Film «Avé»: Unterwegs zu zweit

Nr. 16 –

Der junge Mann steht am Strassenrand und hält seinen Daumen in die Luft, während die Autos erbarmungslos an ihm vorbeifahren. Plötzlich gesellt sich eine junge Frau zu ihm, stellt sich kokett vor ihn und macht ebenfalls Autostopp. Als ein Wagen hält, steigen beide ein, obwohl sie sich nicht kennen und bis zu diesem Moment noch kein einziges Wort gewechselt haben. Diese Szene steht zu Beginn des bulgarischen Films «Avé». Im Roadmovie von Konstantin Bojanov reisen zwei Jugendliche quer durch ihr Land und kommen dabei sich selbst und einander näher.

Sie wolle nach Ruse, ihre krebskranke Grossmutter besuchen, sagt die junge Frau Avé dem Fahrer, als sie im Auto sitzt, und erzählt auch gleich dreist, dass der junge Mann neben ihr ihr Bruder sei. Und als sie sich alle eine Zi-
garette anzünden, behauptet sie, ihr Bruder habe ihr das Rauchen beigebracht. Bei so viel Unverschämtheit bleiben dem jungen Mann Kamen 
die Worte im Hals stecken. Avé erfindet sich ständig neu, in jedem Auto erzählt sie eine neue Geschichte und bringt ihn so zur Verzweiflung. Der Kunststudent ist unterwegs zur Beerdigung seines Freundes, der sich das Leben genommen hat, und ist zuerst gar nicht erfreut über Avés aufdringliche Anwesenheit.

«Avé» spielt zwar in Bulgarien, doch der Film erzählt eine Geschichte, die wohl überall passieren könnte: Zwei junge, einsame Menschen – die sich suchend auf dem Weg ins Erwachsenenleben vorantasten – treffen aufeinander, finden sich und verlieren sich wieder. Bojanov erzählt dies in ruhigen, langen Einstellungen – in den Bildern spiegelt sich die innere Einsamkeit der ProtagonistInnen: Die Landschaft ist verlassen, die Strassen sind leer. Ausser von diesen Bildern lebt der Film vor allem vom Spiel der beiden ProtagonistInnen: Anjela Nedyalkova und Ovanes Torosyan sind zwei starke NachwuchsschauspielerInnen, die den Film tragen und mit ihrer überzeugenden Darstellung auch die Schwächen der Geschichte wieder wettmachen, die manchmal etwas zu voraussehbar daherkommt.

Avé. Regie: Konstantin Bojanov. Bulgarien 2011