Fussball und andere Randsportarten: Lang lebe Babylon
Etrit Hasler reiste mit Rastafaris in die Mehrsprachigkeit.
Verzeihen Sie mir, wenn ich etwas nostalgisch werde – ich bin gerade 35 Jahre alt geworden, da nimmt das Interesse an komplizierten Dingen wie Pensionskassen und Kindern zu, und man schwelgt gern in Erinnerungen. Dazu kommt, dass ich vor kurzem an einer Hip-Hop-Themenparty zum Jahr 1996 abgetanzt habe, und just in jenem Jahr geschah mir eine der lustigsten Geschichten meiner Sportkarriere.
Ich war damals gerade neunzehn geworden und hatte einen Nebenjob angenommen als Pressechef des EHC Vorwärts Bruggen – eines Zweitliga-Eishockeyklubs aus St. Gallen. Ich verbrachte für ein sprichwörtliches Trinkgeld meine Wochenenden damit, meiner Mannschaft quer durch die Schweiz nachzureisen und sie als meist einziger Fan anzufeuern. Ganz besonders laut, wenn sich das Chaos auf dem Feld in einer kleinen, harmlosen Schlägerei entlud. Ein pubertärer Sport für einen pubertären jungen Mann. Ja, es war ein gutes Jahr.
Es war an einem solchen Wochenende, als ich mich auf den Weg nach Scuol-Tarasp machte, eine Fahrt, die damals noch knapp fünf Stunden dauerte. In den Rumpelzügen, die aus der Zivilisation in den störrischen Bergkanton fuhren, in denen die Landjugend lethargisch vor sich hin kiffte, eine echte Tagesreise. Ich kam also schon etwas benebelt und konfus in Scuol an – die Sonne war schon seit Stunden hinter den hoch aufragenden, schneebedeckten Bergkämmen verschwunden, und ich hatte die letzte Stunde meiner Fahrt damit verbracht, mit ein paar Jungrastafaris den Fall Babylons auszudiskutieren.
Ich muss erwähnen, dass ich bis zu diesem Moment die sprachliche Vierfaltigkeit der Schweiz für Propaganda gehalten hatte. Französisch war etwas, das ich als nerviges Schulfach kannte, Italienisch dieses melodische Begleitding, das immer zu den Zeichentrickfilmen bei «Scacciapensieri» im Tessiner Fernsehen lief. Und von einer vierten Sprache hatte ich gehört, war aber felsenfest überzeugt, dass diese nur noch im Nationalpark gesprochen werde.
Ich wurde an jenem Abend schnell eines Besseren belehrt: Denn die harten Berglaute des Rumantsch waren die einzige Sprache, in der Exponenten des SC Scuol-Tarasp kommunizierten. Angefangen beim Pressechef, der sich auf meine Frage nach den Mannschaftsaufstellungen enorm blöd stellte. Weiter beim Stadionspeaker, der sämtliche Durchsagen von Strafminuten über ZuschauerInnenzahlen bis zum Seitenwechsel in dem (nicht nur mir) unverständlichen Idiom von sich gab.
Wohl um damit ein Sinnbild der Mehrsprachigkeit der Schweiz zu schaffen, hatte der Eishockeyverband ein Schiedsrichtertrio nach Scuol geschickt, das aus einem französischsprachigen Chefschiedsrichter sowie je einem deutsch- und einem italienisch sprechenden Assistenten bestand. Eine babylonische Sprachverwirrung sondergleichen. Die noch verwirrender wurde, da es sich beim gegnerischen Trainer um einen Schweiz-Kanadier handelte, der gerne lautstark an der Seitenbande auf Englisch vor sich hin fluchte.
Es kam, wie es kommen musste: Einer dieser wilden Flüche geriet dem frankofonen Schiri in den falschen Hals und veranlasste ihn dazu, den Trainer auf die Tribüne zu schicken. Dieser – des Französischen nicht mächtig – verstand die Anweisung nicht, weswegen er unbeirrt weiter vor sich hin cholerikerte. Dass die beiden Assistenten sich einmischten und in Deutsch und Italienisch sowie diversen Gebärdendialekten auf ihren Chef einredeten, verschlimmerte die Situation so weit, dass dieser entnervt das Spiel abbrach – ein Entscheid, den der Stadionspeaker erst nach etwa fünf Minuten verstanden hatte. Ich hatte mich übrigens schon längst mit einem der wenigen zweisprachigen Zuschauer ins Stadionrestaurant begeben, wo wir bei einem Bier auf die Mehrsprachigkeit der Schweiz anstiessen und über den Fall Babylons philosophierten.
Etrit Hasler kann heute in mindestens acht Sprachen fluchen und ist überzeugt, dass Scuol-Tarasp in Wirklichkeit im Nationalpark liegt. Deswegen ist es dort auch so schön.