Fussball und andere Randsportarten: Wenn Chapuisat mit Punkern kickt
Pedro Lenz über ein erfreulich ungewöhnliches Strassenfussballturnier
Olten ist eine Eishockeystadt. Während der Eishockey-Club an wichtigen Spieltagen bis zu 6500 Zuschauerinnen und Zuschauer ins neu renovierte Kleinholzstadion lockt, gelingt es dem örtlichen Fussballklub kaum einmal, aus dem langen Schatten der schlittschuhlaufenden Konkurrenz zu treten.
Doch an einem Samstag im Jahr ist alles anders. Dann spielt Fussball in Olten die Hauptrolle. Jeden Frühling findet in der Dreitannenstadt ein bemerkenswertes Fussballturnier statt. Unter dem Patronat des Strassenmagazins «Surprise» rennen Punks, Hobbysportlerinnen, Migranten, Obdachlose, Eishockeyprofis und selbst ehemalige Fussballnationalspieler auf hartem Asphalt dem runden Leder nach. Organisiert wird der beliebte Sportanlass jeweils von der Oltner APA, der «Aktion Platz für alle». Die Seele des Turniers ist Christoph Birrer, ein stadtbekannter Oltner Punk, gelernter Maler und ständiger Begleiter eines verwegen aussehenden, aber völlig ungefährlichen Hundes. Einer seiner wichtigsten Mitarbeiter ist der einstige Fussballgewerkschafter und Nationalspieler Andy Egli. Der langjährige Captain der Schweizer Nationalmannschaft und Teilnehmer der Fussball-WM 1994 bietet für das Streetsoccer-Turnier jeweils seine legendäre Altstarentruppe «Club Suisse 4 Football» auf.
Im Club Suisse 4 Football machen lauter ehemalige Fussballinternationale mit. Jedes Jahr stellt Andy Egli für das Turnier in Olten eine neue Equipe zusammen. In diesem Frühling spielte beispielsweise neben Servette-Legende Didi Andrey, Ex-GC-Stargoalie Stefan Huber und dem einstigen Bundesligalegionär des 1. FC Nürnberg, Mario Cantaluppi, auch Weltstar Stéphane Chapuisat mit. Diesen Grossen dabei zuzusehen, wie sie selbst lange nach Beendigung ihrer Aktivlaufbahn den Ball streicheln, ist immer wieder ein Genuss. Dass manche Veteranen läuferisch nicht mehr auf dem allerhöchsten Niveau sind, versteht sich von selbst. Trotzdem gewannen sie dieses Jahr ihr Spiel gegen die topfitten Elitejunioren des EHC Olten locker. Altersweisheit zählt halt auf den engen und steinharten Spielfeldern meist mehr als jugendlicher Überschwang.
Wesentlich wichtiger als die Ergebnisse ist bei diesem Volksanlass in der Aarestadt freilich die zwischenmenschliche Komponente. Menschen, an denen wir zum Beispiel im Bahnhof meist achtlos vorbeigehen, stehen für einmal im Mittelpunkt des Geschehens. Junge Frauen und Männer, die ansonsten eher wenig mit Sport zu tun haben, jagen für einmal keuchend einem Ball nach. Und Leute, die im Alltag schon froh sein müssen, wenn ihnen ab und zu jemand einen Franken in die Hand drückt, philosophieren mit Chapuisat über Innen- und Aussenristpässe oder den Final der Champions League, den Chappi 1997 mit Borussia Dortmund gegen Juventus Turin gewinnen konnte.
Es mag sein, dass nicht alle SportpuristInnen verstehen, wieso manche Aktive an einem Fussballturnier zwischen ihren Einsätzen lieber eine Dose Bier zur Hand nehmen als ein isotonisches Getränk. Durchaus denkbar ist auch, dass besorgte Eltern ihren Kindern empfehlen wegzuschauen, wenn ausgepowerte Fussballerinnen und Fussballer zwischendurch mal kurz an einem Joint ziehen.
Doch in Zeiten, in denen Sport für viele nur noch den Zweck hat, den menschlichen Körper leistungsfähiger zu machen und die Psyche für die Anforderungen der Arbeitswelt zu stählen, tut es gut zu merken, dass Sport auch einfach mal ein Fest sein kann. Ein Fest, an dem sich nebenbei ein Punk und ein Fussballstar oder eine städtische Polizeidirektorin und eine Arbeitslose auf Augenhöhe begegnen können.
Das «Surprise»-Streetsoccer-Turnier in Olten wird an der sozialen Ungleichheit in unserem Land nicht viel ändern. Immerhin trägt es dazu bei, Leute vom Rand in die Mitte zu holen. Und das ist nicht nichts.
Pedro Lenz ist Schriftsteller und lebt in Olten. Am Strassenfussball gefällt ihm neben Absatztricks und Übersteigern vor allem der zwischenmenschliche Aspekt.