Vinko Globokar: Eine Musik, die nicht in die Konserve passt

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Das Zürcher Ensemble Tzara aus widmet sich dem Slowenen Vinko Globokar, einem der eigenwilligsten Komponisten der Avantgarde. «Par une forêt de symboles» lässt in Globokars Panoptikum blicken.

«Ich glaube nicht an die Idee vom Komponisten, der hinter seinem Tisch sitzt, Tee trinkt und schöne Töne schreibt. Wenn ich ein Werk beginne, versuche ich mir klarzumachen, warum ich es tue», sagte Vinko Globokar einmal im Gespräch. Deshalb stehe fast immer etwas am Anfang einer Komposition, das nichts mit Musik zu tun habe: «Eine politische, soziale, philosophische oder psychologische Idee, etwas, das mich als Mensch bewegt; und von daher entsteht eine Art Geschichte, die ich mit Worten erklären könnte. Diese Geschichte beeinflusst die Auswahl des musikalischen Materials, sie diktiert, was für eine Technik und was für Regeln ich erfinden oder anwenden soll.»

Marschfetzen und Volksmusiken

Globokar, der slowenische Posaunist und Komponist, reagiert also auf seine Zeit. Stark in Erinnerung blieb etwa sein Orchesterstück «Zerfall» aus der Trilogie «Der Engel der Geschichte», das in Donaueschingen uraufgeführt wurde. Auf zwei Podien sassen einander zwei Orchester gegenüber; dazwischen senkte sich in der Mitte des Saals ein Stacheldrahtverhau herab. Das Publikum wusste zuweilen nicht, auf welche Seite es hören sollte. Von beiden Seiten preschten wilde, ungebändigte Klänge heran, Fetzen von Märschen, gellende Pfiffe, Ausbrüche. Dazwischen schoben sich ab Tonband balkanische Volksmusiken, schön fast, aber schliesslich ebenso beunruhigend wie der Rest.

Ein politisches Thema diktierte diese Musik und diese Aufstellung, denn es ging Globokar um die Konflikte, die Jugoslawien während zehn Jahren teilten und verbrannten. «Um die Antagonismen zu zeigen, brauchte ich zwei Entitäten. So einfach ist das. Sonst macht es mir keinen Spass, mit zwei Orchestern zu arbeiten.» Die rein musikalische Idee einer räumlichen Orchesteraufteilung hätte ihm nicht genügt, ihm ging es um Ordnungen, die sich destabilisierten und gleichsam im Totalitarismus enden. Dafür studierte er, wie eine Demokratie und ein Parlament funktionieren.

Das war unmittelbar verständlich, auch für die Donaueschinger ProfihörerInnen. Globokar reagiert auf das Publikum. Um ein Publikum zu schockieren, meinte er, gehe er gern nach Donaueschingen. «Dort hat es keinen Sinn, höflich zu sein.»

Aber Globokar kann auch ganz spielerische Konzepte durchsetzen. In Aix-en-Provence belebte er einmal die Stadt mit einer bunten Aktion mit zahlreichen Amateurmusiken. «Es hat keinen Sinn, mit Amateuren ein Werk zu machen, das einen kritischen Inhalt hätte, und Sie sollten sie auch nicht in Situationen bringen, in denen sie sich schlecht oder peinlich fühlen. Sie sollen Lust auf Musik zu haben.» Zentral war für Vinko Globokar auch hier die soziale Idee des gemeinsamen Musizierens.

Das führte ihn früh schon zur Improvisation. 1934 als Sohn slowenischer EinwanderInnen im lothringischen Anderny geboren, kehrte er als Dreizehnjähriger mit seinen Eltern nach Jugoslawien zurück. In Ljubljana lernte er Posaune. 1955 ging er nach Paris, um am Conservatoire weiterzustudieren. Er spielte Jazz und improvisierte, erst 1960 begann er, bei René Leibowitz und Luciano Berio Komposition zu studieren. Sein erstes Werk schrieb er mit dreissig. Die Improvisation blieb daneben aber fast gleich wichtig.

Während der Gründerjahre der freien Improvisation gehörte Globokar wohl zu den radikalsten VertreterInnen. Häufig wird noch heute sein Satz zitiert, der einzig adäquate Umgang mit einer Aufnahme improvisierter Musik sei es, sie nach einmaligem Abhören zu zerstören. Mittlerweile gibt es doch einige Platten mit Globokar-Stücken, aber auch an den Kompositionen zeigt sich, wie unpassend Konserven für seine Musik sind. Sie lebt aus dem Moment, aus der körperlichen Präsenz der Aufführung.

Frei kombinierte Partiturseiten

Das ist es auch, was das Zürcher Ensemble Tzara interessierte, als es sein Globokar-Projekt «Par une forêt de symboles» anging. Den jungen MusikerInnen, die mit ihrem Namen an den Dada-Gründer Tristan Tzara erinnern, entdeckten bei Globokar ebenfalls dadaistische Qualitäten.

Der Cellist Moritz Müllenbach betont den zuweilen bissigen, zuweilen absurden Humor Globokars. Mit ihrem Programm wollen sie ein globokarsches Panoptikum zeigen: von den ausnotierten Stücken über jene mit hohem improvisatorischem Anteil (wie den «Correspondances» von 1969) bis hin zum Gestischen und Musiktheatralischen.

«Par une forêt de symboles» von 1986 für sechs MusikerInnen ad libitum besteht aus 56 losen Partiturseiten, die frei kombiniert werden können. Mit der Regisseurin Sandra Knecht stellt das Ensemble Tzara daraus eine Reihe von Minimelodramen zusammen, in denen sich absurde Situationen ergeben. Eine Wasserschüssel etwa, in die zuvor ein Gong eingetaucht wurde, dient der Pianistin zur Gesichtswäsche. Auch da zeigt sich: Es geht Globokar nicht um die hohe Kunst im Elfenbeinturm, sondern um ein unverkrampftes Spiel mit ungewöhnlichen Elementen, die im Bereich Neuer Musik verstörend wirken können. Eine Reflexion kann so einsetzen, Widersprüche tauchen auf. Das gefällt ihm. «Ich glaube, ein russischer Dissident sagte einmal: Wissenschaft und Kunst können nicht existieren, ohne paradoxe Ideen zu benutzen. Kunst ist ans Paradox gebunden. Wenn Sie ein Werk machen, das total logisch ist, ist es unnütz.»

Das Ensemble Tzara spielt «Par une forêt de symboles» in Basel in der Imprimerie am Freitag, 10. Februar, um 20 Uhr, in Zürich im Kunstraum Walcheturm am Samstag, 11. Februar, um 20.30 Uhr, in der Postremise Chur am Samstag, 10. März, um 20 Uhr. www.ensembletzara.ch