Film: Geschichten des Widerstands

Nr. 6 –

«Jede Misshandlung, die du erlebt hast, bleibt für immer in deinem Körper», sagt Ali Bicer gegen Ende des Dokumentarfilms «Weiterleben» von Hans Haldimann. «Doch wenn du es schaffst weiterzuleben, hat die Folter verloren, nicht du.» Bicer ist einer der vier ProtagonistInnen des Films. Sie waren alle in ihrer Heimat politisch aktiv, wurden gefoltert und leben heute in der Schweiz.

Ali Bicer ist ein Kurde aus der Türkei, mit 21 Jahren wurde er verhaftet. Danach blieb er für fünfzehn Jahre im Gefängnis. Der Chilene Jorge Molina war Anfang der siebziger Jahre Mitglied der sozialistischen Partei von Salvador Allende. Nach dem Putsch von Augusto Pinochet im Jahr 1973 wurde er während insgesamt neun Jahren wiederholt verhaftet und gefoltert. Phuntsog Nyidron ist eine tibetische Nonne und kam ins Gefängnis, weil sie mit fünf anderen Nonnen mit lauten Parolen den Dalai Lama hochleben liess. Sie verbrachte fünfzehn Jahre im Gefängnis, wo sie stark misshandelt wurde. Und Rose Catherine Karrer-Nzayamo aus der Demokratischen Republik Kongo wurde verhaftet und misshandelt, weil ihr damaliger Ehemann ein politischer Gegner des Autokraten Mobutu Sese Seko war.

«Weiterleben» hätte ein wichtiger und starker Film werden können, doch leider vergibt Haldimann diese Chance. Zwar wühlen die Geschichten der ProtagonistInnen auf, und es ist wichtig, dass diese an die Öffentlichkeit gelangen. Doch der Film wirkt teilweise völlig beliebig montiert: Warum folgt auf die erschütternde Erzählung von Karrer-Nzayamo, wie sie von den Schergen Mobutus bis zur Bewusstlosigkeit verprügelt worden ist, ein Schnitt auf ein Schiff mit Schweizer Fahne, das langsam über einen Schweizer See fährt?

Gerne auch hätte man mehr über die vier Menschen erfahren: Woher nahmen sie den Mut, sich zu wehren, in Regimes, wo jeder Widerstand tödlich sein kann? Und wie können sie nach solch schrecklichen Erlebnissen wieder einen normalen Alltag führen? Wie schaffen sie es, dieses «Weiterleben»?

Silvia Süess


Ab 9. Februar in Deutschschweizer Kinos.

Weiterleben. Regie: Hans Haldimann. Schweiz 2011