Medientagebuch: Man hört die Kugeln …
Alfred Hackensberger über einen speziellen Kurs für JournalistInnen
Ein Auto liegt abseits der Strasse umgekippt auf der Beifahrerseite. Rauch steigt auf. Ein schreiender Mann im Gras. Sein Bein ist unterhalb des Knies abgeschnitten. Aus der Arterie spritzt Blut im Pulsrhythmus. Hinter dem Wagen liegt ein zweiter Insasse röchelnd auf dem Rücken. Er hat eine offene Fraktur am linken Unterschenkel, aus dem Bauch hängen die Gedärme.
Was so schlimm aussieht, ist kein echter Notfall, nur ein möglichst realistisches Szenario im Rahmen eines Sicherheitstrainings für JournalistInnen, die auf einen Einsatz in Gefahrengebieten vorbereitet werden. Sie sollen das im Kurs gelernte medizinische ABC in einer Stresssituation anwenden. Nach dem Erste-Hilfe-Test folgt das Kidnapping: mit vorgehaltener Waffe aus dem Auto gezerrt, Kapuze über dem Kopf, im Laufschritt in einen Wald gebracht, mehrfach auf den Boden geschmissen und ein scharfes Verhör. Dazu wird fleissig in die Luft geballert. Unangenehme Situation, selbst nur als Rollenspiel. Ansonsten lernt man noch, Waffentypen zu unterscheiden oder für seine Sicherheit im Hotel und unterwegs zu sorgen.
Klingt nicht schlecht, aber wie nützlich ist das im Ernstfall? Wer in Konfliktzonen arbeitet, dokumentiert das Verhalten Krieg führender Parteien, seien es Staaten, Gangs oder Milizen. Blut, Verletzte und Tote gehören zum Alltag. Aber es ist nicht nur das Unglück der anderen, das man als Aussenstehender beobachtet. Jederzeit kann es einen selbst erwischen. Egal, wie vorsichtig man sein mag. An Checkpoints, an denen geschossen wird, bei Freudenfeuern oder wenn mit Waffen gespielt wird. Es muss nicht immer eine Kampfsituation sein, bei der wild geballert wird. Man hört die Kugeln, jemandem hat es ein Loch in die Schulter gerissen, jemand blieb völlig unversehrt. Mit oder ohne Sicherheitstraining. Unabhängig davon, auf welcher Seite man steht.
2011 kamen weltweit 66 JournalistInnen bei ihrem Einsatz ums Leben. Seit 1992 waren es insgesamt 897. In diesem Jahr mussten bereits vier Kollegen sterben. In den aktuellen Konfliktregionen von Somalia, Nigeria, Pakistan und Syrien. Ob ihnen ein Sicherheitstraining geholfen hätte, weiss man nicht. Der französische Reporter Gilles Jacquier, der am 11. Januar in Homs getötet wurde, hatte einen solchen Kurs sicherlich gemacht, sonst hätte ihn der französische TV-Sender France 2 schon aus Versicherungsgründen nicht nach Syrien geschickt. Jacquier hatte zudem Kriegserfahrung aus dem ehemaligen Jugoslawien, dem Irak und Afghanistan. Aber es half nichts. Er war einer von insgesamt fünfzehn Journalisten, unterwegs in einem Konvoi in Begleitung von Regierungssoldaten und Polizisten. In einem als sicher geltenden Viertel von Homs. Plötzlich gingen Granaten nieder, und der 43-jährige Franzose, der einen Dokumentarfilm über die Proteste machen wollte, blieb als Einziger der Gruppe tot auf der Strasse liegen. Er hatte keine Zeit, sich in einem Gebäude oder hinter einer Mauer zu verstecken, wie es im Sicherheitstraining gelehrt wird. Auch sich flach auf den Boden zu werfen, weil eine Explosion schrägwinklig nach oben weggeht, hätte nichts geholfen. Der Einschlag erfolgte zu nah.
Berufsrisiko, mag man sagen. Warum ging er nach Homs, in diese Stadt, in der täglich gekämpft wird? Nur, irgendwer muss doch berichten und hinsehen, was passiert. Wie viele Ungerechtigkeiten, wie viele Massaker, Folterungen, Vergewaltigungen würden vertuscht, wenn es nicht JournalistInnen gäbe, die darüber berichten.
Alfred Hackensberger schreibt für die WOZ aus Nordafrika und hat sein Sicherheitstraining im Januar absolviert.