Fussball und andere Randsportarten: Alles hat ein Ende …
Etrit Hasler über unendliche Serien, die abbrechen
Wie so oft hielt die Hoffnung bis zuletzt, aber nach einer Viertelstunde Nachspielzeit war es dann eben doch klar: Der Hamburger Sport-Verein steigt ab. Der Dinosaurier der Bundesliga. «Unabsteigbar», wie ihn die eigenen Fans jeweils nannten, wenn sie darauf hinweisen wollten, dass der HSV als einziger Verein seit der Gründung der Bundesliga 1963 niemals in einer anderen Liga gespielt hatte. Kein Wunder, wurden in jener Stadionbar, die nun wohl ihren Namen ändern muss, bittere Tränen vergossen: in der «UnabsteigBar».
Ein mythischer Rekord, den die Hamburger bis dahin gehalten hatten – und wie so üblich, wenn wieder einmal einen jener «Unabsteigbaren» eben doch das unvermeidliche Schicksal ereilt, machten immer kleiner werdende Listen die Runde: Inter Mailand, Barça, Real Madrid, PSV Eindhoven und so weiter. Und wie immer konnte sich in der Schweiz jemand die Bemerkung nicht verkneifen, dass auch der FC Aarau einmal als unabsteigbar gegolten habe. Und: Ja, das ist verdammt lange her.
Als ob es keine besseren Beispiele gäbe. Die Grasshoppers Zürich zum Beispiel mussten erst ein einziges Mal in ihrer Geschichte den Weg in die zweite Liga auf sich nehmen. Das war 1949, ein Jahr nachdem ihr Erfolgstrainer, der Nazisympathisant Karl Rappan, zu Servette Genf gewechselt hatte. Oder ebenjenes Servette, das die etwas zweifelhafte Ehre für sich in Anspruch nehmen kann, dass der Verein noch nie sportlich aus der ersten Liga absteigen musste und stattdessen inzwischen alle paar Jahre seine Bilanz deponiert.
Was alle diese Beispiele natürlich gemeinsam haben: Je länger eine Serie andauert, desto schmerzhafter ist es, wenn sie gebrochen wird. Meine eigene Sportkarriere begann als Pressechef des EHC Vorwärts Bruggen (St. Gallen), der drei Jahre lang keine einzige Partie verloren hatte. Als die Serie endete, brach das dem Verein das Herz. Nicht zuletzt, weil wir damals glaubten, wir hätten einen Weltrekord. Was sich später als Fehlschluss erwies: Der ASEC Mimosas, ein Fussballverein aus Abidjan, bestritt zwischen 1989 und 1994 sagenhafte 108 Partien ohne Niederlage.
Eine der bekanntesten Serien in der Geschichte des Sports endete wirklich tragisch: Der US-Baseballer Lou Gehrig – der in seiner gesamten Karriere nur für einen einzigen Verein, die New York Yankees, unter Vertrag stand – kam zwischen 1925 und 1939 auf insgesamt 2130 Einsätze hintereinander. Die Serie wurde so legendär, dass Gehrig und sein Verein alles daransetzten, diese nicht abbrechen zu lassen: So spielte er mehrere Male weiter, obwohl er am Kopf getroffen und mehrere Minuten lang bewusstlos gewesen war. Und einmal schaffte es Yankees-Manager Ed Barrow, ein Spiel unter dem Vorwand schlechten Wetters zu verschieben, weil Gehrig wegen Grippe nicht hätte spielen können – obwohl kein Tropfen Regen gefallen war. Die Serie endete nicht zuletzt, weil sich Gehrigs physischer Zustand nach 1938 abrupt verschlechterte – wenige Wochen nach Ende der Serie wurde bei ihm eine Amyotrophe Lateralsklerose diagnostiziert, eine unheilbare degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems. In den USA ist sie bis heute nach dem Sportler auch als Lou-Gehrig-Syndrom bekannt.
Was ich damit sagen will: Angesichts dieser Tragödie hält sich mein Mitleid mit dem HSV in Grenzen. Innert 48 Stunden nach dem Abstieg konnte der Verein tausend neue Mitglieder verzeichnen – eine wichtige Einnahmequelle in diesen schwierigen Zeiten. Kein Wunder, zweifelt also niemand in Hamburg daran, dass die Mannschaft in der nächsten Saison den sofortigen Wiederaufstieg schaffen wird. Zum Vergleich: Bei seinem Rücktritt verabschiedete sich Gehrig bei seinen Fans im ausverkauften Yankee Stadium mit den Worten: «Ich betrachte mich als den glücklichsten Menschen auf dem Antlitz des Planeten.» Er starb zwei Jahre später, sein Rekord hielt fast sechzig Jahre, bis Cal Ripken ihn mit 2632 Einsätzen übertraf.
Etrit Hasler ist Slampoet, Sportkolumnist und Kantonsrat in St. Gallen – zumindest noch für den Moment.