht daran denken wollen, wissen wir es dank der «Schweizer Illustrierten»: Die Schweiz wäre höchstens zu neunzig Prozent sie selbst. Die anderen, die besonderen, die entscheidenden zehn Prozent verdankt dieses Land dem Skisport.

Es bleibt uns im Interesse des Landes also nur zu hoffen, dass unsere Didiers und Laras auch im neuen Jahr immer wieder die Ideallinie erwischen, dass sie möglichst wenig verkanten und dass sie, wie es der unnachahmliche Bernhard Russi jeweils am Fernsehen zu erklären pflegt, «möglichscht viel Schwung ins Gleiterschtück chönd mitnää».

Pedro Lenz (46) ist Schriftsteller und lebt in Olten. Sein skisportlicher Leistungsausweis ist bisher eher bescheiden.