Klima und Skisport: Anschneien gegen die Krise

Nr. 49 –

Jetzt schiessen sie wieder. Im Bündner Skigebiet Parsenn-Gotschna ist das Schicksal einer ganzen Region mit der Produktion von Kunstschnee verknüpft. Auch wenn es keine Klimaerwärmung gäbe: Für heutige Pistenstandards sind Schneekanonen unerlässlich.

Beschneiungsanlage auf dem Weissfluhjoch oberhalb von Davos: Ob das Geschäft läuft? Die unberechenbare Variable bleibt der Schnee, das ­«weisse Gold».

Auf 2700 Meter über Meer reihen sich die Berggipfel fast auf Augenhöhe einer an den andern. Rundherum Felsen und Geröll in allen Grauschattierungen; weit unten im Tal die Flachdächer von Davos. Es ist ein milder Herbsttag Mitte November. Ein November, der hier oben auf dem Weissfluhjoch mitten im Skigebiet Parsenn-Gotschna bisher acht Grad wärmer war als der Durchschnitt der letzten dreissig Jahre.

Und doch schlängelt sich auf der Nordseite der Bergstation eine leuchtend weisse Skipiste durch das steinige Gelände. Seit Ende Oktober vergnügen sich hier neben Wanderern und Bikerinnen besonders fanatische Wintersportfans. «Das waren richtige Lifestylewochenenden», sagt Markus Good zufrieden. Er ist seit zwanzig Jahren Betriebsleiter des Skigebiets.

Schnee per Mausklick

Markus Good und seine MitarbeiterInnen sind es, die in diesen warmen Herbst hinein eine Skipiste gelegt haben. Dafür steht ein enormer Maschinenpark parat, komplett vom Bildschirm aus steuerbar: Insgesamt 180 Schneekanonen und Schneelanzen, verbunden durch kilometerlange Wasserleitungen. Pumpstationen, von Livekameras überwacht, befördern das Wasser aus dem Davosersee tausend Meter hinauf ins Skigebiet. Dadurch erwärmt sich das Wasser, sodass Kühlstationen und eine Belüftung im grossen Speicherbecken oben beim Weissfluhjoch es wieder abkühlen müssen. «Ein modernes Skigebiet könnten Sie von Ihrem Handy aus beschneien!», sagt Good. «Aber natürlich kontrollieren meine Mitarbeiter auch vor Ort alle Kanonen und Lanzen.»

Der Besuch auf dem Weissfluhjoch zeigt eindrücklich, mit welchem Aufwand die grossen Schweizer Skigebiete heute ihren eigenen Winter erschaffen, möglichst unabhängig von den Launen des Wetters. Sobald im Herbst die Temperaturen nachts unter minus zwei Grad fallen, wird hier oben aus den Kanonen geschossen: «Technischer Schnee» wird zu grossen Haufen aufgetürmt und bis kurz vor der ersten anhaltenden Kälteperiode liegen gelassen. Jetzt, kurz vor dem prognostizierten Wintereinbruch, verteilen Pistenfahrzeuge die Kunstschneehaufen zu einer festen Unterlage. Am obersten steilen Hang arbeitet eines der Fahrzeuge an einer Seilwinde. Der Fahrer in der Kabine lenkt es per Joystick, den Blick auf einen kleinen Bildschirm geheftet. Darauf sieht er in unterschiedlichen Farben die Schneehöhe im Gelände. Zentimetergenau verteilt der Fahrer das künstliche Weiss anhand dieser GPS-basierten Karte. Der Naturschnee soll dann vor allem die Landschaft weiss überzuckern; für die Pistenpräparation mit Beschneiungsanlagen muss es nur kalt genug werden.

Doch auch gegen die Abhängigkeit von tiefen Temperaturen investieren die Betreiber der Skigebiete. Im vergangenen Winter wurde der fehlende Schnee für einen Langlaufweltcup oben am Flüelapass hergestellt und per Lastwagen hinunter nach Davos gefahren. Zukünftig soll oben am Pass jeden Winter Schnee für die nächste Saison vorproduziert und unter einer dicken Sägemehlschicht übersommert werden. «Snow Farming» nennt sich das.

