Fussball und andere Randsportarten: Ein Weltstar in der Kälte
Wie Pedro Lenz als Kind in der Provinz auf einen Fussballgott trifft.
In Langenthal gibt es einen Hügel, der Hinterberg heisst. Hinter diesem Hügel ist ein grosser Wald, der bis Untersteckholz reicht. Genau dort, auf dem Langenthaler Hinterberg, am Rand jenes Waldes, fand im Spätherbst 1973 ein regionales Querfeldeinrennen für Jugendliche statt. Vielleicht gibt es dieses Querfeldeinrennen, bei dem Schülerinnen und Schüler kilometerweit durch bald matschige, bald beinhart gefrorene Wald- und Feldwege rennen, auch heute noch. Sicher weiss ich nur, dass das Rennen 1973 stattfand und dass mein älterer Bruder, der damals zehn Jahre alt war, als Mitglied der Leichtathletik-Vereinigung Langenthal daran teilnehmen durfte. Die Erinnerung an den Anlass, an dem ich mit einem Teil der Familie als Zuschauer dabei war, wäre längst verblasst, hätte ich nicht neulich ein altes Farbfoto aus dem Nachlass meines Vaters gefunden. Das Foto ist quadratisch, woraus ich schliesse, dass es seinerzeit mit der Rolleiflex aufgenommen wurde. Es zeigt einen frierenden Achtjährigen in Skijacke, der kerzengerade und ernst neben einem jungen, schwarzen Mann steht, der seinerseits ein kleines Kind im Arm trägt. Der junge Mann auf dem Bild, dem eine gewisse Ähnlichkeit mit Muhammad Ali nicht abzusprechen ist, heisst Teófilo Cubillas, genannt «El Nene». Das Kleinkind in seinem Arm ist meine Schwester, und der strammstehende Bub daneben, den es vor Stolz und Aufregung fast zu zerreissen scheint, bin ich selbst.
Für alle LeserInnen, deren sporthistorische Erinnerungen nicht bis ins Jahr 1973 zurückreichen, bleibt anzufügen, dass der Peruaner Teófilo Cubillas der erste Weltstar war, der im besten Fussballeralter in der Schweiz gespielt hat. Cubillas war insgesamt fünf Mal südamerikanischer Fussballer des Jahres, und in seiner Heimat Peru wurde er als grösster Fussballer in der Geschichte des Landes ausgezeichnet.
Als das beschriebene Foto aufgenommen wurde, spielte er beim FC Basel neben Karli Odermatt. Der Transfer hatte den FCB 300 000 US-Dollar gekostet. Seinen Ruf als internationaler Star hatte sich der Südamerikaner als 21-Jähriger an der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko erworben, als er mit der Nationalmannschaft Perus für Furore sorgte und in jedem Spiel ein Tor erzielte. Fünf Jahre später gewann er mit Peru die Copa América, und bei der WM 1978 in Argentinien sollte er noch einmal ganz gross auftrumpfen. Seine dritte und letzte WM spielte er schliesslich 1982 in Spanien.
Aber was tat ein Weltstar des Fussballs im Winter 1973 ausgerechnet auf dem Langenthaler Hinterberg? Die Frage ist leicht zu beantworten. Cubillas, dessen Transfer zum FC Basel als Sensation galt, wurde von seinen Sponsoren als Attraktion in der helvetischen Provinz herumgeboten. Kinder und Erwachsene sollten den einzigen Schwarzen, der in Schweizer Fussballstadien auflief, aus der Nähe sehen können. So stand Cubillas 1973 verloren in der Oberaargauer Kälte, wartete auf das Ende des Junioren-Crosslaufs und fragte sich wohl, was in seiner Karriereplanung falsch gelaufen war, dass er nun ausgerechnet in diesem nebligen Fleck frierend herumstehen musste. Cubillas verstand kein Wort Deutsch. Beim FC Basel fand er neben dem langjährigen Publikumsliebling Odermatt seine Rolle nicht, und auf dem Hinterberg wurde er angestarrt, als hätte er zwei Köpfe.
Nach dem missglückten Kurzaufenthalt in Basel wechselte Cubillas noch in der Winterpause 1973/74 zum FC Porto, wo er die Anerkennung erhielt, die ihm in der Schweiz versagt geblieben war. Zwar hatte er für den FC Basel in sechzehn Spielen acht Tore erzielt, aber er fühlte sich während seiner ganzen Zeit am Rhein einsam und unverstanden.
Heute leitet Cubillas eine Fussballschule in Florida. Ob er sich noch an den tristen Nachmittag auf dem Langenthaler Hinterberg erinnert, dürfen wir bezweifeln.
Pedro Lenz fühlt noch heute einen gewissen Stolz, wenn er ein beinahe vierzigjähriges Foto betrachtet.