Medientagebuch: Blackout in Mali
Alfred Hackensberger über einen Krieg ohne Medien
Plötzlich hatten die JournalistInnen Glück. Ein Kommando der Islamisten der «Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika» (Mujao) griff Gao an. Stundenlange Feuergefechte mitten in einer Stadt, die die Truppen Frankreichs und Malis vor gut zwei Wochen befreit hatten. Endlich konnte die internationale Presse am Ort eines Geschehens drehen, fotografieren, beobachten und uneingeschränkt von malischer Polizei oder französischer Armee arbeiten. Aber das Glück der JournalistInnen währte nicht lange. Nach dem Ende der Gefechte wurden sie an einen sicheren Ort ausgeflogen, ins mehr als 600 Kilometer entfernte Sévaré.
«Ich habe noch nie so viele frustrierte Journalisten gesehen wie hier in Mali», sagt Corinne Dufka, die Verantwortliche von Human Rights Watch (HRW) für Westafrika. «Sie klagten alle, keinen Zugang zu den Frontlinien zu haben.» Nur einige Reporter, darunter solche von grossen internationalen Nachrichtensendern, sind mit den französischen Truppen «embedded» unterwegs. Sie werden allerdings von den militärischen Operationen ferngehalten und vorwiegend über logistische Aspekte «informiert». Selbst von den Islamisten verlassene Orte bleiben oft mehr als eine Woche Sperrzonen für die Medien.
Eine umfassende Berichterstattung über die Intervention in Mali ist deshalb nicht möglich. Ob es um die Zahl der Toten und Verletzten geht, um Gefangene und ihre Behandlung, das Ausmass der Zerstörung durch die französischen Kampfflugzeuge, die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung – alle Informationen darüber hängen vom französischen Militär ab, das sich nicht in die Karten schauen lassen will.
Der Krieg soll ohne Bilder und Fakten hinter verschlossenen Türen stattfinden. Der Blackout der Medien gibt freie Hand und minimiert das Risiko, dass «unschöne Dinge» an die Öffentlichkeit kommen – wie etwa die Exekutionen von dreizehn vermeintlichen Islamisten, die Human Rights Watch dokumentierte. «Die Journalisten sind sauer? Dann lassen wir sie es auch weiterhin sein», kommentierte Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian im TV-Sender France 2 die Informationspolitik seiner Armee. Er rechtfertigte sie mit «Sicherheitsgründen».
«Die Franzosen entscheiden alles allein, und wir müssen uns daran halten, ob wir es gut oder schlecht finden», sagt ein Offizier im Polizeihauptquartier von Ségou. Es sind in den meisten Fällen malische Soldaten, die an den Checkpoints kopfschüttelnd «Non» zu JournalistInnen sagen und lächelnd ein «Tut mir leid» hinzufügen. Das ist die freundliche Variante. In anderen Fällen sind sie aggressiv und bedrohen die Presseleute. «So etwas habe ich noch nie erlebt. Man kann ihre schlechte Laune nicht einmal mit Bakschisch aus der Welt schaffen», sagt Ibrahim, ein einheimischer Journalist. Er selbst darf zwar passieren, aber die KollegInnen aus dem Ausland dürfen nicht. Der Fahrer am Steuer des Geländewagens weiss einen Ausweg. Der Checkpoint wird kurzerhand mit einem Abstecher in den Busch umfahren.
Trotz solcher Tricks – die Orte, an denen Nachrichten entstehen, bleiben generell versperrt. Man braucht eben Glück, wie bei jenem Überfall der Islamisten in Gao. JournalistInnen sind dann wieder AugenzeugInnen und nicht mehr allein auf Aussagen von Dritten angewiesen, mit denen sie oft nur über Telefon sprechen. Endlich kann die Arbeit getan werden, die im Krieg so wichtig ist: eine unabhängige Berichterstattung, die ihren Blick hinter die geschönten Kulissen der Konfliktparteien richtet.
Alfred Hackensberger schreibt für die WOZ aus Nordafrika.