Fussball und andere Randsportarten: Alles, nur nicht Meister

Nr. 36 –

Etrit Hasler über die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in St. Gallen

Ich spreche ja ungern über den FC St. Gallen, aus Gründen, die ich hier schon ausgebreitet habe. Um es kurz zu machen: Ich habe mein Fussballherz in Winterthur verloren, und wenn ich mir Fussball im Stadion ansehe, dann lieber so fern der sterilen Kommerz- und Sicherheitsmaschinerie der obersten Liga wie möglich. Aber da ich in der selbsterklärten Hauptstadt der Ostschweiz wohne (also eben in St. Gallen und nicht in Winti), komme auch ich manchmal nicht am Mythos FCSG vorbei.

Vor allem nicht im Moment. Für den Fall, dass sie fussballtechnisch hinter dem Mond leben (wo es sich meistens auch ruhiger lebt): Der FCSG ist gerade aufgestiegen, und in der acht Spieltage jungen Saison führt er plötzlich die Tabelle an. Und nicht einfach, weil die Mannschaft etwas Glück hatte, sondern weil sie hintereinander die beiden ausgewiesenen Kandidaten für den Meistertitel, den FC Basel und zuletzt den FC Sion, vorgeführt und dominiert hat – eine kleine Sensation. Erwartet hätte das anscheinend niemand, zuletzt der Trainer der Mannschaft, der eher blasse Luxemburger Jeff Saibene, der auf die Frage, wie er sich denn so fühle und wohin das noch führe, meistens Folgendes zu Protokoll gibt: «Äh, also, ja, ich weiss jetzt gerade auch nicht.»

Der arme Kerl. Was soll er denn sagen? Dass das nur eine Momentaufnahme sei und dass man im besten Fall damit rechnen könne, nicht gleich wieder abzusteigen? Das wäre medialer Selbstmord und würde das ausgezeichnete Selbstvertrauen seiner Spieler untergraben. Oder sollte er zugestehen, dass seine frisch aufgestiegene Mannschaft den Beweis erbracht habe, dass sie jeden Gegner schlagen kann und damit auch der Meistertitel eventuell / vielleicht / theoretisch / mit ganz viel Hoffnung drinliegen könnte? Denn das ist es, was die Fans im Osten derzeit beschäftigt – noch hinter vorgehaltener Hand natürlich: Wo es das in Europa überhaupt schon einmal gegeben habe? Was denn der FC Kaiserslautern damals gemacht habe, 1997/98, als er als einziger Aufsteiger in der deutschen Fussballgeschichte den Titel holte, und was man davon lernen könne? Ganz generell hat man das Gefühl, in St. Gallen liefen die Menschen derzeit trotz apokalyptischen Wetters und Wahlkampfs mit etwas geschwellterer Brust durch die Gegend als sonst.

«Moment!», höre ich da schon meinen Kokolumnisten Pedro Lenz einwerfen. Denn einen ähnlichen Enthusiasmus hatte dieser bei der Berner Bevölkerung geortet, nachdem die Berner Young Boys vor einem Jahr die Trainerlegende Christian Gross verpflichteten. Was konnte aus dieser Kombination anderes folgen als der Meistertitel? Es wurde dann nur der dritte Platz, und Christian Gross ist seit April schon wieder arbeitslos. Der Stadt Bern und ihren BewohnerInnen scheint das aber auch keinen längerfristigen Schaden zugefügt zu haben.

Nun – ich habe aus dieser Episode gelernt (eines von vielen Dingen, übrigens, die ich von Pedro Lenz gelernt habe). Und deswegen sage ich hier an dieser Stelle laut und deutlich (so laut, wie das im Geschriebenen halt geht): Der FC St. Gallen kann diese Saison unter keinen Umständen Meister werden! Nicht nur, weil den Verein dann wieder das gleiche Schicksal ereilen würde wie beim letzten Meistertitel im Jahr 2000: Grössenwahn, desaströse Finanzpolitik, Fastkonkurs, Abstieg.

Viel wichtiger ist jedoch, dass wir im Osten noch zu viel zu tun haben. Nach der Siegesserie der rot-grünen Bewegung bei Ständerats-, Kantonsrats- und Regierungsratswahlen riecht die Luft im rechtskonservativen Kanton St. Gallen nun endlich einmal nach Veränderung.

Und nichts wäre verheerender für diese Stimmung als ein kollektives bierseliges Massenfeiern in dem Gefühl, dass doch eigentlich alles in Ordnung ist – und genau das würde uns geschehen, wenn der FC St. Gallen Meister würde.

Etrit Hasler würde sich selbstverständlich mit den St.-Gallen-Fans freuen und ist sich völlig bewusst, dass dieser simple Versuch, die Fussballgöttin auszutricksen, schiefgehen wird. Falls nicht, hat Pedro Lenz endlich einmal etwas von ihm gelernt.