Ausschaffungsflüge: «Es wird keine Geheimnisse geben»

Nr. 13 –

Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) hat ein halbes Jahr lang Ausschaffungsflüge beobachtet. Menschenrechtsgruppen werfen ihm vor, bei der Kontrolle der Polizeibeamten «fundamental versagt» zu haben.

Vor zwei Jahren, am 17. März 2010, starb der nigerianische Asylsuchende Joseph Ndukaku Chiakwa während seiner Zwangsausschaffung am Flughafen Zürich. Der Todesfall zeigte, dass weder die Überwachung bei Ausschaffungsflügen noch die medizinische Betreuung ausreichend gewährleistet waren. Das zuständige Bundesamt für Migration (BFM) liess sich Zeit mit der Umsetzung von strengeren Richtlinien für Ausschaffungsflüge. Im Juni 2011 präsentierte das BFM schliesslich eine Übergangslösung: Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) sollte für sechs Monate die Überwachung organisieren.

Nun haben SEK und BFM Bilanz gezogen. Insgesamt sind zehn Ausschaffungsflüge überwacht worden. Dafür zuständig waren fünf vom SEK ausgewählte BeobachterInnen. «Das Pilotprojekt zur unabhängigen Beobachtung von Sonderflügen ist ein Erfolg», fasst Simon Röthlisberger zusammen, der Migrationsbeauftragte des SEK. Und BFM-Direktor Mario Gattiker nimmt erfreut zur Kenntnis, dass «die Arbeit der Vollzugsbehörden in diesem schwierigen Umfeld als sehr professionell eingeschätzt wurde». Im präsentierten Tätigkeitsbericht wird nur ein Punkt explizit kritisiert: Die begleitenden ÄrztInnen hatten auf den Sonderflügen offenbar nicht die gesamten Patientendossiers vorliegen.

Polizeiprotokolle nicht einbezogen

Weitaus kritischer als die direkt Beteiligten beurteilen verschiedene Menschenrechtsgruppen das Pilotprojekt. Denise Graf von Amnesty International vermisst eine klare Haltung des SEK. Im vorgelegten Bericht sei etwa beschrieben, wie ein vermummtes Interventionsteam einen Asylsuchenden in seiner Ausschaffungszelle überfallartig überwältigte. «So ein Einsatz kann im weiteren Verlauf der Ausschaffung eine Gewaltspirale in Gang setzen. Doch statt zu sagen: ‹So nicht!›, empfiehlt der Bericht bloss, den interkantonalen Austausch zu fördern und im Einzelfall angemessen zu handeln», sagt Graf.

Rolf Zopfi von der Menschenrechtsorganisation Augenauf kritisiert vor allem die Rolle der BeobachterInnen: «Im Zentrum sollte die Kontrolle der Beamten stehen. In dieser Hinsicht haben sie fundamental versagt», sagt Zopfi. Als Beispiel nennt er jene Passage des Berichts, wonach zwei «sehr renitenten» Asylsuchenden Beruhigungsmittel gespritzt wurden. «Es bleibt völlig unklar, wie diese Verabreichung ablief. Es kann doch nicht sein, dass eine beobachtende Rechtsprofessorin nicht einschätzen kann, ob die Spritze freiwillig oder unter Zwang verabreicht wurde.» Für Zopfi ist klar, dass nicht alle Möglichkeiten zur Beurteilung der Lage ausgeschöpft wurden: «Die Polizei ist per Gesetz verpflichtet, die Anwendung von Zwang zu protokollieren. Wieso hat man diese Protokolle nicht in den Bericht einbezogen?»

Simon Röthlisberger vom SEK bestätigt auf Anfrage, dass die internen Polizeidokumente für den Bericht nicht berücksichtigt wurden. «Wir haben uns auf die Notizen unserer Beobachter gestützt», sagt er. Die systematische Auswertung der Dokumente der Vollzugsbehörden würde eine deutliche Ausweitung der Monitoringtätigkeit bedeuten, so Röthlisberger.

Künftig alle Flüge begleiten

Seit letzter Woche steht fest, wer das Monitoring fortführen wird: die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF). Die Antifolterkommission hatte vor zwei Jahren mit dem BFM Gespräche über eine Übernahme des Monitorings geführt. Erfolglos: Die vollkommene Unabhängigkeit der NKVF war nicht hinreichend gewährleistet. Das hat sich nun geändert, wie ihr Präsident Jean-Pierre Restellini versichert: «Im Gegensatz zum SEK sind wir kein Auftragnehmer des BFM. Entsprechend haben wir verfügt, dass unsere Monitoringkosten von 350 000  Franken nicht vom BFM, sondern vom übergeordneten Justizdepartement gedeckt werden. Es wird keine Geheimnisse geben.» Seine Kommission werde künftig «zumindest alle langen Flüge» begleiten und auch «die Vorgänge am Boden» weitgehend kontrollieren.

Anders als der SEK wird die Antifolterkommission bei ihrem Monitoring auch die von Augenauf erwähnten Polizeiprotokolle berücksichtigen, wie Restellini betont.

Ab Juli nimmt die NKVF ihre Arbeit auf. Zwölf BeobachterInnen sind fürs Monitoring vorgesehen – die fünf BeobachterInnen des Pilotprojekts dürfen sich bewerben. Die im Rahmen des Pilotprojekts entstandene Austauschplattform zwischen Behörden, Organisationen und VertreteterInnen der Zivilgesellschaft soll weitergeführt und ausgebaut werden.