Fussball und andere Randsportarten: Von wegen zwei Seelen

Nr. 13 –

Etrit Hasler über seine ungeteilte Loyalität im Fussball.

Ich wurde in letzter Zeit häufig gefragt, ob ich denn nicht «geteilten Herzens» sei. Nicht etwa wegen meiner geteilten Herkunft als Halbaner, sondern weil der FC St. Gallen und der FC Winterthur im Cupviertelfinale aufeinandertrafen – ein Spiel, das die Fussballostschweiz im Vorfeld schier verrückt machte, aber zumindest beim Schweizer Fernsehen niemanden interessierte. Was erwartet man anderes von einem Sender, der Alain Sutter und Gilbert Gress als «Experten» bezeichnet, ohne dass jemand dabei in Gelächter ausbricht?

Jedenfalls standen in den Tagen vor der Partie tatsächlich beide Städte ziemlich Kopf – das Spiel war schon längst ausverkauft, und ich habe wohl noch nie in meinem Leben so viele Telefonate bekommen, die mit dem Satz «mein lieber/alter/guter Freund …» begannen wie in den 24 Stunden vor dem Anpfiff, weil die Leute wohl glaubten, dass ich noch irgendwo ein geheimes Ticketlager angelegt hätte. Und immer wieder die Frage, ob ich denn nicht geteilten Herzens sei. So nach dem Motto «Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust». So ein Quatsch.

Erstens hielt ich Goethe schon immer für einen anmassenden Spinner, auch wenn ich gestehen muss, dass «Faust» ein verdammt guter Stoff ist, aber den hatte er geklaut. Und zweitens ist es einfach so, dass ich seit meiner Kindheit nicht im Geringsten irgendeine Form von Loyalität dem FC St. Gallen gegenüber verspürt habe. Zwar bin ich nur einen Katzensprung vom alten Stadion entfernt aufgewachsen, aber mein Fussballherz habe ich erst gute 25 Jahre später verloren, und zwar in Winterthur.

Das hat nicht etwa damit zu tun, dass die Winterthurer Fans in irgendeiner Form toller sind als die St. Galler Fans – auch wenn mir der antirassistische Konsens in der Winterthurer Bierkurve eher entspricht. Wie ich mich auf der Fahrt nach Winterthur (absurderweise mit dem Extrazug der FC-St.-Gallen-Fans) wieder einmal überzeugen durfte, ist dieser liebenswürdig zusammengewürfelte Haufen wohl etwa die repräsentativste Gruppe für das, was im politischen Diskurs bestimmte Parteien so gerne als «das Volk» bezeichnen: vom Bühnenbauer beim St. Galler Stadttheater über den Bahnhofspenner (der sich verwirrterweise für einen Nazi hält, obwohl seine Gene höchst unarisch sind), die alternative Buchhändlerin und den Wegelin-Bänkler bis zum SP-Parteisekretär war so ziemlich alles vertreten.

Aber so sympathisch mir seine Fans auch sind, so unsympathisch ist mir der Klub. Nicht nur hat der FC St. Gallen das ehemals schönste Fussballstadion der Welt, das Espenmoos, «gegen ein blinkendes Einkaufszentrum am Stadtrand bei der Autobahn» eingetauscht, wie es Daniel Ryser auf www.nationofswine.ch beschrieb. Vielmehr sind ihm seine Fans nichts wert: So wurde vor kurzem ohne Rücksprache kurzerhand eine neue Stadionordnung präsentiert, die «härtere Massnahmen» gegen Übeltäter und Krawallmacher verspricht – nota bene via Tagesmedien, womit auch klar ist, welche Funktion diese Stadionordnung zuallererst haben soll: Sie soll den Vereinspräsidenten als harten Mann im Kampf gegen Chaos und Unordnung präsentieren. Vor allem gegen seine eigenen Fans. So viel zur Loyalität.

Das muss man auch verstehen. Immerhin sind die FC-St.-Gallen-Fans weitherum bekannt als KrawallmacherInnen. Kein Wunder durfte man nach dem verlorenen Cupspiel in Winterthur von «Ausschreitungen» lesen, die das Spiel «überschattet» hätten. In Wirklichkeit musste die Polizei bloss ein Grüppchen von Möchtegernhooligans davon abhalten, die geknickten FCSG-Fans auf dem Nachhauseweg zu provozieren. Wieso sie dafür Gummischrot brauchte, weiss niemand so genau. Viel bezeichnender ist da folgende Geschichte: Ein Freund von mir geriet mit Winti-Schal am Bahnhof unter die FCSG-Fans. Und es geschah ihm: nichts. Ausschreitungen sehen jedenfalls anders aus.

Etrit Hasler feierte den Cupsieg «seines» FCW ausgiebig, drückt aber den FC-St.-Gallen-Fans die Daumen, dass ihr Verein wieder in 
die oberste Liga aufsteigt, auch wenn ihm 
die Derbys fehlen werden.