Kunstschnee ist dichter als die natürlichen Flocken. Diese Eigenschaft schätzen Good und seine Leute für die Pistenpräparation. «Bei Pisten aus frischem Naturschnee passt den Gästen das Fahren nach wenigen Stunden nicht mehr», sagt Good. «Der ganze Teppich ist dann schon zerfahren.» Eine buckelige Piste passt nicht mehr zum heutigen Fahrstil, mit dem weite, scharf geschnittene Kurven durchs Gelände gezogen werden.

Zufriedene Gäste aber sind seit mittlerweile 150 Jahren das A und O für die Region. Die ersten Gäste kamen, um in der Davoser Höhenluft ihre kranken Lungen zu kurieren. Bis Tuberkulose heilbar wurde, galt Davos als einer der berühmtesten Tuberkulose- und Lungenkurorte Europas. Mit den Gästen kam auch das erste Paar Ski nach Davos. Ein einheimischer Wagner kopierte die Holzlatten, der Schuhmacher Heierling die dazu passenden Schuhe: Davos war mit dem Skisportvirus infiziert. Hier steht der erste Bügelskilift Europas, führt auf jeden befahrbaren Berg eine Bahn hinauf. Heute werden die Wintersportgäste mit modernsten Anlagen statt am Bügel transportiert. Und für die massiven Sicherheitsvorkehrungen anlässlich des Weltwirtschaftsgipfels (Wef) wird die Region ein Wochenende lang quasi blockiert – alles, damit der Ort heute wie damals für den «Fremdenverkehr» attraktiv bleibt.

Kaum Opposition gegen Aufrüstung

Dafür werden vierzig Prozent der Pisten auf Parsenn-Gotschna beschneit und 250 000 Kubikmeter Wasser verbraucht. Das entspricht mehr als einem Fünftel des jährlichen Wasserbedarfs der Gemeinde Davos. Der Stromverbrauch für die Beschneiung betrug vor knapp zehn Jahren bereits 0,6 Prozent des Davoser Energiekonsums. 2007 errechnete das Eidgenössische Schnee- und Lawinenforschungsinstitut, dass der Wintertourismus gut ein Viertel der Davoser Wirtschaft ausmacht. Ohne Kunstschnee würde Davos in schneearmen Wintern bis zu zehn Prozent Einbussen riskieren.

Opposition gegen die winterliche Aufrüstung der Bergbahnen gibt es in Davos kaum. Rolf Marugg, Vorstand der Partei Grünes Graubünden und Landrat in Davos, sagt: «Die Abhängigkeit vom Wintertourismus wird wohl hinterfragt, die grossflächige Beschneiung aber kaum.» Davos investiere in die als «Intensiverholungszonen» ausgeschiedenen Skigebiete, geschützt würde, so heisst es, ja der Rest der Landschaft. Mit Anliegen zum Umwelt- und Landschaftsschutz steht Maruggs Partei in Davos alleine da. Die SP Davos habe bisher nicht über eine Position zur künstlichen Beschneiung diskutiert, sagt Stefan Walser, SP-Vertreter im Kleinen Landrat.

Bis 2050 prognostizieren regionale Klimaszenarien für die Schweiz bis zu zwei Grad wärmere Winter. Das Jahr 2015 könnte einen Vorgeschmack auf diese Zukunft geben: Es wird voraussichtlich als das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen enden mit so wenig Niederschlägen wie kaum zuvor. Noch liegen die Pegelstände von Flüssen und Bächen nicht alarmierend tief. Doch weil im Winter in der Höhe Schnee statt Regen fällt, fallen die Wasserstände bis zu den ersten Tautagen im Februar weiter. Während genau dieser Zeit wird aber auch das Wasser für die Beschneiung entnommen. Im Skigebiet Parsenn-Gotschna betrifft dies unter anderem den Drostobelbach, ein sogenanntes Nichtfischgewässer. Solche dürfen im Winter bis zu einem Drittel des Niedrigwasserstands entleert, also quasi trockengelegt werden.

