Medientagebuch: Wie ein Wunder

Nr. 2 –

Journalismus in Syrien

Sie kamen am frühen Abend: acht maskierte Männer, ganz in Schwarz, im Stil der Dschihadisten gekleidet und schwer bewaffnet. Sie schlugen gegen die Tür, entsicherten und luden ihre Kalaschnikows durch. Die beiden Leibwächter des Journalisten hatten keine Chance. Er wurde von den Kämpfern des Islamischen Staats im Irak und in der Levante (Isil) in ein Geheimgefängnis verschleppt. Der spanische Reporter sass dort in einer winzigen Zelle, die Wände mit Blut besudelt. Tag und Nacht musste er die Schmerzensschreie anderer Gefangener anhören, die gefoltert wurden. Dreimal knallten Schüsse, die das Wimmern der Gefolterten beendeten. Man hatte sie exekutiert. «Ich weiss nicht, warum, aber nach acht Tagen wurde ich freigelassen», sagte der 42-jährige Spanier. «Es war wie ein Wunder.»

Andere JournalistInnen aus dem Ausland hatten weniger Glück. Über dreissig gelten im syrischen Bürgerkrieg als vermisst. Auch Dutzende von lokalen syrischen Medienaktivisten, die für Demokratie und Menschenrechte eintraten und die radikalen Islamisten kritisierten, sind verschwunden. In Syrien wurden seit Beginn des Bürgerkriegs insgesamt 63 JournalistInnen getötet. Allein 2013 waren es 29. Syrien ist für die Presse das gefährlichste Land der Welt.

Aber nicht das Kriegsgeschehen war der Grund, warum JournalistInnen letztes Jahr aufgehört haben, aus Syrien zu berichten. Es war die systematische Jagd auf alle Medienleute, die Isil und zum Teil auch Dschabhat al-Nusra – die zweite Al-Kaida-Gruppe – konsequent durchzogen. Diese Gruppen hatten kein Interesse an Lösegeld oder Geiseln für den Austausch inhaftierter Gesinnungsgenossen. Sie wollten einzig und allein einen Medienblackout erreichen, was zum grossen Teil auch gelang: Niemand konnte sich mehr vor Ort ein Bild machen. Aktuelle Informationen wurden ausschliesslich über Telefon oder Skype, Facebook oder Youtube gesammelt und «verifiziert».

Entsprechend dürftig und widersprüchlich fiel oft die Berichterstattung aus den Rebellengebieten aus. Die befragten lokalen Medienaktivisten sind in der Regel keine neutralen Beobachter; und Rebellenkommandeure nehmen die Wahrheit so, wie sie ihnen gerade recht kommt. Vielfach konnte man die Quellen, von denen man diese oder jene Info hatte, nicht mehr benennen. Die Angst ging um. «Wenn Sie meinen Namen veröffentlichen, werden sie mich erschiessen», sagten Informanten in Syrien. «Niemand kann die Extremisten stoppen», konnte man hören. «Sie übernehmen komplett die Macht.»

Nun scheint es aber eine überraschende Wendung zu geben. Man weiss zwar nicht genau, was und wo etwas passiert, aber einige Rebellengruppen kämpfen gemeinsam gegen Isil. Diese ultraradikale Gruppe hatte auch immer wieder rivalisierende Milizen angegriffen, deren Führer getötet und ihre Waffen konfisziert. Nun scheint es mit ihrer Vorherrschaft vorbei zu sein. Völlig überraschend, denn in Medienberichten war sie als sehr mächtig beschrieben worden. Fünfzig Gefangene der Isil wurden schon befreit; einige Hundert warten noch darauf. Darunter viele JournalistInnen, auch Kolleginnen und Freunde aus Frankreich, Spanien und den USA. Man kann nur hoffen, dass alle möglichst bald in Freiheit sind. Wie viele journalistische Möglichkeiten die Niederlage der Isil zurückbringt, ist aber offen. Es gibt noch genug andere islamistische Milizen.

Alfred Hackensberger schreibt regelmässig 
für die WOZ.