Fussball und andere Randsportarten: Die Legende stirbt zuletzt

Nr. 9 –

Etrit Hasler schwärmt von einem fast vergessenen Eishockeyverein

Wenn ein Sportverein ein «Spiel der Legenden» ankündigt – was gerade in Jubiläumsjahren immer wieder vorkommt –, so ist das meistens nur ein Euphemismus für ein paar abgehalfterte Männer, die sich noch ein letztes Mal auf den Platz schleppen, um zehn Minuten lang so zu tun, als wären sie nicht alt geworden, und die die schmerzende Erkenntnis, dass sie es eben doch geworden sind, nach dem Spiel in Cognac ertränken. Wenn allerdings die ehemaligen Spieler des EHC Vorwärts Bruggen zu so einem Spiel einladen, dann mag das Endresultat zwar das gleiche sein, aber wenigstens stimmt der Begriff der Legenden für einmal.

Mag sein, dass Sie noch nie vom EHC Vorwärts Bruggen gehört haben – den VB Piranhas, den Verrückten vom Lerchenfeld. Aber spätnachts in düsteren Kneipen in St. Gallen werden Sie die Legende immer und immer wieder erzählt bekommen (und in Bülach und Scuol ebenfalls, wo Ihnen ein paar Eisveteranen noch stolz ihre Narben zeigen werden): Vorwärts Bruggen wurde 1991 als letztes Hobby einiger alter Profis, insbesondere aus dem Umfeld des SC Herisau, gegründet.

Die Idee der Jungs um Werner «Wänä» Haltiner (ein Mann, der mit achtzehn Jahren, als ihm der Juniorentrainer des FC St. Gallen beschied, er würde es nie zum Profisportler bringen, beschloss, nun Schlittschuhlaufen zu lernen, und es immerhin in die Nati B schaffte) war es gewesen, eine kleine Plauschmannschaft zu gründen, nur eben doch im Meisterschaftsbetrieb, damit wenigstens eine kleine Herausforderung bleibe.

Dass die «Bröggler» in ihren ersten drei Jahren kein einziges Spiel verlieren und direkt von der 4. in die 1. Liga aufsteigen würden (der Legende nach ist dies ein Weltrekord, auch wenn die Guinnessbuch-der-Rekorde-Urkunde bis heute unauffindbar geblieben ist), hätte damals niemand voraussehen können. Auch nicht, dass bei den Aufstiegsspielen in die 1. Liga in ein Stadion, das für knapp 300 ZuschauerInnen gebaut worden war, bis zu 1000 ZuschauerInnen strömen würden – inklusive diverser Guggenmusiken, die für einen solchen Höllenlärm in der Eishalle sorgten, dass es einige Gegenspieler gab, die nach der ersten Drittelspause auf weitere Einsätze verzichteten.

Wer bei den «Brögglern» spielte, war eine Legende: Der bereits erwähnte Wänä Haltiner, dessen Karriere erst endete, als er sich im Alter von vierzig Jahren mit einer Silvesterrakete ein Auge ausschoss. Roger «Kuno» Kuhn, der sein Traineramt niederlegte, indem er mir «When the shit gets tough, the tough gets going» auf mein Notizbuch kritzelte. Nikolai Narishkin, ein ehemaliger sowjetischer Juniorennationalspieler, der während des Tschetschenienkonflikts aus der russischen Armee desertierte und heute das grösste städtische Bad St. Gallens leitet. Milan «Mille» Cechmanek, ein Mann, der damals schon aussah wie vierzig, aber seither eher jünger geworden ist. Unser Torhüter Ronnie «One Eye», der schon nüchtern mehr schielte als Wänä, nachdem er das Glasauge eingesetzt bekam. Ivan Griga, der Mann, dessen Aufgabe beim HC Fribourg Gottéron darin bestanden hatte, jeden umzufahren, der Superstar Slawa Bykow anrührte, und der mir auf der Tribüne androhte, mir den Rücken zu brechen, und zehn Minuten später bei einem Cognac seine Tätowierungen zeigte. Die Liste ist endlos.

Den EHC Vorwärts Bruggen gibt es heute nicht mehr. Er hat nach schwierigen Jahren wieder mit seinem Lokalrivalen EHC St. Gallen fusioniert und ist unter der Führung von Ronald Pedergnana, der auch mit über fünfzig Jahren noch auf dem Eis steht, wieder in der 2. Liga angekommen. Diesen Samstag, den 3. März, um Viertel vor eins lädt dieser EHC St. Gallen zum Spiel der Legenden. In der Eishalle Lerchenfeld. Denn das alte, offene Stadion wurde längst abgerissen. Ich werde trotzdem da sein. Und den Legenden ein letztes Mal «Hopp VB» zurufen. Denn die Legende stirbt erst, wenn sie niemand mehr erzählt.

Etrit Hasler begann seine journalistische Karriere mit siebzehn Jahren als Pressechef des EHC Vorwärts Bruggen – leider erst 1995, als der Verein, ohne ein Spiel zu gewinnen, 
in die 2. Liga abstieg.