Einer, der sich mit den Problemen einer wärmeren und trockeneren Zukunft beschäftigen müsste, ist Nuot Lietha, seit drei Jahren Mediensprecher der Tourismusregion Davos–Klosters. Er gibt sich zuversichtlich. «Studiert man einige der aktuellen Klimaszenarien, dann befindet sich Davos in einer komfortableren Lage», sagt Lietha, «weil unsere Skigebiete auf einer Höhe anfangen, wo andere enden.» Nämlich auf rund 1500 Meter über Meer. Also kein Grund zur Sorge? «Ich denke, Davos wird weiterhin schneesicher sein und dem mit technischem Schnee nachhelfen können. Noch.» Trotzdem, Lietha rechnet mit einem «herausfordernden Winter». Durch die Aufhebung des Frankenmindestkurses komme den Schweizer Gästen eine wichtigere Rolle zu denn je.

Weihnachten schlecht – Jahr schlecht

Das bestätigt auch Martin Bryner, ein hagerer Mittvierziger, der im benachbarten Klosters ein kleines Sportgeschäft führt: «Damit unser Geschäft läuft, brauchen wir den Winter nicht bloss hier oben in den Bergen, sondern auch im Unterland.» Bryner und sein Laden stehen für all jene in der Region, die zu spüren bekommen, ob Markus Goods Leute ihre Arbeit machen und ob Nuot Lietha die Werbung dafür gelingt. Doch die entscheidende, unberechenbare Variable bleibt der Schnee, das «weisse Gold». Bryners Geschäft mit Sportartikeln sei «brutal» geworden. Im Extremfall nähmen er und seine vier Angestellten achtzig Prozent des Jahresumsatzes im Winter ein, allein ein Drittel während weniger Tage um den Jahreswechsel. «Ein schlechtes Weihnachts- und Neujahrsgeschäft lässt sich nicht mehr aufholen.» Nach zwei sehr durchzogenen Wintersaisons geht es für Bryners Betrieb nun ums Überleben.

Viele der Männer, die im Winter für die Bergbahnen Parsenn-Gotschna arbeiten, sind Bauern, Zimmermänner oder Dachdecker aus der Region. Sie überbrücken so die Winterpause, wenngleich zu bescheidenen Löhnen. Auch der Sohn einer Bäuerin aus dem Tal, ein junger Zimmermann, arbeitet «oben am Berg». In Winternächten sieht diese von ihrem Hof aus die Scheinwerfer der Pistenfahrzeuge, die bis in den frühen Morgen hinein die Abfahrten für den nächsten Tag präparieren. Die Bündner Bergbahnen traten dem Gesamtarbeitsvertrag des Dachverbands Seilbahnen Schweiz bisher nicht bei. Erst seit vergangenem Winter zahlt Parsenn-Gotschna überhaupt Nachtzuschläge. Seither müssten die Männer in den Pistenfahrzeugen einfach schneller arbeiten, sagt die Bäuerin.

Fragwürdiger Kunstschnee

Im Bündner Skigebiet Parsenn-Gotschna werden mithilfe von 180 Schneelanzen und -kanonen vierzig der gut hundert Pistenkilometer präpariert. Das dafür benötigte Wasser stammt hauptsächlich aus dem Davosersee und wird der Stromproduzentin Repower AG abgekauft. Ein Kubikmeter Kunstschnee kostet zwischen fünf und sieben Franken.

Fragwürdig an der künstlichen Beschneiung sind der hohe Wasser- und Stromverbrauch sowie die massiven Eingriffe in die Landschaft. Zwar können Pisten nicht mehr so einfach planiert werden wie früher, aber das Verlegen der Wasserleitungen und der Ausbau von Speicherbecken hinterlassen deutliche Spuren.