Steuerpolitik: Gierige neigen zur Idiotie
Reiche in diesem Land ziehen derzeit Millionen steuerfrei aus Unternehmen – der Unternehmenssteuerreform II sei Dank. Die von Bundesrat Hans-Rudolf Merz vorangetriebene und vom Parlament und den belogenen StimmbürgerInnen knapp abgesegnete «Reform» entzieht Bund, Kantonen und Gemeinden in den nächsten Jahren Steuern in Milliardenhöhe und Jahr für Jahr AHV-Beiträge im hohen dreistelligen Millionenbereich. Mit unabsehbaren Folgen.
Derweil wird die Spirale der Steuersenkungen zugunsten der Begüterten im Steuerparadies Schweiz unverschämt weitergedreht. Die nächste Steuersenkungsvorlage ist längst in der Pipeline und programmiert weitere Steuerausfälle in Milliardenhöhe. Die Unternehmenssteuerreform III wartet mit neuen Geschenken auf: So sollen die Unternehmenssteuern schweizweit harmonisiert werden – auf das Niveau des Dumpingsteuer-Kantons Zug. Vorgesehen ist auch die Abschaffung der Stempelabgabe – da können sich die Banken freuen.
Das verfassungsrechtliche Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit wird zur Farce. Während Bund und Kantone den Unternehmen unter dem Titel «Wirtschaftsförderung» Steuerrabatte in Milliardenhöhe gewähren und systematisch Steuergeschenke verteilen, verlieren Menschen mit unteren und mittleren Einkommen an Kaufkraft, den RentnerInnen muten die bürgerlichen PolitikerInnen Rentensenkungen zu (gegen den Verfassungsauftrag), und die Lohnentwicklung hinkt seit Jahren eklatant den Produktivitätszuwächsen hinterher. Die Einkommens- und Vermögensschere öffnet sich weiter. Die Mehrheit der gewählten VolksvertreterInnen betreibt also eine Steuerpolitik gegen die eigene Bevölkerung, die längst nicht mehr angemessen am Wirtschaftswachstum partizipiert. Sie soll froh sein, wenn sie überhaupt Arbeit hat.
Was das heisst, zeigt ein Blick zum nördlichen Nachbarn: Trotz boomender Wirtschaft können acht Millionen Deutsche nicht von ihrem Einkommen leben. Sie heissen Mini- und Ein-Euro-Jobber. Die Sprache sagt alles. Aber immerhin haben sie Arbeit. Von der sie allerdings nicht leben können. Toll. Wenn sich Arbeit in einem reichen Land nicht mehr lohnt, sollte man sie verweigern. Den Dreck wegräumen, die Büros putzen, die Kinder hüten und so weiter – sollen es doch die Topshots selbst erledigen. Sollen sie dann ihre Drohung wahrmachen und auswandern. Aber die global heiss begehrten ManagerInnen, bekommen die tatsächlich ein Angebot aus China oder Indien? Mal sehen.
Noch ist es in der Schweiz nicht so weit wie in Deutschland. Aber die Angst davor wird durch die Propagandamaschinerie der Grosskonzerne permanent geschürt, um die Leute gefügig zu machen. Sie verfängt nicht mehr in jedem Fall. Pauschalbesteuerungen werden abgeschafft oder verschärft. Aber die absurden Folgen des Steuerwettbewerbs, der Gemeinden in die Verschuldung treibt, die mit Millionenabfindungen belohnte Unfähigkeit sogenannter TopmanagerInnen, die mit Steuergeldern gerettete UBS – all das hat der Mehrheit der StimmbürgerInnen die Augen nicht wirklich geöffnet. Sie wählen noch immer zu bürgerlich.
Alle bürgerlichen Parteien haben zumindest bis anhin eine Steuergeschenkpolitik betrieben und Vorteile für alle versprochen. Eine kurzsichtige Politik, wie sich nun herausstellt. Der grösste Standortvorteil der Schweiz ist nicht die Steuergunst für Leute, die ohnehin zu viel haben und mit ihrem überschüssigen Kapital auf den Finanzmärkten nur Unheil anrichten. Sie sollen es in Steuern investieren. Davon haben alle etwas.
Das einzig richtige Standortmarketingsprüchlein geht so: Die Vorteile, die wirklich zählen, sind der soziale Frieden, die politische Stabilität, eine effiziente Staatsbürokratie, eine gut ausgebildete Bevölkerung und eine Infrastruktur, die wenig zu wünschen übrig lässt. Alles steuerfinanziert. Wer Steuern bezahlt, erhält etwas fürs Geld. Die Grossunternehmen mehr als andere.
Gierige neigen zur Idiotie und suchen den kurzfristigen Vorteil. Langfristig sägen sie am eigenen Ast. Was kümmert das den Rest? Er sitzt auf demselben Ast.